Die Kolumne #72 (Nov/Dez 2006)

Die Kolumne #72 (Nov/Dez 2006)

Ein gapheft (nicht „gafeft“ lesen, sondern gap-heft) erscheint noch im Dezember diesen Jahres. Darin wird sich angeblich diese Kolumne befinden. Und im Jan/Feb nächsten Jahres feiern wir unser 10-Jahres-Jubiläum. Hier wie immer der Vorabdruck – n’joy!

Die Kolumne
Hitzewallungen im Spätherbst stützen und stürzen noch einen Klimawandel

„Früher hieß das Viertel nämlich Sackstadt, aber seit der Arenabesetzung hat sich eingebürgert, das Attribut der Heiligkeit mit dem Theoriepatron des Kommunismus in ein Namensschild zu werfen – et voila: St. Marx,“ wollte mir Tante Brigitte neuerdings einreden. Das konnte und musste ich so nicht stehen lassen. Zumal Sackstadt St. Marx heißt, weil der einheimische Kirchenschutzpatron, seiner Zeichens Heiliger Markus, gerne im Endlaut verschliffen wird. Die Bezeichnung des Ortsteils rekurriert also durchaus auf sakrale und nicht auf politische Gebäude.

Dennoch obsiegt stets die Neugier, obskure Information will ja nicht bloß verbreitet und frei sein, sondern in unserer post-aufklärerischen Zeit bis an ihren simulierten Ursprung zurückverfolgt werden. „Hat dir das einer deiner Punk-Ex-Lover erzählt, als du noch…“ „Hör auf zu tippen, das gehört hier nicht in die Kolumne. Nein, ich hab dieses ungeprüfte Wissen von jemandem, der sich über 10 Ecken kennt. Dich übrigens auch, und mich über neun.“

Wüsste ich nicht um Brigittchens Vorliebe für die rein digitale Auswahl ihrer Beischlafpartner, hätte ich natürlich nicht sofort erraten, dass meine Tante über Social Networking Plattformen sprach. („Ich hab schon Businesskasperl auf Open BC getroffen, da wird’s dir feucht im Mund! Und stell deinem Neokortex erstmal vor, diese ganzen leckeren Asiaten via Xing, völlig unvorbereitet auf Flirts mit Wiener Vamps! Wenn die doch endlich den Button alle gutaussehenden Männer zu meiner Kontaktliste hinzufügen einbauen würden…“)

Update: ich habe den Button gebaut, aber er ist nur ein Dummy: 

 

Aller Affirmation zum trotz schienen mir die zehn Ecken dennoch übertrieben, zumal doch Stanley Milgram mit seiner Small World Theory behauptet, jeder Mensch auf dieser unserer Erde kenne sich über sechs Ecken selbst. Oder jeder kenne alle sechs Ecken mindestens eines anderen Menschen, oder dass man mindestens sechs Menschen braucht, um eine Ecke zu überqueren. Derselbe Psychologe hat in einem noch viel berühmteren Experiment später dann auch paarweise elektrische Schläge an Teilnehmer ausgeteilt: und zwar solange, bis diese endlich zugaben, sich über höchstens sechs Ecken zu kennen. Damit galt er als Wegbereiter der modernen Psychologie. Später dann konnte ein gewisser Freud zwar nachweisen, dass die Stromkabel gar nicht richtig angeschlossen und die meisten Teilnehmer des Experiments arbeitslose Schauspieler waren, aber da hatte die Idee sich die Idee von der kleinen Welt bereits nachhaltig im Kleinhirn aller PM-Leser und gap-Leserinnen festgefressen.

„Jetzt hör endlich auf mit deinen Sexecken,“ unterbrach Brigitte abrupt, „diverse Erlösungslehren behaupten, dass sich die meisten Menschen nämlich überhaupt gar nicht kennen. Da bringen die neuen Medien also schon unglaubliche Fortschritte in punkto Selbstkenntnis, auch wenn sie vorwiegend zur Hervorrufung und anschließenden Befriedigung unserer animalischen Bedürfnisse mißwendet werden.“ „Deine Scharmoyanz übertrifft einmal mehr den Gipfel des Vorstellbaren,“ seufzte ich hingerissen. „Charme, ok. Aber Scham und Larmoyanz?“ hakte (huk?) sie erfreut nach. „Dass du mir missbilligendes Reflexionsvermögen und ein bildungssprachliches Lehnwort für sentimentale Rührseligkeit zutraust, ehrt meine Weiblichkeit.“

Achtung, Vegetarier: Experten erwarten für das nächste Sommerloch den Gammeltofuskandal. Diverse asiatische und vegetarische Lokale proben bereits für die große Welle der Empörung – nicht, dass ihr denkt, ihr kommt völlig ungeschoren davon!

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