Die Kolumne #50 (Oktober 2003)

Die Kolumne #50 (Oktober 2003)

Progression auf allen Ebenen – Unverständnis darunter

Tschilllllaut Mühhhhhds … tschillllllaut mühhhhds … flüstert mir der Plattentandler aus der Flimmerkiste selbst im Schlaf noch suggestiv ins Ohr. Angeblich nehmen „die“ bei jeder Art von Verkaufsfernsehen gerne nicht Nativ-Deutsche oder Sprecher mit „liebenswerten Eigenheiten“, etwa Lispelei oder seltsamer Betonung mancher Vokale – um vom inhaltlichen Schwachsinn abzulenken, den ihnen unheilige Personalunionen aus Fernsehtextern und Werbefuzzis vorschreiben.
Sie interpretierten alle gern Shakespeare, diese telegenen Vertreter von prominent benamsten Schönheitscremes und supergünstigen Bohrmaschinenattrappen, und enden dann doch bei: „Erleben auch Sie die durchschlagende Wirkung unseres elektrischen Hammers!“ Wieder ein Medienformat, das die Versprechung nach spiritueller Erlösung nicht einhalten kann … da warten wir schon lieber auf „Matrix 3“.

Politiker dagegen genießen andere Privilegien, nicht zuletzt hierzulande, weil sie sagen dürfen, was sie sich denken. Manche denken sich mehr und sagen wenig, andere scheuen keine Mühen, um ihre Gedankengebäude einer stets interessiert lauschenden Öffentlichkeit kund zu tun. Ja, Leser, ihr ahnt richtig: Am von Frau Bundesministerin Gehrer losgetretenen Krieg der Generationen kommt diese Kolumne selbstverständlich nicht vorbei.
Da das politische Gedächtnis ja besonders kurzlebig ist, ein „Reminder“: es ging um Freizeitgestaltung und reproduktive Gewohnheiten, die Ausführungen der Fr. Bundesminister wurden von respektlosen Dissidenten an Stammtischen gerne zu „weniger Party und mehr Pudern“ verkürzt. Im Kern jedoch versetzt die Forderung nach mehr ungeschütztem Geschlechtsverkehr die Jugend, die ja gut 15 Jahre lang gleichsam im Orkus eines mentalen Kondoms aufwachsen musste, in eine ähnliche Position wie Frauenzeitschriften den neuen Mann: er soll ja auch Macho und Softie zugleich sein und an der Körpersprache seiner Partnerin auch noch erkennen können, welche Rolle jeweils vorzuziehen ist.
Während in unserem kleinen gallischen Dörflein alles verfahren scheint, zeigt ein Exilsteirer, wie’s gemacht wird: Arnold führt Kalifornien in eine goldene Zukunft, und wir scheinen eher ratlos.
Dabei läge die Lösung doch so, so auf der Hand: Wir brauchen keinen Bundeskanzler, sondern einen Kanzellator (Roland Düringer könnte ich mir in der dieser Rolle gut vorstellen), und schon gar keine Unterrichtsministerin, sondern einen weiblichen Educator. Wie hieß doch diese Russin, die in den 80ern immer das Schulfernsehen moderiert hat?

Aber genug der Visionen, ich meine, da gibt es ernstere Themen – wie die horriblen Missstände in den Wiener Altersheimen oder die Abschaffung der illegalen Musik-Downloads aus dem Internet. Gegen Letztere, also gegen illegale Downloads, wendet sich entschlossen die neue Lobbying-Seite Pro Music, dort werben Künstleratoren wie Tatu, Mel C und Ben gegen ihre Verarmung. Die Heiminsassen dagegen betreiben immer noch keine eigene Internet-Plattform, nur so zum Vergleich.

Zu guter Letzt noch einige Begriffe aus der aktuellen „Warteschlange für die Duden-Aufnahme“: Kolumbinat, das: Zusammenschluss südamerikanischer Genussmittelimporteure; RedankteurIn, die, der: vormals joblose/r PublizistikstudentIn; Drittmittellosigkeit, die: heillos überzogener Kontorahmen.

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