Anonym kommunizieren: Simkarten tauschen

Anonym kommunizieren: Simkarten tauschen

arbeitskreis vorratsdatenspeicherungWir leben in Zeiten der Paranoia – und zwar schon eine ganze Weile lang. Als ich noch wesentlich jünger war also heute, hing der militärische oder zivile atomare Supergau als dräuender Schrecken permanent über den 80er Jahren, um bald darauf vom Thema Waldsterben, das mittlerweile der Sorge um die Klimaerwärmung gewichen ist. Die wiederum hat hart mit der vorgeblichen Bedrohung durch „böse Terroristen“ um die Vorherrschaft unter den Schreckens-Szenarien zu kämpfen. Mit der freien Kommunikation via Handy wär’s in .de ohnehin schon längst vorbei, böte nicht der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung ein anonymes SIM-Karten Tauschservice an.

Hätte der Club of Rome mit seinen Wirtschaftswachstumsprognosen Recht behalten, dann lebten wir längst wieder alle in steinzeitlichen Höhlen. Hätten die Prognostiker des Waldsterbens sich in den frühen 80ern nicht getäuscht, dann stünde heute kein einziger Baum mehr in ganz Europa. Politik – und da ist die Umweltpolitik keine Ausnahme – auf weitgehend unbegründeten Katastrophen-Szenarien aufzubauen, ist nie eine gute Idee, marketingtechnisch aber unvorstellbar effektiv. Der ach so demokratische Staat und seine theoretisch der Verfassung verpflichteten Innenminister (egal ob .at oder .de) strecken schon länger ihre gierigen Finger nach einer lückenlosen Überwachung der „Untertanen“ aus, und dies führte in den letzten Monaten zu Gesetzen, mit denen der selige Metternich seine hellste Freude hätte. Glücklicherweise gibt’s Organisationen wie den CCC (der beispielsweise dank des Tor Projekts echtes anonymes Surfen möglich macht) oder den Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, der in Deutschland mit einer smarten Tauschaktion die neu eingeführte Registrierungspflicht für Simkarten unterläuft:

Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung bietet seit heute eine Tauschbörse für Prepaid-Handykarten an. Ziel des Angebots ist die Umgehung der Registrierungspflicht für Handykarten, die der
Arbeitskreis für verfassungswidrig hält. „Jeder hat ein Recht auf anonyme Kommunikation“, begründet Patrick
Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung das neue Angebot.

„Es ist selbstverständlich, dass man Menschen anspricht, ohne seinen Namen zu nennen, und Briefe versenden kann, ohne einen Absender anzugeben.“ Die Tauschbörse soll nun auch Handy-Nutzern wieder die Möglichkeit bieten, anonym zu telefonieren, etwa um unbesorgt vertrauliche Beratung in Anspruch nehmen (z.B. Aidsberatung,
Eheberatung), Journalisten informieren, sich staatskritisch engagieren oder sonst unbesorgt telefonieren zu können.

Um an der Tauschbörse teilzunehmen, sendet man eine mit mindestens 10 Euro aufgeladene, freigeschaltete Prepaid-Handykarte zusammen mit ihrer PIN und einem frankierten Rückumschlag an den Arbeitskreis (Adresse: Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, Marcus Brauner, Hilgenborn 22, 34593 Knüllwald Remsfeld). Nach wenigen Tagen erhält man eine andere, ebenfalls mit 10 Euro aufgeladene Handykarte mitsamt Rufnummer und PIN-Code zurück gesandt. Mit dieser Karte kann man nun telefonieren, ohne dass die eigenen Personalien bei dem
Anbieter gespeichert sind. Auch der Arbeitskreis protokolliert keinerlei Daten der Tauschpartner. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung betont, dass der Tausch von Handykarten vollkommen legal ist.

Die ganze Sache hat nur einen (gewaltigen) Pferdefuß: was tun, wenn der Empfänger der auf den eigenen Namen registrierten Karte Übles treibt? Wie jede Anonymisierungstechnologie und genau wie jedes Gesetz, das dem Bürger Freiheiten einräumt, kann auch das SIM-Tauschsystem recht leicht missbraucht werden – auf der Homepage findet sich dazu eine ausführliche Erklärung, das allfällige Risiko muss jeder selbst abwiegen:

Wenn Sie die eingeschickte Karte auf Ihren Namen registriert haben, haben Sie einen Vertrag mit dem Telekommunikationsunternehmen geschlossen, der auch nach Weitergabe der Handykarte fortbesteht. Da es sich um eine Guthabenkarte handelt, entstehen Ihnen daraus im Normalfall keine Verpflichtungen.

Die von Ihnen eingesandte Karte wird an eine beliebige andere Person weiter versandt. Es ist nicht auszuschließen, dass mit Ihrer Karte Missbrauch getrieben wird. Dies kann im Extremfall dazu führen, dass Sie zu unrecht in den Verdacht einer Straftat kommen. Dieses Risiko besteht allerdings bei jedem Verkauf eines Handys, Kraftfahrzeugs usw. und dürfte recht gering sein. Zur Sicherheit erhalten Sie von uns eine Bestätigung, dass Sie Ihre alte Handykarte eingetauscht haben (unter Angabe der Rufnummer der Karte) und dass die Karte an eine zufällige Person weiter versandt wurde.

Weitere Informationen gibt’s beim Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung.

Update: Risiken des Simkartentausches

Seit gestern Heise im Newsticker über die SIM-Tauschbörse berichtet hat, verbreitet sich die Nachricht innerhalb der Blogosphäre wie das sprichwörtliche Lauffeuer. Jens Ferner warnt vor möglichen Missbrauchsszenarien, das Lawblog ebenfalls:

Allerdings trägt jeder Teilnehmer das Risiko, dass der Empfänger seiner Karte ins Visier von Ermittlungsbehörden gerät. Die Behörden haben als ersten Anlaufpunkt oft nur die Registrierungsdaten der Mobilfunkfirma.

Und Ravenhorst spricht einen zentralen Punkt an – von Anonymität im eigentlichen Sinn kann keine Rede sein:

Die gehen davon aus, dass man eine SIM-Karte, die man regulär mit Registrierung der eigenen persönlichen Daten erstanden hat, zur Tauschbörse sendet und dafür die SIM-Karte eines anderen Tauschbörsennutzers erhält, die dieser wiederum regulär mit Registrierung erstanden hat. Das bedeutet im Endeffekt, jeder telefoniert mobil mit den beim Provider gespeicherten persönlichen Daten eines anderen. Das verhindert zwar die Zuordnung von Gesprächsbeziehungen zur richtigen Person, aber anonym ist es nicht.

0 Kommentare
  1. Greg
    Greg sagte:

    In Österreich gibt es ja noch andere Möglichkeiten Anonym zu Telefonieren un Surfen: man geht zum Hofer (in .de als Aldi bekannt) und schnappt sich eine YESSS! Karte. Ohne irgenwelche ausweise, usw. Ganz Anonym eben.

  2. Jens Ferner
    Jens Ferner sagte:

    Ich denke, man sollte die Finger davon lassen:
    !.html

    Gerade jüngere Menschen sind unkalkulierbar, man denke an den 16 Jährigen der aus Frust über eine gerade erteilte 5 im Sekretariat seiner Schule anruft und ein „Massaker“ ankündigt – wohlwissend das niemand seine genutzte SIM-Karte ihm zuordnen kann.
    Die panische Reaktion unserer Presse bei solchen „verhinderten Amokläufen“ lässt mich ganz böses ahnen, was dann auf denjenigen zukommt dessen Karte da genutzt wurde.

    • ritchie
      ritchie sagte:

      Da muss ich dir durchwegs zustimmen – man darf ja nie vergessen, dass die Karte auf einen selber registriert ist; schwer zu sagen, wieviel im Ernstfall die schriftliche Bestätigung, dass die Karte getauscht wurde, was bringt… das war auch mein erster Gedanke. Ich hab im Artikel ein kleines Update gemacht und die von dir zitierten Berichte verlinkt.

    • ritchie
      ritchie sagte:

      Die Crux dabei ist halt, dass man dem Verkäufer vertrauen muss, was die Zuordnung betrifft; de facto widerspricht das angebot aber deutschem Recht, oder? (ich kenn die Rechtslage im Nachbarland nicht genau.)

  3. Simlock
    Simlock sagte:

    Hallo ritchie,

    hab mal ein wenig recherchiert. simonym.com verkauft quasi gebrauchte SIM-Karten, was durchaus legal in Deutschland ist. Ist halt ein größerer Trödel-Stand-Aufkäufer oder so ;)

  4. Xkwadrat
    Xkwadrat sagte:

    Mich würde mal interessieren wie sicher denn simonym.com ist. Auf der Gulli Seite wird sogar damit geworben. Im Zweifel hat der Verkäufer ja meine Adresse und personen bezogenen Daten. Hat jemand mal geprüft wer hinter der Site steht?

  5. Tina
    Tina sagte:

    Naja, ich find‘ jetzt auch, dass man nicht irgend welche anonymen SIMs braucht. Zwar habe ich ebenfalls schon welche auf ’n fiktiven Namen registriert, aber nutzen tut man es ja doch nicht, warum auch?
    Und wenn ich nur einfach so jemanden anrufen will um zu wissen wer mich da angerufen hat oder so, dann kann ich die Rufnummer auch noch unterdrücken.

    • ritchie
      ritchie sagte:

      Es geht allerdings weniger um die Rufnummernunterdrückung, sondern um die prinzipielle Nicht-Nachverfolgbarkeit solcher Anrufe auch durch den Betreiber (Sender/IMEI ja, aber eben keine zugeordneten Personendaten bzw. die falschen.)

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