Elevate-Rückblick: Super Festival, "Scheiß"-Internet

Elevate-Rückblick: Super Festival, „Scheiß“-Internet

Dante EepromObwohl ich die Schlossberg-Locations mittlerweile schon fast besser kennen als meine Westentasche (*die* gibt mir dauernd echte Rätsel auf), war erst 2008 meine Elevate-Premiere. Und das Fazit fällt diesmal eindeutig aus: mir hat’s extrem gut gefallen. Nicht ganz unschuldig daran war der Samstagabend, der am Mainfloor eher kopflastig begann, später in der Nacht aber von Danton Eeprom in einen brodelnden Partykessel verwandelt wurde. Und wie jede gelungene Podiumsdiskussion dürfen sich die Veranstalter dank ORF Programmdirektor Wolfang Lorenz über ein wirklich sehr erheiterndes Skandälchen freuen, das Anspruch und Mission des Festivals nicht besser auf den Punkt bringen könnte.

Der Vergleich zwischen Spring und Elevate macht Sie sicher: während das Line-Up der Frühlingspartys sich am avancierten Mainstream orientiert, lehnen sich die Elevate-Veranstalter genre-technisch, vom Artist-Rooster her und in punkto Konferenzprogramm viel weiter aus dem Fenster. Außerdem hätte ich gar nicht damit gerechnet, so viele Bekannte aus Wien zu treffen – war wirklich ein ausgesprochen chilliges verlängertes Wochenende. Der Samstagabend begann für mich mit der Neuroth Lärmschutz-Lecture, später in den Uhrturmkasematten waren die gratis verteilten Ohropax dann auch dringend notwendig :mrgreen: Von den Break-Corern gefiel mir Koolmorf Widesen bei weitem am besten: soulig-jazzige Harmonien in den Flächen, fette Basslines und schnelle Breaks gekonnt als strukturierendes Element eingesetzt: so machen Offbeat-Experimente Spaß. Monster Zoku Onsomb aus Australien konnte zwar mit hohem Schrägness-Faktor punkten, soundmäßig gab’s allerdings mehr Gewobbel als Breaks.

Den Second Floor rockte Cee erwartungsgemäß souverän mit einen Set, das einen weiten Bogen von Hip Hop zu Digidub spannte – hochmotivierte Crowd, hochmotivierter DJ. Etwas zu effektheischerisch kam mir anschließend Drums of Death daher, den anschließend aufgeigenden Dubstep-Profi Starkey fand ich uneingeschränkt großartig.

So sehr ich die Platten von Atom TM aka Señor Coconut schätze, war ich doch ein wenig vom Auftritt des Multitalents enttäuscht: war zwar netter MPC-„Mikrofunk“ [(c) Stefan Pernes], aber für diese Uhrzeit eine zu kopflastige Performance, wobei die letzten 20 Minuten ein durchaus respektables Bassgewitter entfachten. Jay Haze aka Fuckpony war gar nicht meins (okay, vielleicht zum Einschlafen), der danach live auftretende Danton Eeprom entschädige allerdings mit einer der tightesten Performances, die ich in den letzten Jahren gehört habe: Cutting Edge Techno inklusive gekonntem Stimmeinsatz brachte das Publikum dann auch ordentlich in Bewegung.

Wolfgang Lorenz und das Scheiß-Internet

Für eine Erregung größeren Ausmaßes sorgte Professor Wolfgang Lorenz, Programmdirektor Fernsehen beim österreichischen Rundfunk beim ORF-Dialogforum „Public Media & Public Value im 21. Jahrhundert“, das im Rahmen der Festival-Eröffnung über die Bühne ging. Ich war leider am Mittwoch noch nicht in Graz, aber bei Sebastian Bauer gibt’s eine gute Zusammenfassung des Eklats:

Bis auf einmal Prof. Wolfgang Lorenz, der Programmdirektor Fernsehen des ORF, von einem „scheiß Internet“ zu reden beginnt. […] Die Jugend von heute sei nicht in der Lage sich richtig zu artikulieren. Außer in Postings im Internet. Und ihm sei es „scheißegal“, was wir in diesem Internet machen würden. Auf heftigen Widerspruch aus dem Publikum und die Feststellung, dass man im Internet interessantere Angebote finden würde als sie der ORF biete, folgte der Sager des Abends. „Es ist mir scheißegal, ob Sie zuschauen oder nicht.“ Wortwörtlich hat er es so gesagt, der Programmdirektor des ORF.

Michael Neumayr wundert sich über soviel Ignoranz, Alexey vermutet Sabotage und Michael Reimon gratuliert zum Griff in den Gatschtopf. Mir gibt das Statement des Programmdirektors Hoffnung und ich freue mich wirklich darüber! Warum? Weil Österreich ein kleines Land ist, in dem dank ungünstiger staatlicher Rahmenbedingungen das duale Rundfunksystem nicht nur spät eingeführt wurde, sondern bis dato nie so richtig aus den Startlöchern kam. Nun besetzt der ORF als öffentlich-rechtliche Institution in Form von ORF-Online einen beträchtlichen Teil des österreichischen News-Internets, aber nicht so viel, wie er könnte: denn die Seite ist altmodisch, besitzt kein Archiv, ist ein behäbiger Koloss ohne großartiges Konzept oder Vision – und zum Glück kein Social Network. FM4 betreibt zwar den Soundpark, der dank Radio-Cross-Promotion mit hoher Banddichte und viel musikalischer Qualität aufwarten kann, aber technologisch ein Dinosaurier ist. Und über all das bin ich heilfroh: denn wenn der ORF mein und Ihr Steuergeld auch noch verwenden würde, um online zukunftsweisende Cutting-Edge Produkte auf die Beine zu stellen, wenn die Verantwortlichen das Internet als das Medium der Zukunft ansehen würden und beträchtliche Energien in die Erschließung alle Zielgruppen steckten, dann sähe es in Österreich für unabhängige, spannende Online-Medien womöglich fast so düster aus wie für in punkto Quote für die Privatsender. Konkurrenz belebt den Markt, aber Monopolisten tun niemandem gut. Und deswegen freue ich mich, dass der Programmdirektor seine Finger vom Scheiß-Internet lässt – und freue mich auf die nächstes Jahr startende ATV-Video-Community.

Wer das ebenso oder ganz anders sieht, werfe einen Blick auf die Scheiß-Facebook-Page von Andi Klinger. Kackegal, was Sie über den ORF denken: hier werden Kommentare für einen offenen Brief gesammelt. Und das Niveau der Diskussion hat Meister Lorenz ja bereits eindrücklich vorgegeben. Oder ums im Wiener Slang zu formulieren: Oida, I pock’s ned.

11 Kommentare
  1. Farlion
    Farlion sagte:

    Ist denn beim Herrn Lorenz nach dem Auftritt eine Blutprobe angeordnet worden? Nüchtern kann der bei so einem Unternehmen ja wohl kaum gewesen sein. Und was die Artikulation angeht… die war ja bei ihm dann auch nicht gerade eine Glanzleistung. ;)

  2. Andreas Klinger
    Andreas Klinger sagte:

    es gibt atm open letter via facebook
    aber auch via twitter http://scheissinternet.at

    Was mich am meisten stört ist die Tatsache, dass hier Leute mit unseren Steuergeldern Medien der Gegenwart und Vergangenheit betreiben ohne an die Zukunft zu denken.

    btw ein sehr guter Artikel ist auch auf chilli zu finden

    Ich bin aber auch irgendwie froh, dass er so denkt. Mit statischen Platzhirschen haben es disruptive Neuankömmlinge leichter sich am Markt durchzusetzen. ;)

    in diesem Sinne http://scheissinternet.at

    • ritchie
      ritchie sagte:

      Ach was, ist mir doch scheissegal, wenn die Programmintendanten nicht mitsurfen. Die Pensionsten heutzutage verkrümeln sich doch alle nur ins Fernsehen, kein Wunder, dass die partizipative Kultur den Bach runtergeht :mrgreen:

Trackbacks & Pingbacks

  1. … [Trackback]

    […] Find More on that Topic: datenschmutz.net/elevate-rueckblick-super-festival-scheiss-internet/ […]

Hinterlasse einen Kommentar

Schreibe einen Kommentar