Die Kolumne #74 (Feb 2007)

Die Kolumne #74 (Feb 2007)

Vorbei die Zeiten der Zweimonatigkeit – mit dem neuen Erscheinungsrhythmus von the gap bleibt dieser Kolumne nichts anders übrig, als der guten Synchronizität willen gleichzuziehen. Mit anderen Worten: 10 Ausgaben statt 6 pro Jahr, und insofern die zweite 2007 – sie erscheint in der kommenden Ausgabe von the gap. Viel Vergnnügen!

Der mit der Büffelwurst antanzt, steht auf tierische Action.

Bulgarischer Büffelkäse und Büffelwurst (in Büffeldarm!) selbiger Provenienz begründen dieses Mal erneutes Wildern in kulinarischeren Gefilden als dieser Kolumne üblicherweise angestammt sind. Ein Glas Rotwein dazu (idalerweise einen bulgarischen), ein bisschen Bort und „man hat ein Essen“. Selbiges füllt zwar kein Kochbuch, denn zwischen australischen Burger-Grill-Anleitungen und chinesischen Wok-Manifesten fehlen üblerweise stets „Die besten Büffel-Rezepte Bulgariens“, wohl aber den Magen.

Kauend und schmatzend erläuterte mir Tante Brigitte ihren aktuellen Businessplan: „Weißt du,“ hatte sie mir kurz nach den Aufnahmen und noch im Domina-Kostüm erklärt, „dem Trend zum Bio-Leben kann man sich nicht entziehen. Jeder Realist erkennt, dass der Hawai Toast längst dem getrüffelten Ei wich und dieses der Rohgemüse Ratatouille! Nach deiner letzten Kolumne hat der Trend zur Verhinderung von Energieanflutungen (siehe gap #73) die Essgewohnheiten einer Nation revolutioniert.“
„Ach was, du überschätzt wie Baudrillard die Macht der Medien, außerdem konterkariert dein Lack und Leder Outfit deine Business Attitude,“ konterte ich mit meiner Standardphrase, „Sag bloß, du eröffnest ein Restaurant – darf ich dran erinnern, dass du vermutlich die einzige Person auf der Welt bist, die sich selbst mit Fertignudelgerichten mehr als einmal nahezu vergiftet hätte,“ brachte ich, die Gunst der Mikrosekunde nutzend, Brigittes gelinde gesagt unrunde Kochkünste ins Spiel.
„Mitnichten, metaphorisch gesprochen will ich keineswegs der Imbissbetreiber sein, sondern die Dönerfleischproduzentin!“
„Gewiss ein Beruf, der in Zeiten streng riechenden Hühnerkebabs und gammelfleischiger Skandale mit dem besten aller Rufe übertüncht ist,“ erwiderte ich.
„Gefiederte Gesellen haben nix an Drehspießen verloren, da bin ich ganz deiner Meinung. Gott oder der Teufel müssen Puten- oder Hühnerkebap als Strafe für unsere österreichische Ausländerfeindlichkeit nach Wien gesandt haben!“ Dann muss nach der Qualität des Kebabs zu urteilen Berlin ja das reinste Paradies für Zuagraste sein, dachte ich, konnte das Gespräch aber nicht rechtzeitig auf Currywürstchen lenken, denn Brigitte fiel mir ins gedachte Wort: „Vor dir steht die Produzentin einer neuen, schlanken, wellnessbewussten Nahrungsmittel-Linie für Carnivoren. Stell dir vor: die klassischen Wollpullover-Vegetarier Grundstoffe wie Tofuwürstchen, Räuchertofu, Bio-Brotaufstrich auf Bohnenbasis, Bohnen-Bio-Brotaufstrich auf Brot auf Bohnenbasis, Saitanschnitzerl, panierte Glutenschnitzerl, Sojaaufstriche – im typischen Look, Schmeck und Viel, aber ausschließlich aus tierischen Zutaten erzeugt! Feinstes Kalb- und Hühnerfleisch, entaromatisiert, püriert, gepresst, tofu-isiert: Fleischersatz aus Fleisch, postmoderne Göttinnenspeise.“
Bereits in der Mitte des ersten Satz begann mir der Speichel aus dem Mund zu tropfen. „Fleischersatz-Ersatz aus Hirschfilet? Das beste aus zwei Welten endlich friedlich vereint?“
„So friedlich wie Proteste gegen Pelzträgerinnen oder ein Polizeieinsatz beim illegalen Rave, du weißt doch, wie sehr ich geschmackvoll inszenierte Gewalt außerhalb des Doppelbetts verabscheue.“ „Synästhesie und Veganismus also,“ versuchte ich Brigittes gedanklichen Salti zu folgen. „Dann hab ich soeben den passenden Namen samt Claim gefunden: Synvega – und jeder wird zum Jäger.“

***

Leserinbrief: Eine Fannin fragte mich, wie mir denn im Kopf neue Wörter entstehen. Ich verwies sie auf Nelson Goodman’s „Weisen der Welterzeugung“, der erklärt das alles nicht nur schlüssig, sondern auch kurz. Rekombination lautet in diesem Zusammenhang ein ganz wichtiges Stichwort: die Sprache passt sich den gesellschaftlich-kommunikativen Notwendigkeit stets in beängstigender Geschwindigkeit an. Das Prekariat wird daher zukünftig auch nicht mehr als notwändig und zwangsläufig bezeichnet werden, sondern als…. zwangswendig und notläufig.

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