Corinna glaubt an Qualitätsjournalismus, datenschmutz zweifelt stark

Corinna glaubt an Qualitätsjournalismus, datenschmutz zweifelt stark

Die von mir sehr geschätzte sowie herausragend schreiben und moderieren könnende Corinna Milborn durfte ich vor wenigen Jährchen bei einer Observer-Veranstaltung kennen lernen, bei der wir beide am Podium saßen. Die Anekdote von ihrer sehr gern lesenden Großmutter respektive der damals grassierenden Befürchtung vor potentieller „Lesesucht“ habe ich seither in etlichen Workshops und Vorlesungen erzählt. Ich nenne die Geschichte „Milborn’s Razor“, in Anlehnung an Ockham. Weil man damit so schön medien-apokalyptischen Medusen die Theorien köpfen kann.

Heute hat Corinna Milborn einen Text über den potentiellen Niedergang des Qualitätsjournalismus verfasst und veröffentlicht, natürlich auf Facebook. Denn schließlich soll der Schuldige ja von ihren Vorwürfen und Argumenten erfahren, und die sind exzellent und schwer widerlegbar.

Zwingen mich jedoch trotzdem zu ein paar erratischen Anmerkungen.

Das Kwalitätsjournalismus

Reden wir hier über Qualitätsjournalismus oder über „den“ Qualitätsjournalismus? Denn es handelt sich um eines jener raren Wörter, die man ohne oder mit bestimmtem Artikel verwenden und ihm schon allein dadurch eine Bedeutungs-Nuancierung verleihen kann.

Vielleicht ist das aber auch bloß die Innenperspektive eines Kommunikationswissenschaftlers. Und die Welt braucht eindeutig mehr Blogger als erstere, oder Journalisten, wie das früher geheißen hat. Schon wieder ein Wort, das ein bestimmter Artikel sofort in eine Richtung drängt. Obschon in die entgegen gesetzte:

„Der Qualitätsjournalismus“ klingt gravitätischer als „Qualitätsjournalismus“.

„Journalisten“ klingt wertneutraler als „die Journalisten“, bei denen schon ein „diese Journalisten“ oder gar „dieses Journalistenpack“ hinter der Ecke auf seinen Einsatz lauert.

Das erinnert mich an eine weitere Anekdote, welche mir in meinem ersten Semester in der Vorlesung Mediengeschichte zugetragen wurde: Damals war gerade eine großangelegte Studie über das Image verschiedener Berufe erschienen. Natürlich ging der erste Platz mit weitem Abstand an Äskulaps Jünger, dann folgen Lehrer, Köche, Maurer, Elektriker, Gartenzaunaufsteller, Müllmänner, Konditoren. Das Schlusslicht bildete eine inhomogene, aber wohl nicht sehr angesehene Mischpoche aus Versicherungsvertretern, Auftragskillern und Journalisten.

Okay, die Auftragskiller hab ich erfunden. Das war alles noch vor Frank Stronachs Zeit in der österreichischen Politik. Ich meine, es waren Politiker, kann mich aber im Zweifelsfall morgen nicht mehr daran erinnern.

Damit zurück zu Corinnas Text, den sie mit „Wie viel unserer Arbeit und Zeit können wir Facebook schenken, ohne den Journalismus zu vernichten?“ betitelt. Es finden sich darin drei Thesen:

1. Facebook ist längst nicht mehr nur ein soziales Netzwerk, sondern ein Medium (das österreichische Mediengesetz definiert Medium etwa so: „Jedes Mittel zur Verbreitung von Mitteilungen oder Darbietungen mit gedanklichem Inhalt in Wort, Schrift, Ton oder Bild an einen größeren Personenkreis im Wege der Massenherstellung oder der Massenverbreitung“.) Damit ist Facebook wohl der einzige direkte Konkurrent, dem andere Medienunternehmen ihre Arbeit schenken und damit die wertvollste Ressource zu Facebook verlagern: Die Zeit und Aufmerksamkeit unserer Seherinnen und Leserinnen.

Dem liegen zwei Missverständnisse zugrunde: Um sich als Medium definieren zu können – nicht im McLuhan’schen, sondern im Sinne des österreichischen Mediengesetzes – braucht es nun mal besagte Mitteilungen, Darbieten, halt diesen lästigen gedanklichen Inhalt. Den stellt ein Teil des Mediums her, der Redaktion heißt. Weniger haarspalterisch verhält es sich mit dem zweiten Irrtum: Die wertvollste Ressource sowohl „der Medien“ als auch Facebooks ist keineswegs die Zeit und Aufmerksamkeit der Leser, sondern das Geld der Werbekunden. Erstere sind bloß Mittel zum Zweck, Rohstoff, Ware, aber eben nicht Kunde. Diesen Unterschied hat Facebook in den letzten Jahren deutlicher aufgezeigt als alles andere.

2. Facebook ist zugleich anderen Medien gegenüber bevorzugt: aus unerfindlichen Gründen zahlt Facebook keine Werbeabgaben und keine Umsatzsteuer und muss sich bei der Zusammenstellung des Newsfeed nicht an Medienrecht halten – daher das enorme Problem mit Hasspostings, aber auch die Vermischung von News und Werbung.

Die Gründe sind durchaus nicht unerfindlich. Freilich hat hier die steuerregulatorische Europa-Politik versagt. Aber die österreichischen Presse-/Inseratenförderung war auch nie ein Ponyhof. Was den Newsfeed betrifft: „Nicht ans Medienrecht halten müssen“ ist Polemik, rechtliche Bestimmungen der jeweiligen Länder spielen für Facebook sehr wohl eine zunehmende Rolle. Medienrecht aus den unter Punkt 1 erläuterten Gründen aber zurecht nicht.

3. Werbeetats wachsen nicht ins Unendliche. Was zu den US-Unternehmen Facebook, Google, Twitter fließt, fehlt bei unseren Einnahmen – und somit bei der Finanzierung von Journalismus in diesem Land. Das gilt auch für Bezahlmedien: je mehr journalistisch hochwertige Geschichten gratis und bequem direkt hier erhältlich sind, umso weniger wird das Publikum bereit sein, woanders für diese Arbeit zu zahlen.

Etats mögen in der Logik des unbegrenzten Wirtschaftswachstums womöglich sehr wohl ins Unendliche wachsen, aber TV hat nun mal den Radiostar umgebracht und Geschichte wiederholt sich. Als spezifisches Problem des österreichischen Mediensystems sehe ich keineswegs das Abfließen hunderter Millionen zu Facebook Ads, sondern die seit 20 Jahren hartnäckig anhaltende Weigerung, Online-Werbung in den gleichen Zehnerpotenzen zu denken wie Klassik. Denn jene österreichischen Unternehmen, die pro Monat gleich viel Geld für Facebook Werbung ausgeben, wie ein ORF oder Puls4 Spot zur Primetime kostet, lassen sich an maximal 2 Händen abzählen.

Die Disruption kommt

Dass wir einen rasanten Medienwandel erleben, dessen letztes Opfer gewiss nicht das Wirtschaftsblatt gewesen sein wird, steht außer Zweifel. Die Misere der österreichischen Medien ist zu einem hohen Teil aber hausgemacht.

Der völlig schamlosen Vermischung von Werbung und Inhalten haben klassische Massenmedien selbst den Weg bereitet.Click To Tweet

Bei der Vorstellung, dass in 20 Jahren Qualitätsjournalismus eine Art Mäzenatenhobby erfolgreicher Start-Up Verkäufer werden könnte, ist mir auch nicht besonders wohl. Dass Qualitätsjournalismus zukünftig aber nicht mehr aus altmodischen Schreibstuben kommen kann, ganz genauso. Soll Profil ruhig noch zwanzig Titelstories über Knieschmerzen, Kreuzschmerzen und Kopfschmerzen bringen, es kommt schon was Besseres nach. Da bin ich sehr zuversichtlich, deshalb bezweifle ich auch Corinnas Schlussfolgerung stark:

Wenn niemand mehr professionell informiert, überprüft und nachfragt, geht dieses Land nämlich schneller den Bach runter, als ihr denkt.

Also entweder passiert das schon längst, oder die Sache mit dem Informieren war dann doch nie so super-wichtig, wie der Verein der Freunde der Vierten Gewalt stets vermutet hatte. Am selben Tag CNN, NTV, Russia Today und dann ORF / ATV / Puls4 Nachrichten zu sehen, ist nämlich ganz untheoretisch sehr ernüchternd. Und dass ein ORF-Redakteur gerne twittert, ersetzt im Übrigen noch lange keine mühsame, langwierige Recherche-Arbeit. Aber Bonmots waren schon immer billiger zu haben als Reportagen. Mein ungewöhnlich strenges Resümee lautet daher:

Einer bloß nominellen Medienvielfalt, innerhalb derer sich jeder Redaktionsoutput aus denselben Pressemeldungen speist, wird kein Medienkonsument eine Träne nachweinen.

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