ars electronica 2009: von der menschlichen Natur

ars electronica 2009: von der menschlichen Natur

Die diesjährige ars electronica wählte Human Nature als verbindende Klammer des umfangreichen Festivalprogramms, im Fokus des traditionell hochkarätig besetzten Symposiums standen Biotechnologie und Cloud Computing. Da sich Linz in diesem Jahr mit dem ehrenvollen Titel „europäische Kulturhauptstadt“ schmückt, bot sich den Besuchern auch abseits der medienkünstlerischen Leistungsschau ein breites Spektrum kulturellen Fast- und Slowfoods. Außerdem glaubt man gar nicht, wie uralt die digitale Medienkunst schon ist: 2009 feierte das ars electronica Festival sein 30jähriges Jubiläum :mrgreen: Meine persönlichen Highlights: Niklas Roys Afrika-Hoax und Xiao Qiangs Keynote Activism without organization über die chinesische Internet-Szene.

ars electronica 2009 - human nature

 

Leitungsschau des MIT

In der Kunstuniversität zeigten Studenten des Massachusetts Institute of Technology unter dem nicht gerade niedrig trabenden Titel IMPETUS ihre Visionen einer vernetzteren Welt. Da gab es interaktive digitale Bilder zu sehen, eine Mona Lisa, die am Monitor nicht nur begrapscht, sondern sogar temporär zerkratzt werden durfte und Ideen zu neuen Musikinstrumenten. Die Ausstellung empfand ich als äußerst lehrreich, da sie viel über den gegenwärtigen Status der Netzkunst verrät: der Abstand zwischen der sogenannten „Avantgarde“ und dem konsumatorischen Mainstream hat ganz gewaltig abgenommen.

Mehrere Faktoren sind dafür ausschlaggebend. Da wäre einerseits die Materialverfügbarkeit: während es in den 80ern noch vergleichsweise schwierig war, etwa an einen Touchscreen zu kommen, werden einem die Dinger mittlerweile quasi an der Tanke nachgeworfen. Andererseits beschleunigen sich die Entwicklungszyklen der Gadget-Produktwelt drastisch, dass beispielsweise neue Handys, welche die Möglichkeiten aktueller Technologie ausreizen, möglichst rasch als Beta-Versionen auf den Markt kommen und erst gemeinsam mit den Benutzern, die zu (großteils unfreiwilligen) Testern mutieren, fertig entwickelt werden. Sind die Bugs gefixt und läuft das Werkl einigermaßen stabil, steht sowieso schon der Nachfolger in den Startlöchern. Mit anderen Worten: der „Medienkunst“, die in den 90ern mal für kurze Zeit net.art hieß, aber kurz darauf ihre Todesurkunde von Alexej Shulgin ausgestellt bekam, ist eine ihrer ehemaligen Hauptlegitimationsstrategien abhanden gekommen: nämlich jeweils verfügbare Interface-Technologien bis an ihre Grenzen auszureizen.

Noch in den frühen 90ern konnte man Kuratoren mit noch so schwindligen Installationen unglaublich beeindrucken – so diese in irgendeiner Form mit „Interaktivität“ zu tun hatten, doch im Zeitalter von iPhones und FlySticks sorgen in Monitoren versteckte Eyetracking-Systeme oder Webcams, die „zwei Orte verbinden“, allenfalls für Gähnorgien. Dass die meisten derartigen Installation im Praxisbetrieb schlichtweg nicht funktionieren, stellt dabei den interessantesten Aspekt vor: im Kontext des Kunstdiskurses scheint mir die illustrative Ausführung einer Idee entscheidender als deren technisches Funktionieren – ein Gedankengang, der elegant zum brasilianischen Künstler und Kunst-Professor Eduardo Kac überleitet.

Eduardo und seine Edunia – eine Fabelpflanze?

Eduardo Kac hatte die weite Reise aus Brasilien auf sich genommen, um beim Panel Human Nature II die von ihm kreierten Lebewesen einem unglaublich unkritischen Publikum zu präsentieren. Ob in Neon-Farben leuchtende Hasen oder „alternative Populationen“, Kac betätigt sich (vorgeblich) vorzugsweise als Schöpfer neuen Lebens. Hauptthema seines Vortrags war die Pflanzenkreation „Edunia“, eine genetisch modifizierte Petunie, in die Kac laut eigener Aussage Teile seiner DNA eingebaut hat, sodass die Pflanze dasselbe Protein erzeugt wie sein eigener Körper.

Der routinierte Showman wählte natürlich eine zartrosa Petunie mit roten „Adern“ (jede Petuniensorte weist diese Ader-Struktur in den Blütenblättern auf) – mehrmals wies er im Vortrag explizit darauf hin, dass in sein rotes Blut in dieser Pflanze fließen. Dass das fragliche Protein vollkommen farblos ist, spielt dabei ebenso wenig eine Rolle wie die Frage nach der realen Durchführbarkeit dieses Experiments. Nicht nur die Ausrede, er habe keine Pflanze mitbringen können, weil die „Zeit zur Stabilisierung für den Transport“ nicht ausreichte, erschien mir hochgradig eigenartig: mein biogenetisches Wissen reicht (wie übrigens das aller Anwesenden, die ich zu dem Thema befragt habe), schlicht nicht aus, um entscheiden zu könne, ob eine solche Manipulation beim derzeitigen Stand der Forschung überhaupt möglich ist. Man müsste wohl zum Telefonhörer greifen und jenen Genetiker befragen, der die „technische Ausführung“ übernahm.

Allerdings ist die Frage nach der Realität des gezeigten vollkommen irrelevant: Kac provoziert mit seinen Vorträgen, bringt das Thema „genetische Manipulation“ in die Debatte ein und hat sich nach dem Ende seiner net.art Karriere eine einigermaßen aktuelle Nische im Kunstkontext geschaffen, die ihm in den nächsten Jahren gewiss noch viele Festival-Einladungen einbringen wird.

Der folgende Vortrag des „echten“ Genforscher Josef Penninger zeigte allerdings, dass die Labor-Realitäten nicht allzu weit von Kacs leuchtenden Hasen entfernt sind: die sogenannten „Breakdown-Rat“, eine hybride Kreuzung aus genetischen Sequenzen von Ratte und Hamster, die auch phänotypisch entsprechend aussieht, ist definitiv kein Fantasieprodukt. Für mich neu und aufschlussreich: der vor wenigen Jahren als State-of-the-Art der Forschung akzeptierte Schluss, dass lediglich 95 Prozent unseres genetischen Codes bloß evolutionärer Müll seien und die restlichen 5 Prozent alle relevanten Informationen speichern, ist schlichtweg falsch – eigentlich keine große Überraschung, aber eine interessante Fußnote im Hinblick auf die ethische Kompetenz im Umgang mit Gentechnologien (die, so meine Befürchtung, wohl bloß pragmatisch a-posteriori entstehen dürfte).

Niklas Roy: wie man eine Afrikanerin erschafft

Für die Konzept-Ausstellung 80+1 hat sich der Medienkünstler Niklas Roy eine ganz besondere Einreichung ausgedacht. Die recht engen Vorgaben – es sollten jeweils zwei Orte virtuell verbunden werden – inspirierten den Berliner zu einem Projekt, das wie der Schlüssel ins Loch passen sollte. Er recherchierte einen Ort in Mali, erfand eine afrikanische Einreicherin, die eine Wasserpumpe in Mali mit der Spülung einer österreichischen Toilette samt Münzeinwurf verbinden wollte. Wer zahlt und spült, verschafft damit der afrikanischen Siedlung, live über Internet gesteuert, kostbares Frischwasser. Der Name WIA<>WIA steht für „Water in Africa < > Water in Austria“.

Niklas Plan funktioniert so gut, dass die Jury die fiktive Melissa Fatoumata Touré unbedingt via Video-Conferencing kennen lernen wollte. An diesem Punkt trieb der begabte Bastler seinen Hoax auf die Spitze: eine Bekannte mit Afro-Perücke und schwarzem Make-Up schlüpfte in die Rolle der Afrikanerin, aufgenommen wurde im afrikanischen Internetcafé, bei dem es sich in Wahrheit um einen umgebauten Teil von Niklas‘ Werkstätte handelte. Ein ausgefeiltes 3D-Panorama, Greenscreen-Aufnahmen und eine Rückproduktion, schon war die perfekte Täuschung fertig. Was die Jury letztendlich zweifeln ließ, war lediglich das Ausbleiben des afrikanischen Sonnenuntergangs.

Niklas Roys Projekt wurde trotzdem angenommen, im Rahmen der ars erklärte er in seinem Vortrag die amüsante und nahezu unglaublich Entstehungsgeschichte – für mich definitiv der Höhepunkt des Festivals, denn derart gelungenes „Diskurs-Hacking“ (sowohl auf der Ebene der vagen Vorstellungen, die Europäer von Afrikanern haben als auch auf der Ebene der Regeln des Kunstbetriebs) finde ich persönlich weit spannender als den 100. Monitor, der ein paar Pixel umfärbt, wenn ein Ausstellungsbesucher im näheren Umkreis Darmwinde entweichen lässt.

Fazit: Nach fünf Jahren ars-Abstinenz hat mir der Ausflug in die oberösterreichische Stahlstadt gut gefallen – und deutlich gezeigt: die Ära, in der Interaktion per se ein Faszinosum im Kunstbereich darstellte, endete mit dem vorigen Jahrtausend. Mittlerweile haben alle Besucherkapiert, dass Touchscreens auf Berührung reagieren, Sensoren Umwelt-Parameter auswerten und Gerätschaften interaktiv-dynamisch reagieren. Aber das war im Museum nur spannend, als wir derartige Devices noch nicht mit uns in der Hosentasche rumtrugen: ich persönlich denke, dass durch die überfällige Überwindung der Technik-Faszination Netz/Medien/Kunst in den nächsten Jahren nur gewinnen kann. Aber Biotechnologie ist die neue net.art: keiner kennt sich aus, und der beste Geschichtenerzähler gewinnt die höchst-dotierten Contests – das macht mir den Kunstbetrieb schon fast wieder sympathisch.

0 Kommentare
  1. Franz
    Franz sagte:

    Feine Analyse Ritchie, gehe nach einem Kurzbesuch bei der ARS weitgehend d’accord mit dir: @ Kac: diese transgenen „Wesen“ gehören im Biolabor zum Standardrepertoire – das Interessante dabei ist wirklich das „Gedankenexperiment“ so wie bei vielen MIT-Exhibits, an denen aber teilweise echt ein langer grauer Bart klebt.
    Wirklich beeindruckt haben mich die Bio-Farming-Filme von Michael Burton („Nanotopia“) und das BioGenica-„Experiment“ von Adam Brandejs – er „verkauft“ künstliche Kreaturen in einer transparenten Hartplastikverpackung so wie ein Bio-Tamagotchi. Das tut weh – mehr heute Abend übrigens in Matrix, 22.30 Uhr, Ö1.

    • ritchie
      ritchie sagte:

      Ja, die Folks in Blisterverpackungen haben mich auch sehr gewundert… wobei ich mir wiederum nicht sicher war, ob da irgendwas lebt in der Packung. Aber mittlerweile ist mein Hoax-Radar schon so sensibel eingestellt :mrgreen: Die matrix-Sendung fand ich super!

  2. Juergen Hoebarth
    Juergen Hoebarth sagte:

    Oh Genpets, ja die sind sehr sehr schoen, hehe danke Ritchi das du au der Ars warst ich habs leider nicht geschaft dafür extra einzufliegen :-)

    Greetings from Asia

  3. Juergen Hoebarth
    Juergen Hoebarth sagte:

    Hehe Genpets ist ein Kunstprojekt – Inspiriert bei bonsaikitten aber auf http://www.genpets.com/index.php kannst dir mehr infos holen. Find ich eigentlich witzig das das erst jetzt auf der ARs auftaucht ist eigentlich ein altes projekt . Naja wird wohl diesmal erst zum thema gepasst haben .

    Wiederum inspiriert bei Genpets ist mehr odr weniger Banskys letzte Autellung vor ein bar Monaten in NYC http://www.youtube.com/watch?v=c1laBLYjuqM – Kunst lebt ja auch von Copycats remix and insprations ahaha

  4. Juergen Hoebarth
    Juergen Hoebarth sagte:

    oha waren die diesmal vor sale ?? cool cool, hehe naja bei contemporary art is so ne Sache ein Murakami oder ein Nara, Bansky, Hirst oder Damien Hirst cashen halt auch schon zu lebzeiten ;-) nicht erst nach dem Tod – hehe nur naja gibt viele Possibilities im Moment – hehe eher zu viele fuer Artinvestment im Contemporary bereich ;-) und vergiss net net kaufen wegen dem Geld sondern weils dir gefällt und die die Kunst foerern willst, solltest du auch damit Geld verdienen können sieh es als schoener nebenefekt – ahah

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