Die zwei ungleichen Teile der Musik (von Werner Reiter)

Die zwei ungleichen Teile der Musik (von Werner Reiter)

musikdiskussionAm 2. April erklärte EMI nach einem Rückzieher im Februar, endlich doch Musikdownloadservices mit Song-Files ohne Kopierschutz zu beliefern. Dieser von einer Major-Plattenfirma gesetzte Schritt lindert immerhin ein Symptom einer tief greifenden Krise der Musikindustrie. the gap hat zur Expertendiskussion geladen, um das gesamte Ausmaß der Krise zu beleuchten und mögliche Auswege zu skizzieren. Daraus resultierte die folgende Zusammenfassung von zwei Stunden angeregter Unterhaltung in den heiligen Hallen des monopol-Medienimperiums. Erstmalig erschienen in: the gap #76, Mai 2007.

Wie bereits zum Thema Web 2.0 hat Werner Reiter zur Exploration der komplexen Materie „Die Musik und der Kopierschutz“ eine illustre Runde eingeladen – leider wollte partout kein Vertreter eines Major Labels auftauchen – alle wesentlichen Aspekte des Themaskamen dennoch zur Sprache. Et voilà – für datenschmutz Leser hier der Artikel aus the gap im Volltext. Demnächst ereignet sich übrigens das gleich grausame Spiel nach demselben Muster – wobei die Themen Web 2.0, Google und Informationsmonopole in den Fokus der nächsten Runde rücken.

Die Diskussionsrunde

Niko Alm
Herausgeber the gap
www.thegap.at

Roland Alton-Scheidl
Vorsitzender creativ wirtschaft austria, Fachhochschule Vorarlberg, OSalliance
www.alton.at/roland

Philipp Dorfmeister
G-Stone Recordings Vertreter Online, Ordis – Soulseduction Digital Distribution, Soulseduction.com
www.soulseduction.com und www.g-stoned.com

Florian Hufsky
Bundessprecher der Piratenpartei Österreichs
www.ppoe.or.at

Ritchie Pettauer
Journalist und Medienwissenschaftler
datenschmutz.net

Ravissa
DJane und Produzentin
www.doorbitch.nu

K. Flo Schneider
Geschäftsführer McShark, Betreiber des eingestellten radio:))mcshark
www.mcshark.at

Christian Untersteiner
Head of Product Management ONE
www.onelovesmusic.at

Die Musikindustrie klagt seit Jahren über rückläufige Umsätze. Die Erlöse aus Downloads sind 2006 zwar weiter gestiegen, machen aber verglichen mit den 85% des Hauptumsatzträgers CD noch immer einen verschwindend geringen Anteil aus. Die big 4 (Universal, SonyBMG, Warner und EMI) halten 70% des Marktes und bestimmen damit die Regeln des Business. Und die waren in den letzten Jahren geprägt von einem sklavischen Festhalten an technischen Hürden, die das Kopieren von Files erschweren, einer Hetzkampagne gegen Tauschbörsenbenutzer, die in weltweit 30.000 Verfahren gemündet ist und von Versuchen klassische Distributionsmodelle auf das Internet zu übertragen.

Apple hat es mit iTunes als einziges Online Angebot geschafft auch wirtschaftliche Relevanz zu erlangen. In den letzten Monaten kam Apple immer mehr unter Beschuss. Einerseits weil das angewandte DRM Verfahren nur erlaubt, dass gekaufte Musikstücke ausschließlich am iPod bzw. auf PCs abgespielt werden können und andererseits weil Apple die regionalisierte Preispolitik der Labels auch im Internet umsetzte.

Steve Jobs ergriff die Flucht nach vorne und publizierte im Februar einen offenen Brief, in dem er Apple als Opfer dieser Entwicklungen darstellte und sich ganz klar gegen DRM aussprach. Das dürfte letztlich dazu geführt haben, dass EMI nach langem Zögern jetzt doch Musik ohne DRM anbieten wird – wenngleich zu einem höheren Preis. Dass die DRM freien Stücke auch in einer besseren Qualität vorliegen, mag als Verkaufsargument durchgehen, die Masse der Konsumenten wird den Unterschied aber kaum hören.

Die ungleichen Seiten der Medaille

In seinem Eröffnungsstatement meint Christian Untersteiner, Head of Product Management bei ONE, dass Musik emotionalisiert wie sonst kaum etwas. So wird die Diskussion in den Redaktionsräumen des gap sehr emotional geführt, und vor allem die ungleichen Teile des Gesamtsystems Musik werden mit Leidenschaft diskutiert. Da gibt es nicht nur ein Ungleichgewicht zwischen den recht unbeweglichen Majors und den Indies, die ums Überleben kämpfen und ihre erfolgreichen Acts nach jahrelanger Aufbauarbeit nicht selten an die Großen abgeben müssen.

Auch die Nutzer lassen sich einteilen in die Massen, die nur das kaufen, wo Ö3 sie hinführt und die Afficionados, die sich intensiv mit Musik beschäftigen. Dass klassisches Marketing immer auf die Masse abzielt, liegt in der Natur der Sache. Philipp Dorfmeister von G-Stone und Soulseduction meint auch, dass DRM geschützte Musik, die mit etwas PC Kenntnissen relativ leicht (und für private Zwecke auch legal) vom Kopierschutz befreit werden kann, die 95% davon abhält das zu tun, weil es ihnen zu mühsam ist. Und schließlich die Musiker, die zum größten Teil ihre Nutzungsrechte an Labels und Verwertungsgesellschaften abgeben anstatt sich selbst mit alternativen Vertriebsformen oder mit Lizenzierungsmodellen wie etwa Creative Commons auseinanderzusetzen.

Zitate aus der Diskussion

DRM ist nur dazu gedacht die 95% der Leute, die sich nicht damit beschäftigen wollen, davon abzuhalten ihre Files sofort zu kopieren. Philipp Dorfmeister über die relative Nutzlosigkeit von Kopierschutz

Die Verwertungsgesellschaften sind noch nicht in diesem Jahrtausend angekommen. Roland Alton-Scheidl über Zeitlöcher

Beim Online Musikbusiness stehen einfach zu viele in der Value Chain. So kommen die absurden Marktpreise zustande. Christian Untersteiner über die Komplexität des Business

Die Vorselektion die Labels für den Konsumenten machen ist absolut wichtig. Flo Schneider über die Notwendigkeit von Labels als Identitätsstifter

Die Angst, dass es keine Musik mehr gibt wenn alle Majors pleite gehen, kann ich nicht teilen. Ritchie Pettauer über den kulturellen Wert von Musik

Endlich ist Musik dort angelangt, wo andere Produkte schon sind. Was zählt ist die Verpackung. Niko Alm über ein neues Verständnis der Revenuemodelle

Das schnelle Finden und Konsumieren von Musik und die Social Networking Möglichkeiten machen das Wesen von Musik im Internet aus. Florian Hufsky über das Primat der Convenience

Selbst wenn ich große Releases hätte und massiv verkaufen würde, ich würde DRM nicht für nötig halten. Ravissa über Dinge, von denen sie wenig hält

Astronomische Preise und unnötig hohe Komplexität

Die landläufige Meinung besagt, dass Online Vertrieb immaterieller Güter wie Musikfiles bedeutend günstiger sein müsste als die Produktion und der Vertrieb von CDs. Wer sich aber damit auseinandersetzen muss, merkt schnell, dass das Gegenteil der Fall ist. Aufgrund der mangelnden Standardisierung der Musikplattformen, der unterschiedlichen Fileformate und der Vielzahl an DRM Systemen hat sich die Komplexität in der Produktion und der Logistikaufwand im Vergleich zum physischen Vertrieb nicht verringert.

Soulseduction etwa liefert 22 Formate für Pre-Listening und 24 Formate der eigentlichen Files an unterschiedlichste Plattformen. Die logistische Herausforderung besteht dann darin, einen Track zum Releasezeitpunkt auf allen Plattformen online zu haben. Vor allem für kleinere Labels oder gar für Künstler selbst ist das nicht zu bewerkstelligen und die Plattformbetreiber weigern sich, Verträge mit Kleinstanbietern abzuschließen. Damit werden Aggregatoren als zusätzliches Glied in die Kette gefügt und schon gibt es wieder einen Player mehr, der am Kuchen mitnaschen will.

DRM abschaffen oder bessere Alternativen finden?

In der Diskussion will sich niemand lange damit aufhalten, die Argumente gegen die Vielzahl an DRM Lösungen erneut aufzuwärmen. Interessanterweise zeigen zumindest manche Verständnis für die Notwendigkeit des Kopierschutzes. Dass die mangelnde Standardisierung und die damit verbundene Inkompatibilität nicht unbedingt zum Glück der Konsumenten beiträgt, ist allerdings Common Sense. Roland Alton-Scheidl, der sich um die Einführung von Creative Commons in Österreich verdient gemacht hat, skizziert zwei mögliche Ansätze.

Ersterer ist eigentlich nur eine Vorstufe zu DRM: Das von ihm mitentwickelte System Registered Commons ist ein digitaler Zeitstempel, der einerseits das Veröffentlichungsdatum von Inhalten und andererseits gesicherte Informationen über den Urheber liefern kann. Dieser kann für Creative Commons Lizenzen aber auch andere angewendet werden. Die zweite Lösung weist etwas weiter in die Zukunft: Ein DRM System auf Open Source Basis soll die erhoffte Standardisierung bringen und gleichzeitig auch den Rechteinhabern die Möglichkeit eröffnen, selbst die Nutzungsbedingungen und die Businessmodelle festzulegen. Bis dahin ist es mit Sicherheit noch ein weiter Weg. Selbst wenn das System den Durchbruch nicht schafft, wird die Industrie viel davon lernen können.

Musik genießen oder besitzen?

Die etablierte Diskussion um Musik im Internet dreht sich meist um den Kauf von Dateien und die mehr oder weniger eingeschränkten Nutzungsmöglichkeiten. Dabei drängen längst Services wie etwa Last.fm auf den Markt, die den individuellen Musikgeschmack bedienen, indem sie die Musik als Streams anbieten. Andere wie phling! setzen darauf, die Musiksammlung auf der eigenen Festplatte via Streams auf connected Devices zu bringen. Hinter den meisten der neueren Modelle steht eine Flatrate, die den Kunden die Convenience bietet, Musik zu kontrollierbaren Kosten zu konsumieren, ohne sich um Kompatibilität und DRM Gedanken machen zu müssen. Insgesamt findet die Runde Gefallen an Flat-Rate Modellen wie auch immer der Service dahinter genau aussieht.

Die Möglichkeiten sind vielfältig. Flo Schneider von McShark bringt die Kernforderung auf den Punkt: Gerecht kann das nur sein, wenn diejenigen das Geld bekommen, deren Musik er konsumiert hat. Florian Hufsky sieht den Besitzbegriff noch unter einem anderen Aspekt: SellABand etwa ermöglicht Nutzern, Anteile an jungen Bands oder Musikern zu kaufen. Übersteigen die gekauften Anteile $50.000 erhalten die Musiker eine Studioaufnahme und werden von einem erfahrenen A&R begleitet.

Rechteverwerter mit der Gießkanne

Ob Fairsharing, Leermedienabgabe oder Content-Flatrate: Es braucht Institutionen, die sich darum kümmern, dass die Einnahmen wieder an die Kreativschaffenden zurückfließen. Die nennen sich Verwertungsgesellschaften und haben die aktuellen Entwicklungen noch gründlicher verschlafen als die Musikindustrie. Der Löwenanteil ihrer Einnahmen fließt an Künstler, die in den klassischen Kanälen hohe Verkaufszahlen oder gutes Airplay haben.

Der Verteilungsschlüssel ist zum größten Teil aber intransparent und in Österreich wird anders als etwa in Frankreich nur ein kleiner Prozentsatz für Kulturförderung oder die Forschung ausgegeben. So sehr sich die Diskussionsteilnehmer hier eine Erneuerung wünschen, so skeptisch sind sie, dass die in absehbarer Zeit kommt. Vor allem die, die wie Ritchie Pettauer bei lion.cc schon Online Musikservices mit Verwertern abgerechnet haben.

Wofür zahlen wir?

Zu Ende der Diskussion bringt Niko Alm die These, dass die Kunden ohnehin schon lange nicht mehr für die Musik zahlen, sondern für die Convenience, ein Album in der Hand zu halten, oder sie bequem im Internet zu finden und einfach konsumieren zu können. Noch weiter: Auch die Einnahmequellen der Musiker sind nur zu einem geringen Teil die Verkäufe von Files, Platten oder CDs, sondern aus Konzerten, Merchandising oder aus Werbeverträgen, wie etwa der von Madonna bei H&M. Musik ist zwar der Kristallisationspunkt und Inhalt, die Revenuemodelle sind aber andere. Ravissa kann das nur bestätigen. Sie ist hauptberuflich Künstlerin, lebt allerdings von Auftritten, Veranstaltungen und DJ Workshops. Bei den großen Acts ist das nicht viel anders. Vielleicht sollten etliche Player im System ihre Welt neu denken.

Ausgewählte Internet Musikdienste, die in der Diskussion erwähnt wurden

Amie Street
Musiker können hier selbst Musik einstellen. Der Kaufpreispreis erhöht sich mit der Anzahl der Downloads bis zu 98 Cents.
amie.st

eMusic
Amerikanischer Music Store, der das Subscriptionmodell recht erfolgreich umgesetzt hat. Stand März: 250.000 Subscriber und ein Katalog von 2 Millionen Tracks.
www.emusic.com

Jamendo
Offene Musikplattform für Musik unter Creative Commons Lizenzen. Die Downloads sind kostenlos.
www.jamendo.com

Last.fm
In seinem Selbstverständnis eine „personalized online radio station“. Das Erfolgsrezept besteht in dem Matching von Userprofilen und den daraus generierten Wiedergabelisten.
www.last.fm bzw. www.lastfm.de

phling!
Eine Anwendung für Handys, die den online Zugriff auf Files auf der Festplatte zu Hause erlaubt.
www.phling.com

SellABand
Promotionplattform für unbekannte Musiker. Die Community erwirbt Anteile. Wenn $50.000 erreicht sind, bekommt die Band ihre erste Aufnahme samt CD.
www.sellaband.com

0 Kommentare
  1. Torsten
    Torsten sagte:

    Ich bin ja mal gespannt, wann die großen Labels alle wieder auf den richtigen Weg zurückkehren. Zu Zeiten der MC’s hat irgendwie keiner so doll gejammert und die hatten auch keinen Kopierschutz gehabt….

  2. Farlion
    Farlion sagte:

    Da muss ich Dir widersprechen. Ich habe hier drei alte CDs, auf denen ich vor ein paar Jahren mal meine gekauften CDs fürs Auto archiviert habe, die funktionieren immer noch tadellos. Es kommt auch sehr auf Lagerung und Behandlung an.

  3. ritchie
    ritchie sagte:

    Nicht wirklich – selbst bei optimaler Lagerung Behandlung (konstante Temp und va Luftfeuchtigkeit) hält eine gebrannte CD im Optimalfall nur 15 Jahre (!). Das ist nix im Vergleich zu Vinyl; und je höher die Datendichte (wie bei der DVD), desto kürzer die Halbwertszeiten. In den CDs befinden sich organische Substanzen, die unter „Laserbeschuss“ zerfallen; es gibt keine anorganische Verbindungen, die die benötigten Eigenschaften aufweisen. Aber organischer Material hat die Eigenschaft, recht schnell zu zerfallen. Und abhängig von der Qualität der Rohlinge, der Lagerung etc. kann’s nach drei Jahren schon vorbei sein.

  4. Ole
    Ole sagte:

    MP3s und andere dateiformate sind doch die einzige Möglichkeite Musik halbwegs dauerhaft zu speichern. gerade eben kams im Fernsehen, das CDs spätestens nach 25 Jahren zu alt zum abspielen sind. Bei billigen Rohlingen geht es noch schneller.

  5. Farlion
    Farlion sagte:

    Meine älteste selbstgebrannte CD, die noch funktioniert ist jetzt 10 Jahre alt. Noch läuft sie problemlos. Ich denke aber mal, dass das auch damit zu tun hat, dass ich mir die Dateien im Normalfall nur einmal jährlich von der CD ziehen muss, wenn ich mal wieder den jährlichen Aufräumer im Rechner durchgezogen habe.

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