Duales Systemdebakel: Kloiber will ATV halbieren

Duales Systemdebakel: Kloiber will ATV halbieren

atvhalbIn anderen Ländern mit vergleichbarer Struktur wäre von einem Medienskandal gröberen Ausmaßes die Rede, in .at dagegen rauscht die Ankündigung von ATV-Eigentümer Herbert Kloiber, die Hälfte der 130 Mitarbeiter zu entlassen und künftige Produktionsaufträge nicht mehr in Österreich zu vergeben, relativ ungehört durch den Blätterwald. Diese Maßnahmen wolle er umsetzen, sofern die „Medienförderung für private Sender in der Budgetrede am 21. April nicht einmal im Subtext vorkomme,“ so Kloiber. Ich habe aus aktuellem Anlass ein Interview mit Alexander Millecker, Leiter der aktuellen Redaktion von ATV (aka Nachrichtenchef), geführt.

„Vergleicht man heute ORF1 und ATV, dann läuft bei uns mehr selbst und in Österreich produziertes Programm – ORF1 sehe ich daher längst nicht mehr als öffentlich-rechtlichen Sender,“ so Alexander Millecker. Die Stimmung unter den Mitarbeitern befindet sich verständlicherweise nicht gerade am Höhepunkt, trotzdem verstehen die meisten die Beweggründe ihres Chefs – denn ohne Druck der EU gäbe es in Österreich vermutlich heute noch kein duales System.

Dem Standard ist die Meldung gerade mal 11 Zeilen wert, die Diskutanten finden die Ansage Kloibers großteils zynisch und menschenverachtend. Dass die Ansage keineswegs aus heiterem Himmeln kommt, sondern letztendlich das Resultat einer konsequenten Medienversäumnis-Politik darstellt, wird dabei natürlich mit keinem Wort erwähnt. Doch wir erinnern uns: vor nicht allzu vielen Jahren war die Alpenrepublik mit Ausnahme Albaniens das einzige europäische Land ohne privaten Rundfunkanstalten. Nicht zuletzt im Zuge des EU-Beitritts entstand Handlungszwang, entstanden Privatradios und Fernsehsender. In einem so kleinen Land wie Österreich gelten aber einige Spezifika, die Nationalökonomen unter dem Begriff „Economies of Scale“ zusammenfassen. Bei knapp 8 Millionen Einwohner ist eben jede Sparte in absoluten Zahlen weitaus kleiner als in größeren Ländern.

Sieht man Fernsehen trotzdem als öffentliches Gut an, muss eben der Staat angreifen und die Versorgung sicherstellen – und das hat er in immensem Umfang auch getan, aber eben nur für den staatlichen Rundfunk. Anders als ZDF und ARD in Deutschland beschränkt der ORF sein Angebot keinesfalls großteils auf Non-Unterhaltung, ganz zu schweigen von einem abendlichen Werbeverbot. Die Mischfinanzierung aus Zwangsgebühren und Werbeeinahmen reichte bislang sogar aus, um eine ganze Armada „weißer Elefanten“ durchzufüttern, denn selbstverständlich muss die ORF-Führungsriege von jeder neuen Regierung ausgetauscht werden. Da bleibt für die beiden Privatsender ATV und PULS4, die schon lange eine Beteiligung an den RF-Gebühren fordern, nix mehr vom Kuchen übrig, schließlich lässt sich staatliches Fernsehen viel besser mit der Politik verzahnen.

Vor diesem Hintergrund wird der „Erpressungsversuch“ Kloibers durchwegs verständlich. Was mich allerdings wirklich überrascht hat, ist die nicht bloß strategische, sondern faktische Inkompetenz der handelnden politischen Personen, die man mit etwas gutem Willen auch als Desinteresse bezeichnen könnte. Hier ein gekürzte Form des Interviews – das komplette Gespräch gibt’s als Stream zu Anhören:

[audio:christian-millecker.mp3]

Interview mit Alexander Millecker

ritchie: Das Statement des ATV-Besitzers, die halbe Belegschaft entlassen zu wollen, sorgt für weniger Aufregung als man erwarten könnte – ist die Drohung ernst zu nehmen?

Alexander Millecker: Herbert Kloiber hat diese Ankündigung schon vor längerer Zeit in Cannes gemacht. Ich glaube, dass er sich die Sache sehr genau überlegt hat; eine solche Ankündigung macht man nicht leichtfertig. Es handelt sich um den traurigen Höhepunkt einer langen Geschichte der Ignoranz in der österreichischen Medienpolitik. Bereits zwei Vorgängerregierungen haben diese Förderung für privaten Rundfunkbetreiber versprochen und sogar in der Koalitionsvereinbarung verankert. Obwohl diese Ankündigung – ein paar dürre Zeilen – fast unverändert übernommen wurde, haben Gespräche gezeigt, dass offensichtlich kein Interesse besteht, diese Förderung auszuschütten.
In der aktuellen Situation, in der quasi jedes Medium mit Werberückgängen rechnen muss, kann das natürlich durchwegs existenzbedrohend sein. Die Verantwortung trägt aus meiner Sicht ganz klar die österreichische Medienpolitik.

?: Wäre die Auszahlung eines Teils der ORF-Gebühren an private Rundfunksender ein gangbarer Weg?

!: Natürlich könnte man von Seiten des Gesetzgebers her Rundfunk als „Public Value“ ansehen und dann sagen, jeder, der Public Value anbietet, hat ein Recht auf öffentliche Förderung; das ist eine Möglichkeit, aber gar nicht unbedingt jene, die wir haben wollen. Wir bestehen auch gar nicht konkret auf einer speziellen Medienförderung. Was wir wollen, sind faire Marktbedingungen. Der ORF finanziert sich zu zwei Drittel durch Gebühren und zu einem Drittel über Werbung. Wenn der Herr Wrabetz – das muss man ganz offen sagen – aufgrund seiner nicht sehr glücklichen Programmpolitik und einiger anderer Faktoren jetzt einen höheren Finanzbedarf hat, dann ist das eine Sache. Aber in keinem anderen Land wird der Werbemarkt derart vom staatlichen Rundfunk dominiert; und wenn der ORF nun zusätzliche Ausweitung der Werbezeiten möchte, weil die Finanzierung in Krisenzeiten schwieriger fällt, dann muss man bedenken, dass sich privates Fernsehen nicht zu einem Drittel, sondern zu 100 Prozent aus Werbeeinnahmen finanziert; die Situation ist damit, wenn man so will, dreimal so schwierig.
Wir hängen nicht an dem einen oder anderen Modell, sondern wir wollen faire Marktbedingungen und wir wünschen uns, dass die Regierung dem altbekannten Lippenbekenntnis zum dualen System endlich Taten folgen lässt – sei es in Form der versprochenen Medienförderung oder in anderer Art und Weise.

?: Hat die Politik denn überhaupt ein Interesse an einer Veränderung der Situation?

!: Erstaunlicherweise nicht, und zwar vollkommen unabhängig von der Parteifarbe. Man möchte meinen, dass in einem demokratischen Staat des 21. Jahrhunderts Medienvielfalt per se einen Wert darstellt, sonst wäre ja eine Presseförderung ebenfalls sinnlos. Niemand käme auf die Idee, den Standard oder Die Presse abzuschaffen, weil diese Zeitungen ohne staatliche Förderung nicht überlebensfähig wären. Dabei dominiert der ORF den Fernsehmarkt ja nicht nur Werbebereich, sondern auch den Einkauf – und überbietet trotz der angeblichen Finanzkrise Privatsender beim Einkauf von Serien und Filmen. Aber der Politik scheint die Situation kein echtes Anliegen zu sein.

?: Ich find’s ja unglaublich ignorant von SPÖ-Spitzenkandidat Faymann, den Diskussionsrunden im Privat-TV fernzubleiben – eigentlich ein deutliches Signal.

!: Ich kann mir schon vorstellen, dass für Parteien bzw. Parteisekretariate der Umgang mit privaten Medien nicht so einfach ist. Sie haben hier weder Einfluss auf die Besetzung in meiner Redaktion, noch kümmert es mich, wenn irgend jemand anruft und glaubt, er könne sich bei einer Sendung rein- oder rausreklamieren. Das ist bei den Kollegen vom ORF wahrscheinlich nicht immer so, aber darin besteht auch unser Vorteil. Zuständige Politiker – ich möchte keine Namen nennen – wussten, wie sich in Gesprächen zeigte, nicht einmal, wie viele Mitarbeiter ATV hat. Da war die Rede von 50 Personen, dabei arbeiten allein am Standort Wien 120 Personen, dazu kommen natürlich noch die freien Mitarbeiter sowie sämtliche Produktionsfirmen und Dienstleister, die von ATV abhängen. Das sind insgesamt 400 bis 500 Arbeitsplätze, und insofern finde ich diese Einstellung der Politiker wirklich kurzsichtig: wenn irgendwo 100 Leute in Kurzarbeit geschickt werden, ist schnell mal ein Politiker zur Stelle, um eine Wortspende vor den Kameras abzugeben. Doch obwohl in diesem Fall mehrere 100 hochqualifizierte Arbeitsplätze gefährdet sind, gab es bislang überhaupt keine Reaktion.

Das komplette Interview anhören:

[audio:christian-millecker.mp3]
0 Kommentare
  1. michaela
    michaela sagte:

    denke, gerade den politikerInnen ist absurder und enttaeuschender weise gar nicht an vielfalt gelegen, denn das wuerde ja den aufwand in der medien- und kommunikationsarbeit deutlich erhoehen. damit kommen sie ja schon jetzt nicht klar. schlechte bis keine konzepte. da ist es doch angenehmer, eine ueberschaubare medienlandschaft zu haben.
    ist das jetzt zu pessimistisch?

  2. Peter
    Peter sagte:

    Um was geht es? Geht es um Medienvielfalt? Oder geht es um die Jobs? Geht es um Standortpolitik?

    Den Teil den ATV aktuell zur Medienvielfalt beiträgt, kann man wohl auch, mit geschrumpfter Mannschaft in Wien, aus München beitragen. Die Betroffenheitsdokus werden doch eh zum ganz großen Teil von deutschen Produktionsfirmen, vielleicht mit kleiner Niederlassung in Wien, produziert. Nur viele Sender zu haben, schafft ja noch nicht automatisch Vielfalt. Mir persönlich ist es weiters egal ob der fette Typ der abnehmen will in Dresden oder Lienz sitzt. Untertitel bräuchte ich bei beiden. Mit Medienvielfalt würde ich nicht unbedingt argumentieren. Das ist viel zu schwammig.

    Wenn es um die Jobs geht, geht es mM nach auch um Standortpolitik. Da glaube ich schon, dass es Wien und Österreich schadet wenn da plötzlich 130 MitarbeiterInnen auf der Straße sitzen und praktisch keine Chance haben hierzulande einen vergleichbaren Job zu finden. Da geht Know How verloren in einem wirtschaftspolitisch wichtigen Bereich. Abgesehen von der menschlichen Katastrofe einen Job ausgeübt zu haben für den es in Österreich keinen Markt mehr gibt. Dann hätten Tv-Journalisten und Lokführer eines gemeinsam – eine einzige staatsnahe Jobmöglichkeit. Wer dort nicht unterkommt muss auswandern. Das kann nicht im Interesse Österreichs sein.

    Damit will ich aber mit keinem Wort gesagt haben, dass der ORF besser wäre.

    • Peter
      Peter sagte:

      Kein Einspruch von meiner Seite. Vielleicht hat meine Wahrnehmung den schmalen Grat zwischen Doku und Doku-Soap manchmal verschoben. Gilt 40 Minuten über die österr. Pornobranche in 5 Teilen als Doku oder Doku-Soap? ;-) ATV sendet primär was Quote bringt, und das ist euch auch nicht vorzuwerfen.

      Mir geht es eigentlich um etwas anderes: in der Diskussion gegenüber der Politik auf Medienvielfalt zu setzen ist sinnlos bzw zur Erfolglosigkeit verdammt. Das Argument wird seit Jahren gebracht ohne jeglichem Erfolg. Woher die Hoffnung dass es diesmal zieht?

      Deshalb meine ich, dass innerhalb eines kapitalistischen Spiels (Fördergelder) mit kapitalistischen Argumenten (Standortpolitik) gepunktet werden muss. Kulturelle Werte zählen da erfahrungsgemäß wenig. Leider.

Hinterlasse einen Kommentar

Schreibe einen Kommentar