TAZ: Entwertet Web 2.0 die kreative Arbeit?

TAZ: Entwertet Web 2.0 die kreative Arbeit?

Kochtopfökonomie nannte der indische Ökonom Rishab Aiyer Ghosh 1998 seine Metapher für neue Marktstrukturen im Internet. Jeder wirft was in den Pot-au-feu, und am Ende köchelt eine schmackhafte Suppe vor sich hin. Aber die TAZ bezweifelt, dass die Suppe jene satt macht, die vorher was reingeworfen haben.

In der Tat klingt die Vorstellung, dass alle Arbeitskräfte willg und unbezahlt für den Besitzer des Topfes arbeiten, ohne irgendwelche Beteiligungen am Endprodukt zu ewarten, wie der feuchte Traum eines jeden Turbokapitalisten. In seiner vielzitierten Veröffentlichung verglich Ghosh die Strukturen der Open Source mit dem freien Austausch im Netz:

Mit der Metapher der „Cooking Pot Markets“ beschreibt Ghosh eine Form der Marktökonomie, die sich nicht am kapitalistischen Modell von Angebot und Nachfrage orientiert, sondern in der Geschenk und freier Tausch, Aufmerksamkeit und persönliches Ansehen zentrale Kategorien darstellen. Die Metapher bezieht sich auf das Bild einer kleinen dörfliche Gemeinschaft, in der gemeinsam gekocht wird, sodaß durch die Zutaten der einzelnen (z. B. Hühnchen, Kartoffeln, etc.) ein reichhaltiges, schmackhaftes Essen entstehen kann. Das Bild des freien Austauschs und der gemeinsamen Nutzung wird nun auf das Internet angewandt, wo gleichfalls ohne Geldverkehr Programme, Texte und andere Inhalte ausgetauscht werden und wo diese Art der freien Verteilung auch der gesammten Gemeinschaft zugute kommt

Was in der Theorie tatsächlich gewissen Sex-Appeal hat, hält einer kritischen Hinterfragung allerdings kaum stand: denn der Habermas’sche ideale Diskurs soll ja frei sein von Herrschafts- oder Besitzstrukturen, und davon kann in Zeiten hegemonistischer Servicemonopole wohl in der Tat keine Rede sein. Amazon etwa möchte gern alle Rechte an den Rezensionen, die Kunden auf der Seite des Händlers veröffentlichen, die neuen Besitzer von youtube denken nicht über kulturellen Benefit, sondern über geschäfts-ermöglichenden Umgang mit Copyright nach. Quasi wöchentlich versucht die Musikindustrie, Teenager abzumahnen, einzusperren und ihren Kunden ein kriminalisiertes Selbstbild einzuimpfen.

Wo fremde Eigentumsrechte unter allen Opfern zu respektieren sind, da hat das eigene Recht am Werk allerdings freudig abgegeben zu werden an Akteure, deren Ziel ganz klar die Gewinnmaximierung ist. Kollaborative Arbeit bräuchte selbstverwaltete Plattform – gegen die Monopolisierungstendenzen des Web 2.0 wirkt der ohnehin ergebnislose Microsoft-Prozess retrospektiv geradezu wie Much Ado about Nothing. Die TAZ sieht in den Strukturen des Web 2.0 und vor allem in der Begeisterung über die Partizipation eine genuin neue Machtverschiebung zwischen Produzent und Konsument:

Das kostenlose und freiwillige Abschöpfen von Kopfarbeit hat jetzt durch das Web 2.0 ein ideales interaktives Medium. Web-2.0-Communities werden von Unternehmen nicht nur etabliert, um die Akzeptanz ihrer Produkte ohne aufwändige Marktforschung besser einschätzen zu können. Sie sind so auch in der Lage, wie beispielsweise die Firma Lego, ihre Entwicklung zu rationalisieren, indem sie Konsumenten in die Produktentwicklung einbeziehen. Warum viele Designer, Kreative, Ideengeber oder Programmierer beschäftigen, wenn die Freaks weltweit auch freiwillig tätig werden und dafür nur ein „Vergelt’s Gott“ verlangen – heute in der zeitgemäßen Form eines Awards oder einer Namensnennung auf dem mitentwickelten Produkt („Co-designed by Willi Müller“).

Chris Andersons Longtail Effekt kann in diesem Sinn auch verstanden werden als unerfüllbare Marketing Fata-Morgana: die Scheingrenzen zwischen Anbieter und Kunde verschwimmen, jeder kann selbst mit seiner Homepage im Monat 5 Werbeclicks generieren und zwar nicht reicht werden, aber locker 20 Cent die Woche verdienen. Für die TAZ fällt auch die Aggregation von Wissen in diesen Bereich:

In diese Kategorie fallen auch Internetfirmen, die vorhandenes Wissen aggregieren und daraus ein neues Produkt generieren. Dies ist im Kern auch das Geschäftsmodell Google.

Klar ist andererseits aber auch: erst die Aggregation und die Indizierung des vorhandenen Wissens macht dieses auch nutzbar. Der Bibliothekseffekt multipliziert sich, nur dass die Bibliothekare nicht im Dienste der Allgemeinheit arbeiten, auch wenn sie nicht müde werden, dies zu behaupten. Suchalgorithmen erfordern ja nicht bloss komplexes Wissen, sondern die Gestaltung einer funktionierenden Infrastruktur ist mit gewaltigem Hardwareaufwand sowie enormem Datenverkehr verbunden: wo die scheindemokratische Internet-Zone ihre Rückkopplung an harte ökonomische Realitäten erfährt, wo „Interessen von Rechteinhabern gefährdet sind“, da zeigt sich eben ganz schnell, wie dünn die Illusion eines demokratischen Netzmediums das Internet als Katalysator einer Corporate World übtertüncht. Aber keine Sorge, liebe Apologeten: es findet sich immer ein Nicolas Negroponte, der auf diversen Konferenzen gegen exzellente Bezahlung nicht müde wird, die Logik der Aufwärtsspirale einmal mehr zu beschwören.

TAZ: Der Kunde als Gratis-Designer

0 Kommentare
  1. phrank
    phrank sagte:

    Flotter Kommentar, guter Artikel. Allerdings schreibt das alles nicht die TAZ, sondern der Hamburger Informatikprofessor Arno Rolf. Sein neues Buch, das sich mit Orientierungswissen befassen soll, ist da auch angekündigt. Find ich gut, so etwas braucht es in einem oft oberflächlich geführten Diskurs.

  2. guru
    guru sagte:

    interessanter artikel! taet mich jetzt noch interessieren, welches buch phrank genau meint…

    klingt naemlich so als ob es fuer meine diplomarbeit recht brauchbar waere. falls jemand sonst noch tipps hat – bin grad auf der suche nach material. mein thema: veraenderung der musikrezeption durch web 2.0

    fuer tipps dankbar

    /guru

  3. ritchie
    ritchie sagte:

    Das Buch erscheint erst, hier gibt’s einige Text von Arno Rolf online:

    Ansonsten gibt’s zum Thema Musikrezeption zwar einige Auftragsstudien, aber dedizierte Literatur ist mir noch nicht bekannt… sehr spannendes Thema!

  4. ritchie
    ritchie sagte:

    Aktuell ist folgendes:
    http://www.golem.de/0403/30050.html
    (die Studie gibt’s aber nicht public). Forrester hat einen aktuelle Untersuchung gemacht, allerdings wollen die 75$ für die Studie:
    http://www.forrester.com/ER/Research/DataSnapshot/Excerpt/0,1317,16258,00.html
    Bei Gartner ist’s ähnlich, die wollen ihren Research verkaufen:
    http://www.gartner.com/it/products/research/industries/industries.jsp
    Wenn man allerdings die Berichterstattung auf heise verfolgt, zB
    http://www.heise.de/newsticker/meldung/33869
    oder
    http://www.heise.de/newsticker/meldung/38442
    so kommt man schnell zu dem Schluss, dass die Untersuchungen teils direkt widersprüchliche Ergebnisse (je nach Fragestellung und Auftraggeber) ergeben :-)

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