Amazon Noir - Interview mit Hans Bernhard

Amazon Noir – Interview mit Hans Bernhard

Amazon NoirIn ihrer aktuellen Aktion verwendeten die bekannten Netzkünstler UBERMORGEN.COM die „Search-Inside-the-Book“ Funktion von Amazon.com, um komplette Bücher von der Webseite des Online-Händlers zu spidern und „in ihr traditionelles Interface zu überführen“. Verpackt in einen klassischen Krimiplot der vierziger Jahr trägt die Aktion den Titel Amazon Noir.

Im Interview (für telepolis, erschienen am 22.11.2006) erklärt Netzkunstaktivist Hans Bernhard, warum die Künstlergruppe ihre Coup als Freestyle-Forschung und durchaus nicht als Angriff auf das Konzept des Copyright sieht – und versichert, dass die gesamte Aktion tatsächlich stattgefunden hat, denn nachprüfbar ist dies für die interessierte Öffentlichkeit letztendlich nicht. Dissimumlierte Netzkunst, Underground-Coup und/oder Media Hacking? Interview zu einem teilfiktiven Krimi mit Hans Bernhard, Lizvlx, Paolo Cirio und Alessandro Ludovico in den Hauptrollen.

 

Geistiges Eigentum rekombinieren.

Interview mit Hans Bernhard zu „Amazon Noir“

Wie kam’s zur Idee von Amazon Noir?

Hans Bernhard: 2003 hat Amazon begonnen, ca. 120.000 Buchtitel via „Search Inside the Book“ durchsuchbar anzubieten. Die Idee, die Bücher zu klauen, ist schon älter: Sie kommt aus dem Umfeld der italienischen Software-Kunst-Gruppe [EpidemiC] und des Netzaktivisten Paolo Cirio, einer unserer Kooperationspartner, hat mit [EpidemiC] vor ein paar Jahren gearbeitet; Wir klauen eigentlich gerne Ideen von anderen. Es ist eine unserer Spezialitäten, dass wir einfach etwas nehmen und weiterentwickeln. Anfang 2006 begannen wir, die Technologie auszuloten und uns zu überlegen, was man mit diesem System machen kann. Dabei ist uns folgendes aufgefallen: wenn man mit verschiedenen Robots Queries (Suchanfragen) absetzt an das „Search Inside the Book Tool“ und dazu sehr häufige Wörter verwendet wie „ist“ oder „und“, dann erhält man eine ganz Liste von Treffern.
Allerdings bekommt man ja nie ganze Seiten oder das komplette Buch, sondern immer nur einen einzelnen Paragraphen. Von dem nimmt man die ersten und die letzten vier, fünf Wörter, die in der Regel „unique“ sind, also nur einmal im Buch vorkommen, und startet mit denen die nächste Suche – so erhält man den folgenden bzw. den vorigen Absatz.
Das so lange zu machen, bis man ein komplettes Buch zusammengesetzt hat, ist natürlich eine unheimlich mühsame und anstrengende Arbeit, die ein Mensch zwar prinzipiell erledigen könnte. Aber durch Software lässt sich der Prozess stark verkürzen. Für ein komplettes Buch braucht man ca. fünf- bis zehntausend Anfragen. Unsere Software hat das zu Beginn in etwa 30 Stunden erledigt, später konnten wir den Prozess auf rund eine Stunde verkürzen.

Ablaufdiagramm Amazon Noir
Ablaufdiagramm der Amazon Noir Software

Amazon bietet natürlich keine „offizielle“ Schnittstelle für diese Suchfunktion an; das heißt, eure Software simuliert einen normalen Besucher bzw. Benutzt genau jenes Interface, das jedem Amazon-User zur Verfügung steht. Die Entwicklungszeit für diese Software war relativ kurz – wann habt ihr begonnen?

Hans Bernhard: Anfang 2006 – es dauerte 3 Monate, das Tool zu entwickeln; nach einigen Probeläufen haben wir Tuningmaßnahmen getroffen, Libraries ausgetauscht und das Programm verbessert. Dann kam uns Amazon USA auf die Schliche und begann, auf technischer Ebene Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Paolo Cirio hat die Software programmiert – ich kenne mich technisch nicht im Detail aus; jedenfalls hat Amazon die Texte so umgestaltet, dass unsere Roboter sie nicht mehr korrekt zusammensetzen konnte.
Wir trafen aber wiederum Gegenmaßnahmen und konnten weiterhin Bücher – wenn auch in niedrigerer Qualität – rausfischen. Das war aber schon ziemlich gegen Ende des Projekts. Zugleich hat uns Amazon sogenannte „Cease-and-Desist-Letters“ zugestellt. Das sind keine Gerichtsurteile, sondern reine Anwaltsbriefe, die gerichtliche Maßnahmen androhen. Wir nahmen daraufhin Kontakt auf und trafen eine Vereinbarung – soweit ich mich erinnere, haben unsere Anwälte am 30. Oktober mit den Anwälten von Amazon gesprochen. Wir einigten uns darauf, die Software an Amazon zu verkaufen und haben anschließend sofort aufgehört, Bücher von der Seite zu ziehen. Denn bei unseren Projekten geht’s rein ums Experimentieren: Amazon Noir ist kein Statement zum Copyright und schon gar kein Angriff auf den Online-Händler. Da ist keine spezifische Zielsetzung dahinter, das Thema hat sich einfach angeboten. Ich bezeichne das als Freestyle-Grundlagenforschung. Wir bauen ein Setting und beobachten dann, was passiert soziologisch, medial und technologisch. Dabei hatten wir keinen festen Plan für den Ausgang. Der Verkauf hat sich als neue Lösung angeboten, und so haben wir uns zur Einigung mit Amazon entschlossen.
In userer Arbeitsweise sind wir ja absichtlich sehr offen: im whois-Eintrag unserer Domains stehen immer der richtige Namen und die richtige Adresse drin, damit man uns auch problemlos kontaktieren kann, wenn man das möchte. An dieser Stelle ist es wichtig zu erwaehnen das „Amazon Noir“ein Projekt von UBERMORGEN.COM (Lizvlx/Hans Bernhard), Paolo Cirio und Alessandro Ludovico ist. Gefördert wurde Amazon-Noir vom Edith Russ Haus, von der Sektion Unst des österreichischen Bundeskanzleramtes von der Stadt Wien.

Was habt ihr im konkreten Fall mit den gespiderten Büchern gemacht?

Hans Bernhard: Die wurden über Peer-2-Peer Netzwerke wie Gnutella und Bittorrent weiterbreitet, existieren jetzt irgendwo da draußen und sind auch nicht mehr rückholbar.

Habt ihr die Dateien markiert?

Hans Bernhard: Nein, wir haben uns das lange überlegt, ob wir Werbung für uns inkludieren sollten oder eine Kennzeichnung, entschieden uns dann aber ganz klar dagegen. Weiters haben wir die Bücher auch in verschiedenen Formaten angeboten, damit sie nicht auf uns rückverfolgbar sind. Das Problem ist: juristisch gesehen macht man sich durch die Verbreitung komplett angreifbar. Wir haben die Bücher nicht gestohlen, sondern nur genommen, aber nach der geltenden Gesetzeslage dürfte man sie nicht massenhaft weiterverbreiten. Das haben wir gemacht, wollen uns aber nicht festnageln lassen dafür.

Wurde Amazon über die massenhaft abgesetzten Suchanfragen auf euch aufmerksam?

Hans Bernhard: Ich weiß nicht genau, was ausschlaggebend war. Das Projekt wurde bis zum 15. November nie offiziell veröffentlicht; es wurde technisch durchgeführt, und es fand in den Massenmedien statt: der Spiegel berichtete darüber, es gab einen Artikel am we-make-money-not-art Blog… und dadurch entstand eine schizophrene Situation. Einerseits totale Underground-Technologie, andererseites „Overground“-Presse. Dazwischen gab’s überhaupt nichts. Wir haben keinerlei Informationen nach außen gegeben und waren wie in einem Vakuum. Und Amazon hat sehr wahrscheinlich über die Presse, möglicherweise aber auch über die Suchanfragen bemerkt, dass jemand versucht, ihr System anzugreifen; wobei das natürlich keine Hackerangriffe waren: sie haben das System ja angeboten, wir haben uns die Bücher nicht durch die Hintertür erschlichen und irgendwelche Systeme „gecrackt“, wir haben mit einem Hack die Bücher wieder in ein anderes – nämlich in das klassische – Interface überführt.

Wie würdest du „Hack“ definieren?

Hans Bernhard: Wir sprechen gern vom media hacking – damit ist ganz spezifisch gemeint: das Eindringen in massenmediale Kanäle mittels Niedrigtechnologie, mittels Technologie, die jedem zur Verfügung steht: wie etwa E-Mail und Web, Mobiltelefone, GPS-Geräten usw. Und damit loten wir die Grenzen die Legalität aus. Wir prüfen vorher, ob es Gesetze gibt, die unser Vorhaben verbieten. Falls ja, kann man manchmal Gesetze übertreten, wenn man das mit sicher selber verantworten kann. Gesetze müssen manchmal auch „angegangen“ werden, weil das Recht keine fixe Sache ist, sondern sich ändert, wenn sich Gesellschaft und Technologie ändern. Die „Freiheit der Kunst“ ist bei uns ein sehr hoch angesiedeltes Gut, genauso wie die Redefreiheit in den USA: und da kann man andere Gesetze auch darunter ansiedeln, das ist eine Möglichkeit der Rechtfertigung juristischer Twilight-Zones.
Wenn uns dieses Eindringen in die Massenmedien gelingt, dann erreichen wir riesengroße Verbreitung und Frequenz. Das wäre also der Media Hack. Beim „technischen Hack“ geht’s, allgemein gesagt, um das Auffinden von Schwachstellen im System bzw. um alternative Benutzung von Interfaces.

Spielte das Projekt textz.com eine Vorbildrolle für Amazon Noir?

Hans Bernhard: Ich kenne Sebastian Lütgow seit sieben oder acht Jahren und finde seine Tätigkeit großartig. Vor einigen Tagen traf ich ihn in Kopenhagen, dort stellte er eine wunderbare Arbeit vor: einen Screenshot und ein Script, und wenn man das Script ausführt, wird aus dem Bild das komplette „Cryptonomicon“ von Neal Stephenson dechiffriert – der Text ist steganographisch im Buch kodiert, das ist zugleich die Zukunft von Textz.com und diese Verschlüsselung wird auch auf juristischer Ebene eine ganz neue Herausforderung. Sebastians aktuelle These ist, dass Copyright bei konvergenten digitalen Medien einfach nicht mehr funktioniert.
Aber wir waren nicht beeinflusst von ihm; wir wollten keine weitere Plattform sein, die Bücher distribuiert, sondern eine aggressive Technologie entwickeln und beobachten, was passiert, wenn wir diese Technologie in den Raum stellen und die ganze Geschichte in eine Handlung verpacken. Dieser Noir-Plot bezieht sich auf die Kriminalautoren der vierziger Jahre wie Raymond Chandler und auf die typischen Gangsterfilme aus dieser Zeit.
Durch solche Inszenierungen versuchen wir, der ganzen Aktion eine weitere Dimension zu geben. Wir möchten das Thema nicht als trockene Copyright-Aktion darzustellen, sondern durch den Transfer bekannter Metaphern in den digitalen Raum eine leicht verständliche Erklärung zu liefern.
Ein anderes Beispiel dafür wäre etwa der digital Hijack von etoy. Wir haben die ganze Aktion als Flugzeugentführung gescriptet, damit die Wahrnehmung von außen auch wirklich funktioniert. Damit man etwas hat, was man erzählen kann, damit die ganze zugehörige Ästhetik die Geschichte stützt. Das andere Beispiel ist Vote-Auction, wo wir im Prinzip auch eine relativ einfache Idee – nämlich Wahlkampfstimmen während der Präsidentschaftswahl 2000 zu kaufen und zu verkaufen – erweiterten. Wir behaupten, dass wir eben nicht Künstler sind, sondern radikale osteuropäische Businessmen, die der Meinung sind, dass man Kapitalismus und Demokratie zusammenbringen müsse. Das war ein wesentlicher Grund für die ausgedehnte Berichterstattung in den Massenmedien.

Amazon Noir
Amazon Noir Artwork

Spielte eure Bekanntheit als net artists für das Zustandekommen des Amazon-Deals eine Rolle?

Hans Bernhard: Ich glaube nicht; ich denke, die werden schon recherchiert haben, wer da dahinter steckt, um rauszufinden, ob wir das auch durchziehen können. Sie haben ja quasi die Katze im Sack gekauft und wussen nicht genau, was wir in petto haben. Da ging’s dann auch um den Preis, um die Einschätzung der tatsächlichen Bedrohung.

Eure Software als solche ist ja für Amazon völlig wertlos, abgesehen davon, dass sie nicht weiter verbreitet wird.

Hans Bernhard: Ja, das auf jeden Fall; wir haben auf der Seite noch das Ablauf-Diagramm und wir haben uns das Recht eingeräumt, die Funktionalität schematisch darzustellen – das müssen wir tun, um die Software zu erklären, sonst existiert die ja gar nicht und ist nur ein Geist. Die Scripts selbst werden wir natürlich nicht publizieren.

„Geist“ ist ein gutes Stichwort – es gibt von Amazon keinerlei Stellungnahme zu dem angeblichen Kauf der Software. De facto könnte die gesamte Aktion auch nicht statt gefunden haben und bloße Inszenierung sein; war das eure Absicht?

Hans Bernhard: Ich habe letzte Woche mit Cornelia Sollfrank gesprochen, die einen Text für unseren UBERMORGEN.COM Katalog verfasst hat. Sie hat mich dann auch in Bezug auf Amazon Noir gefragt, inwieweit unsere Aktionen auch real statt finden. Meine Antwort darauf: Sie finden definitiv statt, weil es für uns von substanzieller Wichtigkeit ist, das Experiment auch tatsächlich durchzuführen.

Diese Antwort erstaunt. Wäre das nicht der „next Level“ im media hacking: Berichterstattung über Aktionen, die überhaupt nie passierten?

Hans Bernhard: Wir haben das natürlich schon gemacht und experimentieren damit; aber bei unseren großen Projekten wie Google Will Eat Itself und Amazon Noir ist es wichtig, dass der technologische Teil funktioniert. Inwieweit dies tatsächlich der Fall ist, variiert, und natürlich gibt’s gewisse Verzerrungen in der Darstellung. Aber das Experiment soll auf jeden Fall statt finden. Sonst ist es eine reine mediale Blase, und die ist für uns nicht so interessant, weil sie keine Verbindung in die Realität hat, und dadurch die Geschichte unglaublich mühsam wird: wir sind ein relativ faules Pack, und es ist sehr mühsam, wenn man alles erfinden muss!
Bei Vote-Auction etwa haben wir die Idee von einem amerikanischen Studenten gekauft; wir mussten bloss noch die Story von den osteuropäischen Geschäftsleuten basteln und ertragen, dass wir jeden Tag Klageschriften bekamen und CIA und die österreichische Staatspolizei hinter uns her waren, dass wir vierzig Interviews pro Tag gaben – das mussten wir alles ertragen, aber wir mussten nichts erfinden.
Wenn du also fragst, ob wir Projekte machen, wo’s gar keine Substanz gibt: Vote-Auction war das ultimative Beispiel dafür. Da gab es gar nichts: nicht einmal die auctioning Software, nur ein Formular, das aus Sicherheitsgründen keine Userdaten gespeichert hat und eine kleine, hässliche Website. Unser Weg war vielleicht umgekehrt: über die Blase zum realen Experiment.

A propos reales Experiment: Google will eat itself läuft nun schon eine ganze Weile – und der Konzern zeigt wenig Freude über eure Aktion und hat euch kontaktiert?

Hans Bernhard: Google hat zu uns gesagt, sie verstünden schon, dass sich um Kunst handle, aber wir sollen trotzdem aufhören.

Als Shareholder kann man sich nicht mehr registrieren?

Hans Bernhard: Wir haben nur ein technisches Problem mit der Anmeldung; die Technologie läuft, Geld kommt rein, und man wird sich in Kürze wieder anmelden können. Wir stehen derzeit bei über 80.000 Dollar, das ist nicht wenig Geld für ein Kunstprojekt. Wir sind sehr zufrieden damit. Mal schauen, wie sich das weiterentwickelt.

Ist die Amazon noir Aktion mit dem Verkauf der Software für euch nun beendet?

Hans Bernhard: Wir sind erstmal froh, dass wir einen Deal mit Amazon machen konnten – die Zeit seit Februar war sehr anstrengend, wir durften einerseits nicht über die Aktion sprechen, andererseits wurde viel berichtet… wir werden demnächst im Kunstbereich die Aktion weiterentwickeln und museale Präsentation und Installationen für Gallerien machen; das sind geplante Erweiterungen, von der Technologieseite her ist Amazon Noir abgeschlossen.

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