Biernominierung

Biernominierung: Prost auf Facebooks 10. Geburtstag!

Ein Gespenst geht mit leichter Verspätung nun auch im deutschsprachigen Facebook um: bei der Biernominierung drehen die Teilnehmer_innen ein Video, bei dem sie ein Bier ex trinken und nominieren im Anschluss drei Freunde, es ihnen gleich zu tun. Die Clips werden anschließend auf die zugehörige Facebook-Page hochgeladen. Wer sich nicht öffentlich ex-ponieren möchte, soll strafweise ein Sechsertragerl bezahlen. (Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.) Was sich nach einem harmlosen „Prost!“ aufs zehnjährige Facebook-Jubiläum anhört, sorgt indes dieser Tage für eine Woge der Empörung im Kreise gewöhnlich ungut informierter Journalisten.

Übers Thema #Komasaufen ist an dieser Stelle noch nichts gesagt worden, und das soll auch in Zukunft so bleiben. Ein für allemal: Der verantwortungsvolle Umgang mit Alkohol wird in einer Gesellschaft, die Wein, Bier, Schnaps und Co. von Beisl bis Messfeier sozial integriert hat, nie allen Minderjährigen beizubringen sein. Man kann bloß Schadenseindämmung betreiben und sich bemühen, Kinder zu selbstverantwortlichen kleinen Menschen auszubilden. Ob Tiroler Zeltfest oder Wiener Flex: überall torkeln stockbesoffene 14jährige rum, die beweisen, wie sehr die „kontrollierte Abgabe“ unserer Lieblingsdroge in der Praxis nicht funktioniert.

Dass ein volljähriger Spaßvogel (respektive in Österreich ein mindestens 16jähriger Spaßvogel) ein Bier trinkt, ein Video davon dreht und veröffentlicht, stellt keineswegs per se den Untergang der westlichen Kultur dar, sondern birgt eine durchwegs sympathisch-nilistische Komponente, oder wie die Zen-Meister sagen: der wahre Grund ist grundlosk – und viraler als das durchschnittliche Firmengewinnspiel ist so eine Biernominierung allemal. Wer weiß, vielleicht interessiert sich ja demnächst der eine oder andere Bierproduzent sogar für ein Sponsoring?

Man könnte als ernster Mensch solche an sich harmlosen Späße also mit einem Schulterzucken abtun und mitmachen oder nicht. Für mich war die Entscheidungs vergleichsweise einfach. Im Hintergrund läuft übrigens das Kufsteinsteinlied, da meine Nominierung eben dort gedreht wurde:

Der konstatierte schädliche Einfluss von Medien auf die Jugend ist so alt wie die Medien und so jung wie die Jugend – wieviele Beinbrüche hat „Jackass“ bei Nachahmungskasperln verursacht? Wieviele Jugendliche eifern ihren Red-Bull-Extrem-Idealen nach und wachen mit Schrauben in der Schulter wieder auf? Selbstverantwortung ist ein weites Feld – ein Trinkskpiel, dass in der Konsumantion eines Biers gipfelt, kann wohl kaum als Aufforderung zum besinnungslosen Saufen verstanden werden. Dass die Betreiber der Seite den Zugriff erst ab 16 erlauben, ist löblich. Und wer mit einem alkoholfreien Bierchen mittun möchte, wird sicher auch willkommen sein.

Die Medien über das Phänomen Biernominierung

Einzig und allein der gute alte Standard behält gesundes Augenmaß und besinnt sich auf journalistische Kernqualitäten, erklärt die steinzeitlichen Ursprünge des Spiels, das auf „Neknominate“ zurückgeht und stellt fest, dass die Videos „zwischen harmlosen Gags und gefährlichen Stunts rangieren“. Tatsächlich übertrumpfen sich Teilnehmer im angloamerikanischen Raum mit immer absurderen Videos, ein irischer Jugendlicher sprang nach der Nominierung bei einem solchen „Neknominate Game“ in den River Barrow und konnte nicht mehr rechtzeitig vor dem Ertrinken gerettet werden, wie der Irish Mirror am 3. Februar berichtete.

Dasselbe Blatt schrieb am 2. Februar über den noch völlig ungeklärten Tod des 22jährigen DJs Ross Cummins, der in einem Dubliner Haus bewusstlos aufgefunden, ins Krankenhaus gebracht und dort kurz darauf für tot erklärt werden musste. Bereits im Lead weist Journalist Rory Tevlin promiment auf den „wahren Schuldigen“ in: „A young DJ died on Saturday amid claims he was involved in a Neck Nomination drinking game.“

Journalist Martin Stepanek von der FutureZone zeigt wenigstens berechtigte Zweifel am Massensterben und bemüht im Intro seines Beitrags den so oft missverstandenen Konjunktiv:

Über Facebook hält ein zweifelhafter Trend nun auch bei uns Einzug, der in anderen Ländern sogar schon für einige tragische Todesfälle gesorgt haben soll.

Anschließend gibt er aber Entwarnung, was die hiesige Variante <strong>Biernominierung</strong> betrifft und gesteht der Aktion durchaus einen gewissen Charme zu:

Während die Biernominierung, die bei uns gerade an viraler Fahrt gewinnt, bislang mit relativ harmlosen und durchaus witzigen Videospots punkten kann, warnen Jugendschützer und Behörden in anderen Ländern bereits vor dem überbordenden Trend. Denn in immer verrückteren und auch gefährlicheren Aktionen versuchen Nominierte ihre Herausforderer zu übertrumpfen und sich so im Web zu beweisen.

Wiewohl die Regeln des Spiels an sich vergleichsweise einfach gehalten sind, überfordert die Komplexität des Themas so manchen Journalisten: Wer von einem Freund für das Spiel nominiert wird, muss einen halben Liter Bier ex trinken. [oe24]

Dabei ist doch gar keine Maßeinheit vorgegeben – ein Fingerhut würd’s auch tun. Immerhin zieht anonyme_r oe24 Journalist_in das Fazit, dass die Sache hierzulande noch eher harmlos sei. In die Boulevard-Vollen greift dagegen News.de:

Die Menschen als Krone der Schöpfung? Betrachtet man den neuesten Facebook-Trend, kann man dies nur vehement verneinen. Bei der «Bier-Nominierung» laden User ein Video von sich beim Leeren eines Bieres auf ex hoch und nominieren drei Freunde, die es ihnen gleich tun. Ein Trend, der bereits erste Leben forderte.

Journalistin Franziska Obst vergleicht ebendort die Biernominierung mit gar mit Planking, warnt vor jugendlichem Übermut und sorgt sich um die Bayern:

Vor allem die bayerische Jugend scheint von der virtuellen Sauferei bereits mehr als angetan zu sein. […] Ein Bier kopfüber aus der Toilettenschüssel, auf dem Surfbrett oder auf dem Skateboard mit Bierbong sind nur drei der zahlreichen Beispiele, die der Mitmach-Trend bereits hervorgebracht hat.

Frau Obst, die augmentierte Realität hält manche Stolperfalle bereit, und gerade in überhitzten Redaktionsstuben kommt’s schon mal zu Verwechslungen. Aber ich versichere Ihnen, virtuell ist dieses Trinkspiel nicht. Und unsere Gesellschaft hat schon schlimmere Bedrohungen überstanden – zum Beispiel Journalist_innen, die in jedem kurzlebigen Internet-Hype das Ende der Hochkultur orten.

0 Kommentare
  1. Logopaedin
    Logopaedin sagte:

    Was mich an dem „Bier-Exen“ so verwundert ist, dass so viele Leute in meinem Freundeskreis das mitmachen von denen man ansonsten nie etwas in der Facebook-Timeline sieht. Anscheinend brauchte es nur mal die richtige „Motivation“ :-).

  2. datadirt
    datadirt sagte:

    @Logopaedin  Ja, das ganze zieht durchaus weite Kreise :-) Wenn eine ausreichend große Zahl mitmacht, dann wär damit das Thema „Reputations-Schädigung durch TrinkFotos im Web“ ein für allemal vom Tisch gefegt!

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