Ein Skandälchen: PR Texte in Google News

Der Journalist und sein Henker

an|ge|spannt

a. angestrengt, konzentriert
b. kritisch, bedenklich

Antonyme zu angespannt: entspannt

— Duden —

Mit diesem einen Wort lässt sich das Verhältnis zwischen deutschen Verlagen und Google sehr zutreffend beschreiben: Seit Axel S. seine Snippets zähneknirschend gratis herschenken muss, hat sich eine Art Waffenruhe eingestellt. Zumindest bis letzte Woche: Denn mit viel Verspätung haben Spiegel und Co. bemerkt, dass Google im September vorigen Jahres ankündigte, seine News-Suche auch für „Company Statements“ (sprich: Presse- und Werbetexte) zu öffnen.

  • Der Journalist und sein Henker

Die Bosse sehen in ihren Meinungsmachern häufig nur die moderne Verkörperung der Fürhstücksdirektoren, schmückende Galionsfiguren des Unternehmens, die lediglich Handkuss und Smalltalk beherrschen und wissen müssen, wie man formgerecht Hummer knackt. In keinem anderen Beruf sind deshalb Aristokraten, denen der Bürger solche Fähigkeiten am ehesten zutraut, gleichermaßen gefragt wie in den Public Relations.

— Der Spiegel, 1968 —

Waren bisher bloß eine Reihe händisch freigeschaltener News-Provider die Lieferanten für diese Spezialsuche, so werden seit September auch verstärkt „Primärquellen“ respektive die Artikel kleiner Publisher (sprich Blogger) verstärkt eingebunden. Dass diese Old News vom vergangenen September nun letzte Woche ihr Comeback einer Form einer Reuters-Pressemitteilung feierte, lässt Chefredakteure und Herausgeber erneut unruhig schlafen.

„The goal of search is to get users the right answer at any one time as quickly as possible — that may mean returning an article from an established publisher or from a smaller niche publisher or indeed it might be a press release,“ the Google spokeswoman said. She added Google, which did not announce the September change, does not get paid for including press releases on the lists.

Ist das endgültig das Ende der Habermas’schen Welt, wie wir sie kennen? Tritt Google mit diesem Move der Vierten Gewalt gewaltig in den Allerviertesten? Die Reuters-Mitteilung zitiert das Gemalto-Beispiel: Offenbar gelang es dem Chip-Hersteller kürzlich, die eigene Pressemitteilung in der Google-News-Suche vor den deutlich kritischeren Stimmen der Journalisten zu positionieren.

You know with OTT, yeah you know me!

O.P.P. in Naughty by Natures gleichnamigen Song steht für „Other People’s Property“, O.T.T. dagegen heißt, wie ich vor einigen Jahren am World Mobile Congress in Barcelona lerne, „Over the Tops“. Grimmig blickende, ältere Herren aus Telekom-Vorstandsetagen bezeichnen Unternehmen, deren Business-Modell von fix-fertiger-Infrastruktur profitieren, als solche und ärgern sich darüber, dass WhatsApp, Skype und Co. keinen einzigen Handy-Sendemastern aufstellen musste und ihre Gewinne investitionsfrei sozusagen auf dem Rücken der Telkos einfahren.

Eine ähnliche Situation orten etliche deutsche Verlage im Umgang Googles mit ihren Nachrichten-Inhalten. Die Verwertungsgesellschaft VG Media verbot Google erfolgreich, Vorschaubilder und Snippets zu Artikeln anzuzeigen, nachdem Google sich geweigert hatte, einen Obolus pro View zu entrichten. Die meisten Verlage erteilten aus Furcht vor Traffic-Rückgängen eine widerrufliche Gratiseinwilligung, am längsten wehrte sich der Axel Springer Verlag – um dann doch einen Rückzieher machen zu müssen:

Der Verlag will dem Suchkonzern jetzt auch für die verbliebenen vier Titel welt.de, computerbild.de, sportbild.de und autobild.de eine Gratislizenz erteilen. Damit reagiert er nach eigenen Angaben auf einen allgemeinen Suchtraffic-Rückgang von fast 40 Prozent und dem daraus resultierenden wirtschaftlichen Druck. Der von Google News stammende Datenverkehr soll in den vergangenen zwei Wochen sogar um fast 80 Prozent eingebrochen sein.

Google News mit PR-Texten

Die armen Verleger bleiben auf ihren Zeitungen sitzen.

Jene denkwürdigen Ereignissen trugen sich um den 5. November 2014 herum zu: Es war ein ungewöhnlich kalter, nebliger Morgen. Etliche Gläubige berichten noch heute von wundersamen Bild-Logo-Erscheinungen auf ihrem Frühstückstoast, aber das Match schien erstmal entschieden: Google darf auch weiterhin gratis Traffic zu Axel Springer und Co. schaufeln.

Sind wir nicht alle ein bisschen native Advertising?

Dass Google nun „keinen Unterschied mehr macht zwischen Journalismus und PR ist in mehrfacher Hinsicht eine tiefe Zäsur“, meint Jens Rehländer und zählt fünf Konsequenzen auf, die sich aus diesem Strategieschwenk ergeben.

In der Tat liefert Google Unternehmen einen weiteren Puzzle-Stein zur Komplettierung des Issue-Management und Content Marketing Puzzles. Wenn Nachrichten und PR für User (noch) ununterscheidbar(er) werden, ist dies aus medienpädagogisch-politischer Sicht in der Tat nie erfreulich. Dass die Ankündigung vordergründig erstmal so klingt, als hätten auch Blogbeiträge nach der Abschaffung der Blogsuche erstmals wieder realistischen Chancen auf News-Traffic, lässt andererseits auf Diversifikation hoffen.

Kleine Änderungen können durchschlagende Wirkung haben. Man denke an die vor kurzem geänderte Kennzeichnung bezahlter Anzeigen im Google-Index: Dass diese früher bloß durch einen minimal anders gefärbten Hintergrund gekennzeichnet waren (ich habe immer vermutet, dass Google ein ganzes Forschungslabor betrieben hab, um herauszufinden, welcher Gelbton sich auf LCD-Monitoren am wenigsten von weiß unterscheidet), während nun über den Anzeigen nun ein deutlich sichtbarer gelber Button prangt, führt natürlich zu einem anderen Nutzungsverhalten – denn bislang unterschied nur ein kleiner Teil der Nutzer zwischen bezahlten und organischen Suchtreffern.

Werbe-Kennzeichung

Die deutliche Kennzeichnung der Werbung ist recht neu – und dürfte die Klickraten vieler Kampagnen gravierend nach unten gedrückt haben.

Zwar erhält Google laut eigenen Aussagen vorerst kein Geld von Interessenten. Über die Systematik des Rankings verlautbart Google bislang jedoch keine Details – angeblich kurieren hier aber ausschließlich Roboter:

Im April 2002 startete Google News in englischer Sprache in der Beta-Version, in der es bis zum 23. Januar 2006 verblieb. Die deutsche Version verwendet mehr als 700 Nachrichtenquellen aus dem deutschsprachigen Raum und befindet sich noch in der Betaphase. Laut Google geschieht die Auswahl der Artikel ausschließlich durch Computer.

Google News Aufnahme

Na dann wollen mir auf reichlich Traffic hoffen..

Gefragt ist hier also einmal mehr der kritische Medienkonsument. Zumindest in Österreich darf man ja laut PISA-Studie keinesfalls erwarten, dass ein Pflichtschulabsolvent in der Lage ist, sinnerfassend zu lesen – geschweige denn zwischen Pressetext und News zu unterscheiden. Aber immerhin versteht er beide nicht, das ist doch ein schöner Erfolg unseres Schulsystems im Pflichtfach „Nivellierung nach unten“.

Wer mit derlei bescheidenen Rezipienten-Skills gesegnet ist, dürfte vermutlich auch nicht Stammkunde der News-Suche sein – und der „normale“ Google-Index hat sowieso noch nie großartig zwischen redaktionellen und kommerziellen Inhalten unterschieden.

Google News jetzt mit PR

Süßer die Feigen nie schmeckten! Die Auswirkungen sind unübersehbar. (Screenshot vom 16.3.2015, 16:03)

In Deutschland dagegen pfrötet der Spiegel dagegen satirischer als Titanic je könnte:

Ein zweites Beispiel für die Verzerrung des Nachrichtenangebots ist die Vorstellung der Apple-Watch. In der Liste von Google-News stand zu diesem Thema ein Link zu einer Webseite ganz oben, die nichts anderes brachte als Werbung für die neue Uhr.

Also doch kein Unterschied zur redaktionellen Berichterstattung? Vielleicht kann der geneigte Journalist ja doch nicht die ganze Verantwortung zu seinem Kunden abschieben. Womöglich haben die Verlage selbst in den letzten Jahren vor lauter Schielen auf die Klickstatistiken zu sehr aufs Handwerk vergessen? Unter Umständen klingen viel zu viele Artikel nach genau dem, was sie sind: Copy&Paste.

Ziemlich sicher liegt die Schuld irgendwo in der Mitte. Und garantiert wird die Quellerweiterung der Google News Suche einmal mehr nicht das Ende des Abendlandes einleiten. Ich werde jetzt jedenfalls mal datenschmutz bei Google News einreichen. Sorry Spiegel.


Foto „Der Verleger“: S. Hofschlaeger / pixelio.de | Foto „Hummer“: gaby sommer  / pixelio | Foto „I want you“: Jorma Bork / pixelio.de

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