Die Kolumne #71 (Oktober 2006)

Die Kolumne #71 (Oktober 2006)

Einmal mehr ein frischer Vorabdruck meiner dieser Tage erscheinenden the gap Kolumne. Online ist’s natürlich nur die halbe Miete bei diesem wunderschönen Printlayout… der geneigte Leser erkennt – im Gedenken an Plagiatsjäger remixe ich mich selbst und schreibe schamlos vom datenschmutz.blog ab.

Die Kolumne
Süßer die Diplomanen nie swingen, als knapp am Te-hellerrand

Mögen sich andere elektrische Muskelstimulationsgeräte kaufen und ihrer gesamten Verwandtschaft zu Weihnachten einen Waschbrettbauch schenken, mir liegen derlei einfallslose Präsente nicht. Jahr für Jahr wiederholt sich Qual der Hetzjagd aufs neue, wenn ich mein einziges Weihnachtsgeschenk aussuchen muss.

Schwieriger zu beschenken als Tante Brigitte ist niemand, das garantier ich Ihnen. Selbst der wunderschöne Einhandmischer, dessen Geschenksappeal ich vorigen Herbst im Armaturengeschäft erlag, löste bloß Ablehnung aus: Ich wisse doch, dass Brigitte schon aus Prinzip gar kein Fließwasser in ihrer Wohnung habe, tadelte sie mich. Mein Argument, dass diese wunderschöne Edelmetallskulptur doch ohnehin als Ziergegenstand für den Wohnzimmeraltar dienen solle, machte ihre Unzufriedenheit ob meiner Präsentauswahl nur zum Teil wett.

Warum ist also wie jedes Jahr durch die Hölle Weihnachten gehen, und vorher durch die Vorhölle Vorweihnachtsgeschäft? Munkelt man in Kolumnistenkreisen immerhin schon seit Monaten, dass der Papst die Vorhölle* abzuschaffen gedenkt. Jener frenetische Jubel, den die kürzlich nachhaltig vertreitete Meldung hervorrief, scheint diesem Kolumnisten allerdings ebenso verfrüht wie unbegründet: wer sagt denn, dass die vielen dort inhaftierten Babys nun in den Himmel kommen und nicht zB in den siebten oder sechsten Höllenkreis, wo halt mehr Platz ist bzw. ausreichend leere Kinderkrippen verfügbar sind?

In der Vorhölle muss derzeit ähnliche Stimmung herschen wie in einer Firma, die kurz vor dem Aufkauf durch einen Liquidator steht und deren Mitarbeiter panisch auf die „Restrukturierung“ warten. Falls die Angestellten pragmatisiert sind (und davon kann man bei Teufeln wohl ausgehen), stehen sie zwar keine existenziellen Ängste durch, dennoch bleibt Unsicherheit: werde ich mich an meinem neuen Arbeitsplatz eine Ewigkeit lang so heiß fühlen wie hier? So in der Vorhölle Radioempfang möglich ist, dann dürfte sich die angespannte und nervöse Stimmung inzwischen auch auf die unfreiwilligen Insassen übertragen haben – ganz zu schweigen von den engen Beziehungen, die zwischen einem Kleinkind und seinem Teufel, der ihm möglicherweise seit Jahrhunderten die Windeln wechselt, entstehen. Da werden Adoptivfamilien rücksichtslos auseinandergerissen – das erinnert irgendwie ans österreichische Asylrecht.

Angeblich handelt sich’s bei all dem um eine Marketingkampagne** des Papstes, speziell zugeschnitten auf die Kundschaft in 3.-Welt-Ländern. Islamische oder hinduistische Babys kommen nämlich auch ohne Sakrament direkt in den Genuss der himmlischen Freuden.
Aber viel entscheidender ist die Frage: reichen die magischen Fähigkeiten des Papstes, um die Vorhölle zu schließen? Glauben die lutheranischen Protestanten auch an den Limbus Infantium, und wenn ja: wird ihre Vorhölle dann ohne offizielles Einverständnis mitgeschlossen? Kommen jene Vorhöllenteufel, die sich durch besonders liebevolle Betreuung hervortaten, mit in den Himmel? War Satan der Parallelbetrieb von Vor- und Haupthölle auf Dauer wirtschaftlich zu ineffizient, und hat er darum seinen Schergen Benedikt den 16. mit der Abschaffung beauftragt? Muss Satan tun, was Benedikt sagt, weil der sein Vorgesetzter ist?

*) Die Vorhölle, also jener 10. Kreise, ist quasi die größe Kleinkindkrippe der metaphysischen katholischen Welt. Kurz nach ihrer Geburt frisch verstorbene oder tot geborene und daher ungetaufte Kleinkinder finden sich im sogenannten „Limbus infantium“ wieder.
**) Demnach dürften die Bewohner des „Limbus Patrum“, in dem alle vor Christus Tod Verstorbenen einsitzen, noch lange nicht von akuter Schließung bedroht sein.

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