EU-Wahlen: die Gegenstrom-Analyse

EU-Wahlen: die Gegenstrom-Analyse

Heute musste ich am Weg zu Microsoft unterm Motorradhelm laut auflachen, als ich
an einem hängengebliebenen Wahlplakat von Hans-Peter Martin vorbeikam. An Selbstbewusstsein mangelt es dem Autor der Globalisierungskrise trotz Total-Fehlprognose (ja ja, in der Gegenwart ist die Zukunft Vergangenheit und ein unerbittlicher Korrektor) ganz und gar nicht, denn da steht doch tatsächlich: „Nur er kontrolliert die Mächtigen!“ Nur er also! Ein kleiner Vorarlberger Wichtigtuer nimmt also die Last der Welt auf seine Schultern: Na servas, Europa! Wenn Hans-Peter die letzte Bastion gegen das Mogulentum ist, dann seh ich schwarz für die EU.

Die Mächtigen brauchen sich zukünftig beispielsweise nur in zwei Grüppchen aufteilen: während das eine zur Ablenkung eine Tagung veranstaltet, kann das andere ungestört seine unsagbar bösen Pläne schmieden, denn Hans-Peter Martin kann, anders als Chuck Norris, nicht an zwei Orten zugleich sein und kommt mit Parteikollegen bekanntlich nicht besonders gut aus. Hätten wir einen Hans-Peter Martin im ÖIR, dann bräuchten wir das Konzept der Selbst-Kontrolle also gar nicht zu bemühen! Aber vermutlich sind wir weder europäisch noch mächtig genug, um ins Radar des Kontrolleurs zu geraten. (Ich stell mir HP gerade vor, wie er in Brüssel vorm Parlament steht und den albanischen Präsidenten anschnauzt: „Faascheineee, biddeh!“) Doch das österreichische Kurzzeitgedächtnis ließ sich weder von verworrenen Spesen-Verhältnissen (damals haben „die Mächtigen“ versucht, HPs Ruf zu beschädigen) noch verzwickten Personal-Fluktuationen (ich rede von Karin Resetarits unübertroffenem Beweis, dass Kulturmoderation nicht automatisch für die EU-Politik qualifiziert) irre führen oder überhaupt führen: 17,87 bekam die Liste „Dr. Martin – für Demokratie, Kontrolle, Gerechtigkeit“. Zumindest ersteres gibt Hoffnung.

Ansonsten konnten sich die Grünen über eine erfolgreiche Wahlstrategie freuen: der hart erarbeitete Stimmverlust von zwölf-irgendwas auf unter 10 Prozent soll helfen, Selbstverliebtheit abzubauen und endlich wieder zur Öko-Nischenbewegung zurückführen. Gratulation! Ein schweres Wahl-Los hat dagegen die Äffpeeöh aus der Wahlurne gezogen: mit nur 13 Prozent der Stimmen dürfte der Plan der „Zersetzung der EU von innen“ wohl nicht ganz aufgehen – da kann man nur sagen: ab ins Morgenland!

Auch zeigten die Ergebnisse, dass der wahre österreichische Spirit den liberalistischen Gedanken der marktwirtschaftlichen Planwirtschaft bei weitem vorzieht! Mit satten 0.04 Prozent Vorsprung erteilte das „Junge Liberale Österreich“ (0,69%) der Kommunistischen Partei (0,65%) einen Denkzettel, von dem sich die Genossen nicht mehr so schnell erholen werden. Und wenn Sie jetzt sagen, das geht sich alles hinten und vorn nicht aus, dann haben Sie völlig recht – da war doch noch was! Die beiden „Großparteien“ ÖVP und SPÖ teilten sich gemeinsam 53,54% (eine Fundgrube für Zahlenverschwörungs-Theoretiker!) aller abgegebenen Stimmen. 2.699.240 Subjekte der repräsentativen Demokratie hatten sich in die Wahlurnen geschleppt, das entspricht einer Wahlbeteiligung von 42,42% (nochmal Zahlenverschwörung!). Trotzdem stellt niemand in diesem Land die Sinnhaftigkeit von Wahlen zu einem Gremium, das nix zu entscheiden hat, aber Schweine-viel Geld kostet, auch nur annähernd in Frage. Okay, die Schweiz ist kleiner als die EU, aber mittlerweile haben wir anständige Internet-Leitungen und brauchbare Technologien: warum nicht EU-weite Volksabstimmung in relevanten Grundsatzfragen statt dieses lächerlichen Simulationsbetriebs? Boshaften Gemütern könnte ja fast der Gedanken kommen, dass sämtliche Agitation gegen digitale Wahlen ein willkommenes Totschlag-Argument liefert: „Nein, über Internet abstimmen, das geht nicht, da wird doch gehackt!“ In dieser Form weigere ich mich jedenfalls, diesen Deckmäntelchen der Scheindemokratie, dass die Legitimierungsmängel einer ehemaligen Wirtschafsunion kaschieren soll, mit meiner Stimmabgabe zu legitimieren.

Wie auch immer – falls eine der antretenden Listen beim nächsten Mal vollkommen auf Wahlwerbung fürs EU Parlament verzichtet und das Geld einem sinnvollen, sozialen Zweck zuführt, dann würd ich mich durchaus bereit erklären, mal wieder zu wählen. Ach ja, ÖVP zu SPÖ in Brüssel verhält sich wie 23,85 zu 29,69. Nicht, dass es einen großen Unterschied machen würde. (Alle Zahlen von der Seite des BMI.)

euergebnis

Wahlbeteiligung im Vergleich

Wirft man einen Blick über den Tellerrand namens Staatsgrenze, dann zeigt sich recht schnell, dass .at beteiligungsmäßig wider Selbstwahrnehmung durchwegs im guten Mittelfeld liegt. An die 90,4% Belgier oder den Spitzenreiter Luxemburg mit 91% kommen wir zwar nicht heran, dafür haben hierzulande aber mehr als doppelt so viele Bürgerinnen und Bürgerinnen gewählt als in der Slowakei (19,6%) oder in Litauen (20,5%) – mehr zum gesamteuropäischen Ergebnis und den einzelnen Listen auf Wikipedia.

0 Kommentare
  1. web-barrierefrei
    web-barrierefrei sagte:

    Jo! Ich war auch nicht wählen. Hätt auch gar nicht gewusst wen. Den Swoboda hab ich zufällig beim Donaukanaltreiben getroffen….mit dem Kaugummi…auf seiner Brille. ;-)
    Großartig geschrieben!

    mfg
    Joe

  2. Kuddi
    Kuddi sagte:

    Hallo Liebe Leute,
    es ist erschreckend wie niedrig die Wahlbeteiligung ist wenn man überlegt wieviele Milliarden an Steuergelder inerhalb der EU verprasst werden, kann einem es nicht egal sein wer da gewählt wird, schließlich müssen wir alle Verantwortung tragen oder werden wir alle Punker? Geht Wählen und wenn ihr nicht wisst wen dann wählt grün. Denn Grün ist Leben- grün wächst.
    Ohne Grün ist kein Leben denkbar. Als Symbol der Hoffnung für viele Völker oder auch für ewiges Leben, der Auferstehung und Unsterblichkeit. Ein immer grüner Baum gilt als Sinnbild ewiger unzerstörbarer Lebenskraft. Die Farbe der Beruhigung und Erholung, als Ausgleich zur gestressten Seele.

    Grün ist sich selbst genug, wirkt wohltuend.

    Menschen die grün bevorzugen sind konsequent, zufrieden, stehen zu ihrer Überzeugung. Ein Gefühl der Selbstbehauptung und eine innere Stabilität, daher auch Ruhe und Harmonie.

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