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Wilde Experimente: von der skurrilen Wissenschaft

Als ehemaliger Physikstudent, begeisterter Ex-Platinen-Ätzer und -(Ent)löter habe ich einen gewissen Hang zum experimentellen Erkenntnisgewinn. Das begann eigentlich schon mit 13 im Physikunterricht: einen Experimentierkasten brauchten wir nicht, für die ersten Elektrolyse-Experimente mussten Leitungswasser, Waschmittel und ein Lego-Trafo herhalten, und von dort war’s nur mehr ein kurzer Weg bis zur ersten (kleinen) Wasserstoff-Explosion im Heimlabor. Nun zeichnet sich das klassische wissenschaftliche Experiment im Normalfall nicht gerade durch übermäßige Skurrilität aus, aber Ausnahmen bestätigen die Regel. Und 20 solcher „irren Experimente“ gibt’s unter dem Titel Durchbrüche der Durchgeknallten auf einestages online zu bewundern.

Vom Elefanten, der in kürzester Zeit der höchsten LSD-Dosis aller Zeiten erlag bis zu rumänischen Forschern, die sich zu Studienzwecken (freiwillig!) selbst erhängten reicht das skurrile Spektrum. Mein Favorit: der Pechtrichter der Universität von Queensland in Australien – er gilt als das „langweiligste Experiment der Welt“:

Seine Karriere begann bereits 1927, als Thomas Parnell eine merkwürdige Idee hatte. Der Physikprofessor füllte heißes Pech in einen unten verschlossenen Trichter. Dann wartete er drei Jahre, bis sich das Pech gesetzt hatte. 1930 dann öffnete er die Spitze des Gefäßes – und es passierte… erst mal nichts. Erst im Dezember 1938 fiel der erste Tropfen Pech in das Reagenzglas darunter.
Das Pitch Drop Experiment veranschaulicht eine erstaunliche Eigenschaft von Pech. Zwar scheint die schwarze Substanz bei Raumtemperatur die Konsistenz von Stein zu haben, doch genau genommen ist sie flüssig – nur etwa 100 Milliarden Mal zähflüssiger als Wasser. So hat der Superstar der Universität von Queensland nur alle acht bis zwölf Jahre seinen großen Auftritt. Bisher sind insgesamt erst acht Tropfen gefallen, der letzte am 28. November 2000. Als es geschah, war allerdings noch nie jemand dabei.

Schließlich beantwortet dieser Versuch nicht nur die Frage nach dem Aggregatszustand von Pech, sondern auch den alten Klassiker: „Was passiert, wenn ein Tropfen Pech aus dem Trichter fällt und niemand sieht zu?“

Sogar Online-Marketer finden beim Experiment Nr. 6 eine wertvolle Inspiration – die Psychologin Youngme Moon wollte an der Universität von Harvard herausfinden, ob sich das interpersonelle Empathie-Phänomen auch auf die Mensch-Maschine Kommunikation übertragen lässt:

Ihre Probanden mussten am Computer elf persönliche Fragen beantworten. Etwa: Was war die größte Enttäuschung in Ihrem Leben? Oder: Was sind Ihre Gefühle gegenüber dem Tod? Ein Teil der Versuchsteilnehmer gaben einfach Frage für Frage in den PC ein, bei den anderen ging jeder Frage ein kurzer Text mit Informationen über den Computer voraus. Vor der Frage „Wann waren Sie das letzte Mal sexuell erregt?“ zum Beispiel „verriet“ der Computer folgendes über sich: „Vor einigen Wochen kam ein Benutzer hierher und brauchte diesen Computer, um ein digitales Video zu schneiden. Das hatte noch nie jemand auf diesem Computer gemacht.“ Und tatsächlich: Gab der PC vorher auch etwas über sich preis, waren die Antworten stets detaillierter, länger und persönlicher.

Als großartige instruktiv erweist sich auch der sogenannte „Dunning-Kruger-Effekt“: je inkompetenter jemand ist, desto mehr neigt er zu grenzenloser Selbstüberschätzung (da fallen mir ad hoch eine Reihe von Beispielen ein):

1999 fanden die Psychologen David Dunning und Justin Kruger anhand einer Reihe von Tests heraus, woran das liegt. Sie ließen eine Gruppe von Studenten Arbeitsblätter zu Themen wie Grammatik, Logik oder Humor ausfüllen. Am Ende des jeweiligen Tests musste jeder Student angeben, wie gut er im Vergleich zu den anderen Teilnehmern war. Mit erstaunlichem Ergebnis: Bei allen Fragebögen glaubte das schlechteste Viertel der Probanden von sich, weit über dem Durchschnitt zu liegen – selbst dann noch, als ihnen die Testbögen der besten Teilnehmer zur Ansicht gegeben wurden.

Lust auf weitere Stories aus dem Labor? Dann kann ich die Bücher von Reto Scheider nur wärmstens empfehlen – der Redakteur der Neuen Zürcher Zeitung hat die zwei deutschsprachigen „Standard-Werke“ über skurrile Versuchsaufbauten verfassten:

Reto Schneider: Das Buch der verrückten ExperimenteWilde Experimente: von der skurrilen Wissenschaft
Reto Schneider: Das neue Buch der verrückten ExperimenteWilde Experimente: von der skurrilen Wissenschaft

0 Kommentare
  1. Trierer
    Trierer sagte:

    Ja hab das auch gelesen, dachte gerade das ich das doch irgendwoher kenne. Am krassesten ist immer noch der Typ mit dem Mageninhalt des Verstorbenen, da hats mir echt den Magen rumgedreht… Für diejenigen die es noch nicht gelesen haben: Es geht darum, sich mit dem Mageninhalt eines Verstorbenen selbst eine Magenschleimhautentzündung zu holen. Wie das im Detail funktioniert, erläutere ich hier lieber nicht, sonst krieg ich noch Ärger mit dem Ritchie :) Lest es auf jeden Fall, ist sehr interessant :D

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