Ist Facebook ein Medium?

Bundeskanzler Christian Kern will Facebook zum Verlag machen

Tagespolitische Österreich-Themen bleiben auf diesem Blog meist außen vor. Hier geht es um digitale Kommunikation, Online Marketing und Bloggen. Medienpolitik und Regulation sind zu komplexe Themen, als dass sie ihren Weg in die Echtzeit-Schlagabtäusche der Abendnachrichten fänden. Wenn aber der österreichische Bundeskanzler auf einer einschlägigen Veranstaltung seine Vorstellung von digitalen Spielregeln ausbreitet, kann ich mich einfach nicht mehr zurückhalten: „futurezone haftet bei Beleidigungen, Facebook nicht. Es sollte aber klar sein, dass dieselben Spielregeln für alle gelten. Das ist ein großes Projekt, das wir innerhalb der EU umsetzen müssen.“

Derart legte Herr Kern bei seinem Auftritt im Rahmen der futurezone Gala seine Vorstellung von zukünftiger Regulationspolitik dar. Der Chef der österreichischen Regierung gilt innerhalb seiner Partei SPÖ gemeinhin als Social Media Auskenner, der in Plattformen wie Facebook dahinschwimmt wie ein Fisch im Wasser.

Also kann ich nicht umhin, mich zu fragen, ob er den Unterschied zwischen Inhaltsproduktion und digitaler Infrastruktur tatsächlich nicht versteht, oder sich bloß ganz und gar dem himmelschreiend absurden Populismus ergeben hat. Wer beim Rasen gefilmt wird und dann trotzig „der Polizei“ die Schuld gibt, dem unterstelle ich tendenziell zweiteres.

Man könnte viel wenig Schmeichelhaftes über Österreichs „Old Media Geriontokratie“ verlieren. Man könnte sich echauffieren über eine Presseförderung, die in den letzten Jahrzehnten über weite Strecken zur Handfütterung mit politischen Inseraten verkommen ist. Man könnte noch weitere 1000 Mal die Teil-Erfüllung des rechtlich-öffentlichen Auftrags unseres Staatsfunks kritisieren.

Aber wozu? Wenn ein Politiker nicht versteht oder nicht verstehen will, dass traditionelle Massenmedien als „Herausgeber“ im klassischen Sinn fungieren, also Inhalte veröffentlichen, während Social Media Plattformen eine Infrastruktur zur Verfügung stellen, auf der jeder für das, was er dort schreibt, selbst verantwortlich ist, dann können wir uns jegliche Diskussion über einen demokratiepolitisch sinnvollen Umgang mit den Möglichkeiten des digitalen Publizieren gleich von vornherein sparen.

Die Kronenzeitung ist eben nicht Facebook

Wenn es auf einem Server läuft und Kommentare hat, dann muss ja eine gewisse Ähnlichkeit bestehen, so die Logik dieser Argumentation. Ich weigere mich zu glauben, dass der ehemalige Manager eines Staatsbetriebes im Rahmen einer Kurier-Veranstaltung sich zu einer derart populistischen Ansage herablässt. Ob die anwesenden Redakteure wohl applaudiert haben?

Wenn die österreichische oder europäische Politik aus Ohnmacht oder Schockstarre nicht wahrhaben will, dass Facebook, Twitter, Google+ & Co. ebene keine Medien, sondern technische-kommunikative Infrastrukturen sind, dann wird ganz schnell jeder Nutzer dieser Plattformen zum Journalisten – mit gleichen Rechten und Pflichten, oder?

Nehmen Sie Facebook „in die Pflicht“, behandeln Sie jedes Diskussionsforum und Blog mit Kommentarfunktion gleich wie die Online-Präsenzen eines Verlages. Und gehen Sie anschließend mit Kommissar Öttinger einen heben. So macht man nämlich garantiert kein Silicon Valley aus Hintertupfing.

Lassen wir uns das eingangs kritisierte Zitat nochmals auf der Zunge zergehen:

futurezone haftet bei Beleidigungen, Facebook nicht. Es sollte aber klar sein, dass dieselben Spielregeln für alle gelten. Das ist ein großes Projekt, das wir innerhalb der EU umsetzen müssen.

social-loginDass die direkt angesprochene Futurezone diesen populistischen Blödsinn auch noch unkommentiert und -kritisiert stehen lässt, mag man als ein Indiz für die typische österreichische Verflechtung von Verlagen und Politik abtun. Die Nutzerkommentare sprechen eine andere Sprache.

Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin der Letzte, der Facebook als wichtig, unantastbar oder gar sakrosankt betrachtet. Die sollen gefälligst ihren europäischen Gewinn in Europa versteuern, die sollen sich selbstverständlich um bestehende Rechtsnormen kümmern. Zweiteres tun sie übrigens ohnehin.

Aber wenn die dumme identitäre Mitzi wieder mal ihre ausländerfeindlichen Sprüche auf ihrem Profil absondert, wollen wir dann tatsächlich Facebook in die Pflicht nehmen? Nach derselben Logik müsste man dann übrigens für Verfehlungen seitens des Kuriers ja gar nicht den Verlag, sondern die Papier-, wenn nicht die Holz- oder gleich die Agrarindustrie in die Pflicht nehmen. Womit sich der Raiffeisen Kreis dann auch schon wieder schlösse.

Außerdem liefert der Bundeskanzler in derselben Rede gleich den Beweis mit, dass er selber nicht so ganz genau weiß, was er da eigentlich redet:

Kern spielte in seiner Rede auch auf die Verantwortung des Unternehmens für den Ausgang der jüngsten US-Präsidentschaftswahl an. „Es gibt keine inhaltliche Verantwortung für Manipulationsmöglichkeiten und politischen Einfluss“, so Kern.

Also was jetzt? Und ja, sicher kann man Äpfel mit Birnen vergleichen. Aber eben nicht gleichsetzen. Übrigens, Herr Kern: Versuchen Sie mal, sich mit Ihrem Futurezone Account bei Facebook einzuloggen. Viel Glück.

Titelbild: SPÖ Presse und Kommunikation / kein Fotograf angegeben.

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