Abschied von friedlicher Koexistenz?

Abschied von friedlicher Koexistenz?

In der Frankfurter Rundschau erschien am 28. März ein Reprint eines übersetzten Artikels von Louis Bayard über dessen aktuelle Einschätzung der politischen Position des Dalai Lama. Nix gegen Kritik am Oberhaupt der buddhistischen Religion, aber Abschied vom Dalai Lama verfolgt eine sehr seltsame Argumentationslinie:

Die tibetische Exil-Regierung wird von keiner einzigen Nation anerkannt, und nach jahrelanger Politik der Anpassung und Passivität – der Dalai Lama fordert keinen separaten tibetischen Staat mehr, sondern nur noch die friedliche Koexistenz mit den Chinesen – sind die Besatzer um keinen Millimeter zurückgewichen.
[…]
Das dürfte vor allem daran liegen, dass er (der Dalai Lama) so wenig von uns verlangt. Für das westliche Publikum gibt seine Botschaft nicht viel mehr zu verstehen als ein Benetton-Plakat: Seid nett und lebt glücklich. Es wird kein ernsthaftes Glaubensbekenntnis gefordert, ja nicht einmal ordentliche Geldgaben scheinen zu interessieren (zum Glück hat der Schauspieler Richard Gere die Badezimmer des Dalai Lama bezahlt). Es werden keine (Selbst-)Opfer gefordert, fühlen Sie sich einfach frei, Ihr „Free Tibet“-Banner vor irgendeiner chinesischen Botschaft aufzustellen. All das ist nicht gerade viel angesichts der mehr als sechs Millionen Tibeter, die unter der Gewaltknute Chinas zu leiden haben. Aber was fordern, wenn der Dalai Lama selbst der Volksrepublik verziehen hat? Das sagte er: „Unsere wirklichen Feinde sind unsere schlechten Gewohnheiten, die uns denken lassen, dass wir Feinde haben… Den Terror, den wir erleben, haben wir selbst angerichtet.

Die FR erlaubt keine Kommentare, sondern nur sogenannte „Leserbriefe“ mit der Option auf Veröffentlichung… eine Frage zum Artikel konnte ich mir jedenfalls unmöglich verkneifen; denn eine Religion dafür zu verurteilen, dass sie „kein ordentliches Glaubensbekenntnis fordert“, zeugt wirklich von gravierender Unkenntnis der Lehre Buddhas: im Gegensatz zu den meisten Religion gehen Buddhisten von den sogenannten „Fahrzeugen“ (kleines, mittleres, großes) aus: im Wesentlich geht’s darum, die Leudde dort abzuholen, wo sie stehen – und eben nicht um die ultimativ richtige Wahrheit, aber das nur am Rande. Mir stieß der suggestive Subtext des Artikels sauer auf:

Ich bin immer wieder aufs Neue überrascht, auf welche tendenziöse Interpretation die Lehren Tenzin Gyatsos im Westen stoßen. Die „Weltanschauung“ der Dzog Chen Religion lässt sich nun mal, im Gegensatz zu Slogans von Firmen wie Benetton, nicht auf wenige Worter reduzieren; versucht man das trotzdem, dann kommt so ein „gut gemeinter Stuss“ raus wie im vorliegenden Artikel. Ja natürlich kann man jeden Aufruf zur friedlichen Koexistenz als „Billigung“ (von was auch immer verstehen)… aber das wäre eine lange Diskussion. Eine Frage interessiert mich allerdings brennend nach der Lektüre dieses Artikels: was wäre denn nach Meinung des Autors die Alternative? Dass der Dalai Lama zur Gewalt gegen die chinesischen Besatzer auffordert? Und überall verkündet, dass friedliche Koexistenz eben doch keine Option sein, weil Menschen halt ab und an ein paar aufs Maul brauchen?

0 Kommentare
  1. Mikee
    Mikee sagte:

    Ich geb‘ Dir völlig recht, die Argumentationslinie ist seltsam, allerdings spiegelt der Artikel – vielleicht unbeabsichtigt – das Dilemma, in dem sich die Institution der Dalai Lamas seit ihrer Machtübernahme durch den „Großen Fünften“ befindet: Einerseits ist der Dalai Lama zwar das politische Oberhaupt und somit absoluter Herrscher des alten Tibets, andererseits kann aber keine Rede davon sein, daß er das religiöse Oberhaupt der Tibeter oder gar „der Buddhisten“ ist. In Wirklichkeit ist er nicht einmal das Oberhaupt seiner eigenen „Gelugpa“-Schule (die „Gelbmützen“, übersetzt „die Tugendhaften“). Das ist nämlich der Abt des Klosters Ganden (Ganden Tripa Rinpoche) und der wird kurioserweise nicht reinkarniert, sondern jeweils für eine bestimmte Zeit ernannt. Traditionellerweise war die Position des Dalai Lama also politisch ein sehr starke, während sie sich spirituell nicht wesentlich von anderen reinkarnierten Meistern unterschied, und von diesen Reinkarnationslinien gibt es hunderte. Heute hat sich diese Position ins Gegenteil verkehrt: Der Dalai Lama wird von vielen als spirituelles Oberhaupt der Tibeter angesehen, verfügt aber über keinerlei politische Macht. Es bleibt ihm also nichts anderes übrig, als als buddhistischer Meister zu handeln und entsprechende Ratschläge zu geben. Und dazu gehört eben auch der bedingungslose Verzicht auf Gewalt, auch wenn dieses Mantra schon vielen in der Exilregierung und im Tibetan Youth Congress sauer aufstösst. Tatsächlich gibt es aber auch keine Alternativen, denn nur absolute Gewaltlosigkeit sichert den Tibetern die nötige moralische Überlegenheit, mit der sie zumindest international argumentieren können – denn sonst wäre es nur ein Bürgerkrieg unter vielen.
    Der Autor hat aber durchaus nicht unrecht, wenn er meint, daß die Zeit des Dalai Lama abgelaufen sei – wenn auch wieder aus einem völlig anderen Grund: Für die Chinesen ist der Dalai Lama kein Verhandlungspartner, denn der Gesichtsverlust, mit ihm an einem Tisch zu sitzen wäre zu groß, dieser Zug ist mittlerweile angefahren. Sie gehen ja schon so weit, daß sie den jungen Panchen Lama seit Jahren an einem unbekannten Ort gefangen halten, offensichtlich nur um zu verhindern, daß im Falle des Ablebens des derzeitigen Dalai Lama ein neuer ernannt werden kann – denn für die Auffindung der Reinkarnation des Dalai Lama ist der Panchen Lama zuständig (und umgekehrt). Mittlerweile müssen ja überhaupt schon alle Reinkarnationen von den Chinesen bewilligt werden – etwas kurios für einen vorgeblich säkularen Staat (siehe ). Eine Lösung des „Tibet-Problems“ wird also letztendlich wohl so aussehen wie es sich der Dalai Lama vorstellt – eine Art von Autonomie im großen China. Aber er wird nicht mehr derjenige sein, der diese verhandelt, sondern wohl viel eher ein gewählter Vertreter des tibetischen Volkes aus dem Exil.

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