Die ÖNB bringt 400.000 Bücher online

Die ÖNB bringt 400.000 Bücher online

Rund 400.000 Bücher aus dem Bestand der Österreichischen Nationalbibliothek sind frei von Urheberrechten. Sind seit dem Todestag des Autors mindestens 70 Jahre vergangen, dürfen die betreffenden Werke frei verbreitet werden, doch die Digitalisierung historischer Bücher verursacht immense Kosten. Diese übernimmt im Rahmen der bisher größten österreichischen Public-Private Kultur-Partnerschaft der Suchmaschinenriesen Google: der längst zur internationalen Medienmogulerie gewachsene Konzern bezahlt für die systematische Transformation von Zellstoff und Tinte in Nullen und Einsen gigantische 30 Millionen Euro. In sechs Jahren soll das Projekt abgeschlossen sein, 2016 wird der gesamte „Open Source“ Bestand der Bibliothek der Öffentlichkeit online zur Verfügung stehen, im Volltext und samt Suchfunktion.

Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek
Pressekonferenz im Prunksaal der Österreichischen Nationalbibliothek.

Heute Vormittag präsentierten ÖNB-Direktorin Dr. Johanna Rachinger, Projektleiter Max Kaiser, Google-Österreich Geschäftsführer Charly Pall und Google-Buchsuche Chefin Annabella Weisl den Digitalisierungs-Fahrplan einer ausgesprochen interessierten Journalistenrunde, und trotz aller sonstigen Bedenken gegen die Quasi-Monopolstellung der „Datenkrake“ Google kann ich der Generaldirektorin zu dieser genialen Kooperation nur gratulieren.

Max Kaiser, Johanna Rachinger, Annabella Weisl und Karl Pall.

In der Digitalisierung der rechtefreien Bestände sehe ich keinesfalls einen Paradigmenwechsel, denn Ziel und Aufgabe der ÖBN ist es ja nicht bloß, Schriften zu archivieren, sondern den Bestand der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. So kann man sich beispielsweise schon in den letzten 100 Jahren jeden einzelnen Band, der im beeindruckenden Prunksaal der Bibliothek steht, nach vorheriger Anmeldung ausheben lassen. Doch das digitale Archiv lässt nicht nur die Notwendigkeit der Vor-Ort-Präsenz wegfallen, es erschließt den Textkorpus auf eine völlig neue Weise, die nicht nur Historiker und Literaturwissenschaftler begeistern wird!

Dass die technischen Voraussetzungen für ein solches Projekt alles andere als trivial sind, dürfte jedem klar sein, der schon einmal mit einer OCR-Software zur Texterkennung gearbeitet hat. Ein großer Teil der Bücher aus dem 16. bis 19. Jahrhundert ist in Frakturschrift gedruckt, die Druck-Qualität erschwert die Aufgabe zusätzlich. Google hat allerdings in den letzten Jahren die entsprechenden Tools und Verfahren entwickelt. Im konkreten Fall werden die Werke mit Zustimmung des Denkmalamts nach Bayern gebracht und dort erfasst, einigen Jahren sollen alle Bücher online sein.

 

Ob die fertig digitalisierten Werke laufend oder in mehreren Tranchen veröffentlicht werden, steht noch nicht fest. 2016 sollen dann alle 400.000 Bände zur Verfügung stehen, und die eine oder andere Überraschung schloss Projektleiter Kaiser dabei nicht aus. Immerhin geht mit der Digitalisierung auch eine komplette Neu-Inventarisierung des historischen Bestands einher, und wer weiß, ob nicht frühere Archivare den einen oder Band in ihren Inventaren übersehen haben.

Eine Frage beschäftigte die Journalisten auf der Pressekonferenz ganz besonders: ob die ÖNB etwa plane, zukünftig auch Werke zu digitalisieren, die nicht frei von Urheberrechten seien? Johanna Rachinger verneinte allerdings diesbezügliche Pläne entschieden und verwies auf einen weiteren wichtigen Aspekt: im Falle einer physischen Beschädigung der wertvollen Originale bleibt zukünftig zumindest das digitale Archiv erhalten. Apropos physisch: Sowohl Google als auch die ÖNB hosten jeweils eigene Kopien der digitalisierten Werke.

Warum zahlt Google?

Natürlich tauchte auch die Frage nach allfälligen Monetarisierungsmodellen auf. Annabella Weisl versicherte, dass keinerlei Werbe-Einbindung in historische Bücher geplant, sondern das Digitalisierungsprojekt vielmehr im Gesamtkontext von Googles Strategie zu verstehen sei. Ob tatsächlich früher oder später AdWords in den Schriften Prinz Eugen auftauchen, wird die Zukunft zeigen – das hängt letztendlich wohl nur von der Conversion-Rate ab, und die stelle ich mir in diesem Fall nicht sehr hoch vor.

Allerdings schafft ein umfassendes Angebot von Gratis-Büchern einen gewaltigen Mehrwert für diverse Verlags-artige Aktivitäten. Google hat ja nicht nur den Longtail der Fernsehwerbung erschlossen, sondern plant unter dem Namen „Google Editions“ ein eigenes Buchprogramm, über das Annabella Weisel am 10. Juni mit dem Börsenblatt gesprochen hat.

Fazit: Öffentlich-rechtlicher Einrichtungen, die mit Steuergeldern finanziert werden, sollten ihren Financiers, sprich den Bürgern, einen möglichst hohen Mehrwert bieten. Gerade Bibliotheken und Datenbanken („Open Data“ wär da ein anderes Stichwort) bieten sich durch das Internet fantastische Möglichkeiten; die im Kontext mit Google mittlerweile nahezu reflexartig vermutete Gefahr sehe ich bei diesem Projekt ganz und gar nicht, dafür aber einen gewaltigen gesellschaftlichen Mehrwert. Zwei Daumen noch! Ich freu mich schon auf ausgedehnte virtuelle Spaziergänge durchs literarische Spätmittelalter :frog:

0 Kommentare
  1. Glacial Slurs
    Glacial Slurs sagte:

    Coole Sache, keine Frage! Da überlegt man sich doch glatt, doch noch ein Germanistikstudium anzufangen! :saint:

    Aber andere Frage: warum hast du eigentlich keine Foto-Credits dabei? Sogar wenn’s reprofreie Pressebilder sind, freut sich der Fotograf über eine Erwähnung!

  2. Frank
    Frank sagte:

    Aber die 30 Millionen bezahlt Google ja nicht. Das ist die hochgerechnete Summe, die das Einscannen von 400000 Bücher der ÖNB mit ihrem eigenen Workflow kosten würde. Geld fließt hier nicht.

      • Sebastian
        Sebastian sagte:

        Aber Ritchie Google verdient am Schluß trotzdem sonst würden die es auch nicht machen, egal wie hoch die internen Kosten sind.

        Aber auf der anderen Seite so eine Bibliothek Digital für alle auf der ganzen Welt abrufbar zu machen, wann man es möchte, ist eine super Entwicklung die uns das Internet gebracht hat. :thumbup:

  3. Roger
    Roger sagte:

    Ich halte das für eine ganz und gar erfreuliche Kooperation, und welche „niederen“ Motive man Google auch immer unterstellen möchte, so ist es trotzdem ein außerordentlicher Gewinn für alle Beteiligten.

    Mir jedenfalls fällt auch mit viel Fantasie keine kommerzielle Nutzung des Ergebnisses durch Google ein, die nicht um Häuser von den Vorteilen überragt würde. Und mal ehrlich: Wie sonst sollten die nötigen Ressourcen aufgestellt werden?

  4. Christian
    Christian sagte:

    Ehrlich gesagt habe ich auf so einen Coup schon seit längerem gewartet. Ich denke bei ein derartige Zusammenarbeit bietet für beide Seiten Vorteile. Ich hoffe, dass es so eine Kooperation auch zwischen der Deutschen Nationalbibliothek und Google geben wird.

    Alleine schon der Mehrwert für die Wissenschaftler die Bücher durchsuchen zu können, dürfte den Aufwand schon rechtfertigen. Daneben ist es natürlich schön, wenn jeder Bürger direkten Zugriff auf die Bücher kriegt.

  5. Jürgen
    Jürgen sagte:

    Für den Erhalt dieser Bücher ist es eine gute Sache sie zu digitalisieren.
    Nur kann ich mir schwer vorstellen dass ein Unternehmen diese Kosten nicht wieder rein holen möchte. Und was ist einfacher als über Vermarktung = Werbung.

  6. apaju
    apaju sagte:

    Super Sache mit der Archivierung, gerade bei den alten und kostbaren Büchern. Siehen Kölner Stadtarchiv :(

    Aber ein Buch online zu lesen wäre mir zu anstrengend!

  7. Anna J.
    Anna J. sagte:

    Wow das finde ich echt klasse, das man so eine enorme Buchansammlung ins Netz stellt :frog3: , auch das Google das übernimmt ist echt klasse.. :D so gehen die Werke niemals verloren =)

  8. Lichtschlauch
    Lichtschlauch sagte:

    ich würde die ganzen Bücher auch an google weitergeben. Die scannen laut Presse doch sämtliche Bücher ein, egal ob Urheberrechtlich geschützt oder nicht :-)

  9. indien-schmuckkunst
    indien-schmuckkunst sagte:

    Hallo,
    Bei diesem Projekt würden mich einige Hintergrundinfos interessieren –
    z.B: wie wird sichergestellt, dass die alten Bücher beim einscannen nicht beschädigt werden – bzw. wie wird überhaupt gescannt ? – wie erfolgt die Nachbearbeitung? Manuell? von wem – wer kann das den überhaupt?…
    Weiters – werden diese Archive dann gratis zur Verfügugn gestellt oder ist ein Abo,… notwendig.
    Was weiters unklar ist – trägt Google allein die Kosten oder ist der Staat beteiligt – und natürlich – warum gibt google dafür 30 Mio aus -als Wohltäter sind sie bislang noch nicht aufgefallen? Noch dazu Österreich? warum macht das Google nicht in Ländern mit höherem Werbewert?
    Klingt für mich alles ein wenig merkwürdig….

    • Ritchie Blogfried Pettauer
      Ritchie Blogfried Pettauer sagte:

      Natürlich werden die Bücher pfleglichst behandelt; zu den Detailfragen kann wohl nur Google Auskunft geben, aber folgendes kann ich dir beantworten:

      Ja, die Kosten grägt Google allein – und zwar weil dieses Angebot an Büchern natürlich ihr Books-Portfolio insgesamt attraktiver macht. Und nein, es ist kein Abo notwendig, alle Inhalte sind gratis zugänglich. Wohltäter ist Google sicher kein, aber ich halt das definitiv für eine win-win Situation, wie ich im Beitrag auch geschrieben habe.

  10. Wolfgang vom Grillportal
    Wolfgang vom Grillportal sagte:

    Ich finde es eine gute Sache, dass nun so viele Leute Zugriff auf diese Bücher bekommen. Jedoch habe ich Bedenken, was in naher Zukunft mit den digitalisierten Werken gemacht wird. Thema Vermarktung!! Google hat uns in der Vergangenheit gezeigt, wie Geld verdienen funktioniert und es würde mich wundern, wenn sie es in diesem Fall nicht wieder hinbekommen.

    • Ritchie Blogfried Pettauer
      Ritchie Blogfried Pettauer sagte:

      Das denk ich durchaus auch, aber darin seh ich kein Problem: Google ist keine gemeinnützige Organisation; natürlich werden sie sich Wege überlegen, zumindest indirekt Geld mit dem Datenbestand zu verdienen. Aber das ist auch vollkommen legitim – solange der freie Zugang für alle Nutzer gewährleistet bleibt, gewinnen beide Seiten (respektive alle drei).

  11. Rene
    Rene sagte:

    Ich halte die Sache für eine Gute idee, denn so die „bücher“ auch etwas näher an die Jugend gebracht wird, denn ich denke junge leute die nicht gerade mega leseratten sind, stöbern so schon mal eher im Netz in den büchern rum als wenn man hin muss und dann so vorsichtig die bücher anfassen muss, damit sie nicht zerfallen.

  12. QBasic
    QBasic sagte:

    „Der Trend geht eindeutig zum Zweitbuch“ – ist eher rückläufig. Aber digitalisiert sieht’s schon wieder anders aus; daher: erwarte gespannt den Lesestoff, der da auf uns zukommen soll/wird ;-)

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