Barcamp Vienna: Das Web floriert (wieder)

Barcamp Vienna: Das Web floriert (wieder)

Barcamps nennt die New Media Branche ihre informalen, selbstorganisierten Treffen: der Ideologie des Web 2.0 gemäß werden solche auch als Unkonferenzen bezeichneten Veranstaltungen zumeist via WIKI organisiert, die Programmkoordination der einzelnen Vorträge und Diskussionsrunden erfolgt vor Ort. [erschienen auf oe1.orf.at]

Der Name, so die Gründungslegende, leite sich von „foobar“ her: diese Bezeichnung verwenden Programmierer bevorzugt für sogenannte metasyntaktische Variablen oder einfacher ausgedrückt: Platzhalter. Wenn Programmierer sich über Ablaufdiagramme und Algorithmen austauschen, dann bezeichnet foobar also nicht mehr und nicht weniger als das umgangssprachliche „Dingsbums“. Barcamps blühen, seit sich die Internet-Ökonomie von ihrer tiefen Krise Ende Neunziger Jahre einigermaßen erholt hat und Investoren erneut bereit sind, Risikokapital in Start-Up Unternehmen zu pumpen. Mit konventioneller Konferenzorganisation hat der Ablauf eines Barcamps indessen wenig zu tun:

Barcamps sind aus dem Bedürfnis heraus entstanden, daß sich Menschen in einer offenen Umgebung austauschen und voneinander lernen können. Es ist eine intensive Veranstaltung mit Diskussionen, Präsentationen, und Interaktion der Teilnehmer untereinander. (Barcamp.at: Was sind Barcamps?)

Von allen TeilnehmerInnen wird erwartet, daß sie sich aktiv in das Programm einbringen: sei es durch einen Vortrag, durch Mithilfe bei der Organisation oder durch Bewerben der Veranstaltung im eigenen Blog und/oder Bekanntenkreis. Seit der ersten Veranstaltung im Jahr 2005 im kalifornischen Palo Alto manifestierte sich die Barcamp-Idee in weltweit rund fünfzig Städten.

Am 29. und 30. September trafen sich Informationsarbeiter aus dem Überschneidungsbereichen von Technik, Journalismus, Werbung, Medienwissenschaft und Politik zum bereits zweiten Wiener Barcamp in diesem Jahr. Sponsor Microsoft sorgte für die Räumlichkeiten, in denen rund 100 Unkonferenz-TeilnehmerInnen an einem besseren virtuellen Morgen bastelten.

Ganz oben auf der Tagesordnung stand die sogenannte „Blogosphäre“, so die Bezeichnung für die Gesamtheit aller Weblogs. Hannes Offenbacher will mit seiner Blögger-Initiative die heimischen Mikromedien besser vernetzen und sichtbar machen, Martin Staudinger sprach gemeinsam mit dem Autor dieser Kolumne über das Thema „Monetarisierung von Weblogs“ und zahlreiche Diskussionsrunden beschäftigten sich mit der Frage nach der Positionierung von Blogs in Kanon der (Massen)Medienlandschaft. Meral Akin-Hecke präsentierte ihre neue Veranstaltungsreihe Digitalks, bei der Experten aus der Blogger-Szene im Wiener Museumsquartiert interessierten Laien den Einstieg ins digitale Publizieren erleichtern sollen.

Ebenfalls auf breiter Basis diskutiert wurde das Thema „Accessibility: wie können Webseiten gestaltet werden, um für möglichst alle Besucher zugänglich zu sein, unabhängig von allfälligen sensorischen Behinderungen? In diesem Bereich sind noch riesige Anstrengungen zu leisten, wie die Diskussion mit den Fachleuten von MAIN (Medienarbeit Integrativ) schnell klar machte. Die heute gestartete Blog-Aktion, die Ideen zum Thema „integrative Mediengestaltung“ sammelt, entstand im Rahmen dieses Themenblocks.

Natürlich dürfen auf keinem Barcamp die neuesten Web 2.0 Applikationen fehlen: YEurope Gründer Paul Böhm zeigte ein neues Aggregations-Tool namens Soup.io, das es spielerisch einfach ermöglicht, verschiedenste Inhalte völlig ohne Programmierkenntnisse zu einer eigenen Internetseite zu kombinieren, zahlreiche TeilnehmerInnen führten ihre aktuellen Beta-Applikationen auf mitgebrachten Laptops vor. Den Schwerpunkt des Wochenendes bildeten allerdings weder Start-Up Gründen noch neue Businessmodelle: Vernetzung und Netzkultur stießen auf weit mehr Aufmerksamkeit als alle Investor-Talks: Vom Vortrag über das Web 2.0 in China bis zur gemeinsamen Planung einer Blog-Demo zu „Free Burma“ reichte das Spektrum der politischen Inhalte.

Die Barcamp-Szene wächst

Am vergangenen Wochenende steckten fast 300 Web-Bastler ihre Köpfe in München zusammen, für die im November geplante Veranstaltung in Berlin sind bereits jetzt fast fünfhundert TeilnehmerInnen angemeldet. Dass mit dem Wachsen der Szene die Unkonferenzen ihren informellen Charakter beibehalten, scheint derzeit aber sehr unwahrscheinlich: in Deutschland werden paradoxerweise bereits erste Stimmen aus der Community selbst immer lauter, die vehement Eintrittspreise fordern: denn nur so könne man dem Problem begegnen, dass sich präventiv mal zahlreiche Interessenten anmelden, die dann aber gar nicht kommen und anderen die potentiell limitierten Plätze wegnehmen.

Wer bottom-up organisiert, sollte sich indessen darüber klar sein, dass fehlende organisatorische Strenge nun mal eine gewisse Unschärfe mit sich bringt. Jede Fluglinie kennt ihre statistischen Passagier-Ausfallsdaten und überbucht Flüge entsprechend – vielleicht eine Option für zukünftige Barcamps. Denn wo man Eintritt zahlt, da führt der nächste logische Schritt zum Honorar für Vortragende, und von diesem Zeitpunkt an wäre es nicht mehr weit her mit der „Unkonferenz“. Sicher ist allerdings eines: beim nächsten österreichischen Barcamp „Senza Confini“ (Klagenfurt, 2./3. Februar 2008) stehen derartige Professionalisierungsüberlegungen zum Glück noch nicht auf der virtuellen Agenda.

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