Das digitale Donaufestival

Das digitale Donaufestival

ars electronica 2007„Zwischen den Angstszenarien einer perfekten Überwachung und der Begeisterung an medialer Selbstdarstellung bildet sich eine neue Alltagskultur aus. In der alles öffentlich und nichts mehr privat scheint. Panoptikum oder vollendete Freiheit des/der Einzelnen?“ fragt die ars electronica 2007 und begibt sich „auf eine Spurensuche nach Bedeutung und Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit.“ Von 5. bis 11. September wird die Stahlstadt Linz zur Medienmkunstmetropole.

Mehr Infos zu „Goodbye Privacy“ findet man auf aec.at, dort gibt’s auch detaillierte Presseunterlagen. FestivaltouristInnen aufgepasst: im September geht’s dann in die USA zu monchrom’s Arse Electronica; der X-Faktor dürfte bei zweiterer Konferenz weit höher liegen. Böse Zungen behaupten ja seit den frühen Neunzigern, dass man die Themen der ars präzise wie ein Uhrwerk voraussagen könne: womit sich der internationale Medienkunstdiskurs vor 5 Jahren befasst habe, sei jeweils eine halbe Dekade später Hauptthema der ars. Fest steht jedoch: das Privacy Thema gewinnt in Zeiten von Studivz Debakeln, Online-Applikationen, Social Services, ausgefeilten Suchalgorithmen und wachsenden Datenbergen bei gleichzeitig steigender Furcht vor Terrorismus eine brennende Aktualität: ins Thema einzusteigen fällt nicht leicht, erfordert technisches Interesse und eingehende Beschäftigung, die sich jeder aufgeklärte Bürger der Informationsgesellschaft nicht wird ersparen können – Bewusstseinsbildung tut not. Hier der Pressetext zur ars electronica 2007:

GOODBYE PRIVACY
Das Ars Electronica Festival 2007

Feature dich selbst oder du bist raus aus dem Spiel

Zu jeder Zeit an jedem Ort präsent sein, jede/n erreichen können und selbst erreichbar sein – gestern in digitale Technologien projizierte Sehnsüchte sind heute manifeste Realität. Zugleich Sender und Empfänger, ist mittlerweile jede/r mit jeder/m verknüpft. In einem immer feinmaschigeren, weltumspannenden Netzwerk. Mittels Avatare, Blogs und Taggings nehmen wir hier digitale Gestalt(en) an und legen uns mehr oder weniger fantasievolle Second Identities zu. Allzeit präsent zu sein helfen uns Cyber Twins, unserem Persönlichkeitsprofil entsprechend programmierte Klone, die während arbeits- und schlafbedingter Absenzen unseren Platz im Chatroom einnehmen. Selbstdarstellung und Inszenierung des eigenen Image lautet das Gebot der Stunde – feature dich selbst oder du bist raus aus dem Spiel. Einst Gegenentwurf zur Öffentlichkeits-Gleichschaltung der Massenmedien, werden Individualisierung und Personalisierung à la Second Life, My Space, Flickr und YouTube nun ihrerseits zum Mainstream. Rasend schnell entstehen dabei gänzlich neue Öffentlichkeiten. Mit neuen Spielregeln. Traditionelle Erfolgsrezepte greifen in dieser „schönen neuen Welt“ nur begrenzt. Attraktiv sein ist zu wenig. Es sind Originalität und Einzigartigkeit, die virtuellen Starstatus versprechen und immer weitergehenden Exhibitionismus fordern und fördern. Im Zuge dieser massenhaften (Selbst-)Inszenierung bildet sich eine neue Alltagskultur aus, in der alles öffentlich und nichts (mehr) privat scheint. Eine neue Dimension ziviler Freiheit scheint Wirklichkeit geworden…

Gleiches allerdings gilt für den Albtraum der perfekten Überwachung. Ob reale oder digitale Räume, immer dichter wird das Netz der Kameras, biometrischen Sensoren, RFIDs, Logfiles und Trojaner. Videoüberwachung drängt den öffentlichen Raum zurück und beschränkt sich in Pilotversuchen nicht mehr auf bloßes Beobachten und Aufzeichnen, sondern fordert gegebenenfalls akustisch auf, sich vorschriftsmäßig zu verhalten. Riesige Datenbanken und hoch entwickelte Algorithmen zur automatisierten Verknüpfung und Auswertung all unserer elektronischen Spuren vervollständigen diese neue Qualität der Überwachung. Nicht allein die Tiefe und hohe Auflösung unserer digitalen Durchleuchtung scheinen bedeutsam. Sondern auch, dass die Verfügbarkeit von Technologien und gesammelten Daten zunehmend aus der Domäne öffentlicher Autoritäten hin zu individuellen und kommerziellen Interessenslagen wandert. Absatzfördernde Information ist Ware, die entsprechend hoch gehandelt wird. Nicht bloß Technologie, Information und Kommunikation sind omnipräsent – wir selbst sind es. Zu jeder Zeit, an jedem Ort. Klassifizierbar durch umfassende Persönlichkeitsprofile, die wir auf unseren digitalen Ausflügen hinterlassen…

Das Ars Electronica Festival 2007

GOODBYE PRIVACY fragt nach aktuellem und künftigem Stellenwert und Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatheit. Danach, welche Strategien zur Schaffung von Privatsphäre in der transparenten Welt digitaler Medien entwickelt werden können. Was wir dem Eindringen der immer effizienteren Kontroll- und Überwachungstechnologien entgegensetzen und wie wir den individuellen Kontrollverlust über unsere digitale Persona verhindern können. Wie sich die vorkonfigurierten virtuellen Öffentlichkeiten der Entertainmentindustrie aufbrechen ließen und wirklich von uns selbst gestaltet werden können. Wie wir die kulturelle Vielfalt unserer Gesellschaften in die neu entstandenen und neu entstehenden sozialen und öffentlichen Räume tragen und aus den kulturellen Paradigmen der Web 2.0 Communities eine soziale Dynamik generieren können, die auch in der realen Welt Relevanz entfaltet.

GOODBYE PRIVACY lädt KünstlerInnen, Netzwerk-NomadInnen, TheoretikerInnen, TechnologInnen und Rechtsgelehrte ein, Antwort(en) auf diese und weitere Fragen zu geben. In der für Ars Electronica typischen Art wird diese Recherche in Form von Symposien, Ausstellungen, Performances und Interventionen über klassische Konferenz- und Kulturräume hinaus in die ganze Stadt getragen. Und in die virtuelle Welt von Second Life.

Den Auftakt bildet die österreichische RichterInnenkonferenz am 4. und 5. September. Sie fragt nach den Grundrechten in der digitalen Welt, nach dem Spannungsverhältnis von Datenschutz und Privatsphäre einerseits und Informations- und Kommunikationsfreiheit andererseits. Die Tagung verfolgt einen interdisziplinären und internationalen Ansatz. Das diesjährige Symposium kuratieren Ina Zwerger (Ö1) und Armin Medosch (Künstler und Autor). Die Hochschulpräsenz wurde dem Basler Institut für Prozessgestaltung HyperWerk HGK FHNW übertragen. HyperWerk beschäftigt sich mit dem technologischen Zurückfinden nach einer von Bildschirm und Maus dominierten digitalen Abstraktionsphase zu anfassbaren Dingen. Genauer, zum „neoanalogen Design“, das eine solche digitale Anfassbarkeit gestaltet. HyperWerk ist Teil von „acar2″, einem Netzwerk aus Hochschulen, Handwerksinitiativen und Unternehmen, das eine Akademie zur Zukunft des Handwerks aufbaut.

2007 arbeitet Ars Electronica wieder mit einem Netzwerk lokaler Kunst- und Kulturvereine und Institutionen zusammen. Darüber hinaus fungieren ORF Oberösterreich und Ö1 als Partner.

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