Endorsement / Wahlempfehlung: Wen oder was morgen wählen? Und wozu?

Endorsement / Wahlempfehlung: Wen oder was morgen wählen? Und wozu?

WahlempfehlungEs ist eine Nationalratswahl, die außer den beiden derzeitigen Koalitionsparteien ÖVP und SPÖ eigentlich nicht einmal die Opposition wollte, nimmt man die Aussage, dass die Regierung „lieber hätte arbeiten sollen anstatt zu streiten“ ernst. Noch-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer, der neuerdings seine Leserbriefe lieber an den Falter als an die Kronenzeitung schickt, hielt den Kampf gegen den Partner ÖVP *und* die eigene Fraktion natürlich nicht auf Dauer durch, am morgigen Wahlsonntag sollen die Karten neu gemischt werden. Mediale Wahlempfehlungen sind in Österreich nicht üblich, daher werde ich, um dieses Defizit zumindest in der Blogosphäre, ein wenig auszugleichen.

Denn die Anonymität des Wahlrechts ist eine wichtige demokratische Einrichtung – allerdings handelt sich dabei um ein Recht, nicht um eine Pflicht. Als in Österreich ansässiger und hier Steuern bezahlender Jungunternehmer habe ich klare Interessen an die Entwicklung der Wirtschafts-, Sozial- und Bildungspolitik, und die sehe ich am besten von einer Kleinpartei vertreten, die vermutlich noch nicht einmal in den Nationalrat einziehen wird – aber alles der Reihe nach. Es handelt sich um die Wahl der Superlative: 6,33 Millionen Wahlberechtigte (soviele waren es in der Geschichte der 2. Republik noch nie), 10 Fraktionen am Stimmzettel (ditto). Die Meinungsforscher sagen Turbulenzen voraus und sprechen immer noch von außergewöhnlichen vielen unentschiedenen Wahlberechtigten, 10% werden ihre Stimme via Briefwahl abgeben, das endgültige Ergebnis wird daher erst nach einer Woche feststehen. Selbst wer die Schnauze von „denen da oben“ voll hat, hat die einmalige Chance, die ÖVP seit langer, langer Zeit endlich mal am Regieren zu hindern, das ist ein realistisches, erreichbares Ziel.

Wahlempfehlung 1: Wählen Sie gültig!

Von Wahltermin zu Wahltermin finden immer weniger österreichische Staatsbürger den Weg zu den Urnen. Von Politikverdrossenheit ist die Rede, wo doch viel häufiger das Gefühl im Vordergrund steht, „eh nichts ausrichten zu können“. Dass morgen erstmalig das Wahlalter von 18 auf 16 Lenze herabgesetzt wurde, wird dieses Beteiligungsmanko nicht ausgleichen. Dabei wäre es gerade diesmal so verdammt wichtig, ein gültiges Kreuzerl zu machen: denn die bloße Verschwendung staatlicher Parteienzuwendung für einen aufwendigen Wahlkampf kann und darf nicht darin münden, dass eine Neuauflage der großen Koalition mit zwei ausgetauschten Gesichtern stattfindet, die in 1-2 Jahren Untätigkeit und anschließendem Streit gipfelt…

Wahlempfehlung 2: Wählen Sie nicht FPÖ oder BZÖ

Bei beiden Parteien handelt es sich um Gruppieren, die zwar partiell vernünftige Auffassungen in einigen sozialpolitischen Punkten vertreten, aber bei beiden spielen nicht beeinflussbare Faktoren eine gravierende Bedeutung in der Bewertung von Menschen. Religion, Hautfarbe, Herkunftsland dürfen nicht darüber entscheiden, ob jemand ein Mensch zweiter Klasse ist. Gegen das österreichische Verbotsgesetz bin ich auch (sogar aus ähnlichen Gründen wie H. C. Strache: ja, ein Rechtsstaat muss ein paar Verrückte aushalten können die bestehende Rechtsordnung sollte ausreichen; Symbole zu verbieten macht diese bloß interessanter). Wogegen ich bin, ist ein Ausbau des Überwachungsstaats, eine Einteilung der Staatsbürger in brave und deviante Menschen, eine institutionell durchgesetzte 2-Klassen-Gesellschaft und der zynische Vorwurf, mangelnder Integrationswillen auf Seiten der „Ausländer“ sei das einzige Problem in der Migrationspolitik und Zwang und Härte die Waffen der Wahl. Dennoch muss ich zugeben: die FPÖ und H.C. Strache in Regierungs-Verantwortung würd ich nicht ungern scheitern sehen. Vielleicht teilt sich die Partei dann ja erneut.

Wahlempfehlung 3: Meine Wahl

Die ÖVP überflügelte in ihrer ersten Plakatwelle alle Bedenken in punkto Rechtsruck, Molterer entwickelt sich im Zuge des Faymann’schen Kleiner-Mann-Populismus gegen die selbstdeklarierte Aufgabe als Finanzminister und wedelt plötzlich auch mit Geldbündeln. Ich will keine große Koalition, also müssen die Kleinparteien gestärkt werden, damit denkbare Ampelkoalitionen auch rechnerisch möglich werden. Demographisch wäre ich als Teilzeit-Bobo tendenziell Grün-Stammwähler, aber diese Partei bekommt meine Stimme schon länger nicht mehr, und das hat mehrere Gründe, die sich in den letzten 6 Wochen aufs deftigste bestätigt haben. Auch wenn ich einzelne Proponenten dieser Partei (Peter Pilz, Christoph Chorherr) sehr schätze, so kann ich mit dem Selbstverständnis des Führungsduos Van der Bellen und Glawischnig so rein gar nichts anfangen. Ich weiß ja nicht einmal, welche Politik die Grünen eigentlich verfolgen: Ökologische Wirtschaft steht bestenfalls als implizites Feigenblatt am Programm – mit keinem einzigen Wort erwähnte VdB jemals die landwirtschaftliche Problem-Dimension der derzeitigen EU-Politik. Tja, Bobos bestellen eben gerne ihr Gemüsekistl im Internet, aber dass selbst einer Partei, die einst aus einer spontanen Bewegung entstand, jegliche Motivation verloren hat, komplexe Missstände in den Fokus zu rücken, enttäuscht maßlos. Das zieht sich bis zur Energiepolitik: Raus aus Gas und Strom – genauso durchdacht wie die Mehrwertssteuerhalbierung auf Lebensmittel. Ein paar genauere Pläne wären super, Benzin teurer zu machen, wird nämlich nicht keinesfalls ausreichen – aber mir scheint’s so, als würden die Grünen für die Chance auf Regierungsbeteiligung sogar mit Freuden ein Atomkraftwerk bauen. Zumindest nehme ich die ökologische Dimension dieser Partie längst nicht mehr wahr, sondern bloß einen impliziten Konsens, dass die Grünen halt irgendwie „cool“ sind. Dass bei genauerer Nachfrage eigentlich kaum jemand beantworten kann, warum, hätte der „Basis“ (gibt’s die noch?) längst zu denken geben sollen.

Da bleibt also nicht mehr allzu viel Auswahl: Oberkommunist Mirko Messner lieferte zwar den legendärsten Fernseh-Wahlauftritt 2008 (Erklärung am nächsten Tag: „Ich war nicht ausgeschlafen.“), aber die Lachnummer hatten wir jetzt lange genug in der Regierung. Dass die Christen Österreich retten werden, glaube ich als überzeugter Agnostiker keineswegs, und das Tirol-Kabarett von Roughneck Fritz! entlockt mir auch nur ein Lächeln. Welche Punkte sind mir am wichtigsten?

  • Möglichst rasche Einführung einer Gesamtschule bis 14. Die Trennung in Hauptschule und Gymnasium ist überholt, kontraproduktiv und idiotisch.
  • Schwerpunkt auf nachhaltige Sozialpolitik: ein vereinheitlichter Krankenkassenträger und ansonsten am liebsten Grundsicherung. Österreich ist reich und kann sich das leisten, Punkt. Das demütigende System dient niemanden: wer nicht arbeiten mag, arbeitet auch derzeit nicht. Menschen gegen ihren Willen in Kurse zu pressen ist sinnlos, ich glaube, dass leistungsbezogener Verdienst plus Grundsicherung und ein vereinheitlichtes KK-System die bessere Lösung sind.
  • Wachstumsorientierte Wirtschaftspolitik, Steuer- und Sozialversicherungs-Gleichstellung von KMU-Unternehmern (im Besonderen Einzelunternehmern) und Angestellten, stärkere Progression im Steuersystem, dafür Entlastung im Bereich der mittleren Einkommen, gravierende Anhebung von steuerfrei-Beträgen je nach Jahreseinkommen.

Diese Standpunkte sehe ich am besten beim Liberalen Forum vertreten – liberale Wirtschaftspolitik in Kombination mit verantwortungsbewusster, nachhaltiger Sozialpolitik wird aber wohl weiterhin mein rot-weiß-roter Wunschtraum bleiben. Als kleinen Schritt in diese Richtung sähe ich aber das LIF in der Regierung an, und daher bekommen Heide Schmidt und Co. morgen meine Stimme. Allerdings befürchte ich, dass sich weiterhin die große Koalition ausgehen wird und der große Stillstand damit garantiert ist.

Fotocredits:
Druck aushalten von Gerd Altmann (pixelio.de)

 

0 Kommentare
  1. Georg Pichler
    Georg Pichler sagte:

    Okay, bei aller Gelassenheit, aber „die Grünen würden mit Freuden auch ein AKW bauen“ ist dann doch ein bisschen sehr polemisch. Teilweise sehe ich deine Kritik freilich berechtigt…

    …aber: dann wartest du mit 2 Kernforderungen auf, die die Grünen sehr wohl vertreten (und in der dritten dürften wenigsten Ähnlichkeiten bestehen, da trau ich mich als Wirtschaftslaie aber nichts genaueres zu sagen)

    – Gesamtschule: Durchaus thematisiert, auch von vdB oft in den Debatten angesprochen. Sollte getestet werden, und wenn sie funktioniert: Her damit.

    – auch die bedarfsorientierte Grundsicherung wurde oft von den Grünen gebracht. Hinsichtlich der Kassenreform war der Vorschlag, die föderale Struktur zu erhalten, aber die Trennung in Berufssparten aufzuheben.

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