Wie geht es weiter mit Microblogging

Gastbeitrag: Warum Twitter wirklich stirbt

Der Artikel „Why Twitter’s Dying“ erklärt die nicht mehr vorhandene Netiquette im Internet und, dass dies der Grund für Twitters Untergang sein werde. Nun sind Mobbing und „abuse“ nicht alleine auf den Kurznachrichtendienst beschränkt, sondern ein typisches Merkmal für alle Sozialen Medien und auch für das WWW an sich, was mit der damit einhergehenden Anonymität und der Distanz zu tun hat.
Dass Twitter trotzdem ein massives Problem hat, ist eine andere Geschichte.

Ich sehe das nicht ganz so ideologiebeladen wie der Autor und fühle mich auch nicht missbraucht. Aber sollte die 140-Zeichen-Grenze wirklich fallen, ist das das Todesurteil für die Microblogging-Plattform.

Insgesamt schätze ich persönlich, wird sich in den nächsten eineinhalb bis zwei Jahren entscheiden ob das Unternehmen durch die Krise – in der es ganz offensichtlich steckt – durchtaucht, oder ob es zu Ende geht.

Twitter „stirbt“ seit dem Börsengang. Seitdem wird – noch massiver als zuvor – versucht, es in ein zweites Facebook zu verwandeln. Anstatt die eigenen Vorzüge und Besonderheiten zu betonen und hervorzuheben, hechelt man dem „Zuckerbuch“ und seinem Erfolg blind hinterher. Es gibt keine eigenen Grundideen mehr.

Das hektische Ticken der Twitter-Timeline, das für den Anfänger vielleicht unübersichtliche Stimmengewirr, das die 140-Zeichen-Messages erzeugen können, die Geschwindigkeit, die Dynamik – all das sind die Markenzeichen von Twitter. Man hat aber eher den Eindruck, anstatt sich stolz mit den Besonderheiten zu rühmen, empfindet man sie als Hemmschuh und versteckt sie.

Angefangen hat es damit, dass man Links und Bilder tweeten konnte. Jetzt gibt es fast nur mehr Tweets mit Bildern. Viel schlimmer noch: Mit Videos (von Vine oder Instagram).

Die DMs (Direct Messages) sind keine privaten Kurznachrichten mehr, denn sie dürfen nun beliebig lang sein und sind auch mengenmäßig nicht mehr auf 250/24 Stunden/Account beschränkt. Vorbei sind die Zeiten, als die Leute in der öffentlichen TL über DM-Limit klagten und dann alle Mitleser wussten, wer gerade mit wem schreibt.
Gruppen-DMs und dass man „DMs von Nicht-Followern“ erhalten kann, ist zwar praktisch, bremst aber den sozialen Drive. Früher haben sich die Leute selbst etwas ausgedacht, um solche Einschränkungen zu umgehen. Um zum Beispiel in einer geschlossenen Gruppe schreiben zu können, richtete sich jeder einen geschützten Zweit-Account ein. Die paar Leute folgten sich untereinander und hatten so eine „geheime“ Timeline. Das war zwar umständlich, aber gab ein „soziales“ Gefühl, denn man war kreativ und hatte Spaß daran, das System ausgetrickst zu haben.

Twitter-Zukunft

Am absteigenden Ast: Ist der Vogel schon tot?

Um privat mit jemandem zu schreiben, vielleicht eine bestimmte Frage zu klären, oder auch einen Streit, schrieb man in der TL „Folg mir mal bitte kurz, ich muss dir eine DM schreiben.“ Manchmal entfolgte man sich danach wieder, manchmal entstanden so dann die interessantesten Bekanntschaften.

Die mobile Twitter-App ist inzwischen wahnsinnig groß und verbraucht auch im Betrieb sehr viele Daten, die völlig unnötig sind. Klar, die Technik hat sich weiterentwickelt und darum sollten die Tools das auch tun. Sie könnten es aber durchaus subtiler und eleganter machen als Twitter.

Überhaupt die ganze Entwicklung: Facebook hat ein Gesicht. Jeder kennt Mark Zuckerberg, dank Hollywood sogar einen Teil seiner Lebensgeschichte. Wenn es da Neuerungen und Änderungen gibt, werden diese nicht selten von ihm persönlich an die Presse kommuniziert.

Es war klar, dass es keinen Dislike-Button geben wird. Denn was es an neuen Features gibt, ist überlegt, erprobt und bleibt.

Bei Twitter ist es ein ständiges Hin und Her. Da gibt es Funktionen, die nach User-Protesten wieder zurückgenommen werden, nur um dann doch wieder aufzutauchen (z.B. die oben angesprochene „DMs von Nicht-Followern“-Option), nach Updates funktioniert oft etwas nicht, woraufhin es am nächsten Tag ein neues Update mit dem Fix gibt – das alles erscheint den Nutzern höchst unprofessionell, ein Learning-by-doing, ein Muddling-through, der User fühlt sich nicht ernstgenommen und wie ein Versuchskaninchen. Im Englischen könnte man sagen „abused“, aber in einem anderen Sinne als im oben genannten Artikel.

Es ist eine unrunde Sache. Auch vom Design her. Das anfangs schlanke Erscheinungsbild, optisch und technisch, das coole und sleeke Gefühl, ist nicht mehr da.

Was Twitter noch zusammenhält, ist der Content. Der läuft vielleicht etwas vermindert, wenn man den Zahlen glaubt, aber doch sehr flüssig. Einer der größten Social-Media-Plattformen darf es aber nicht reichen, vom Inhalt und den Teilnehmern getragen zu werden. Sie sind ein wichtiger Bestandteil. Aber am Steuer sollte doch das Unternehmen selbst sitzen. Und diese Führungsqualität hat Twitter nicht mehr, so es sie je hatte.

Ich beziehe mich hier sehr oft auf das „Gefühl“, das der Einzelne beim Gebrauch von Twitter hat, und das ist sehr wohl Absicht. Denn mag das gesamte Internet auch eine rein technische aus Einsen und Nullen bestehende Angelegenheit sein, so sind das Soziale Netzwerke nicht. Hier spielt sehr stark die soziale (sic!) und damit auch emotionale Ebene mit. Und so ironisch es klingen mag, auf Facebook fühlen sich die Menschen besser aufgehoben als auf Twitter.

Ich persönlich habe erst im letzten halben Jahr den Eindruck, dass Österreich auf den Twitter-Zug wirklich aufspringt. Und es gibt inzwischen auch die Möglichkeit, Trends für Österreich und sogar für Wien einzustellen. Damit meine ich den Durchschnitts-Twitterer, nicht Armin Wolf oder andere, die das praktische Element der direkten News auf Twitter im Sinne von Tickern früher verstanden haben. Aber die Alpenrepublik ist für Early Adopting wohl kein Maßstab. In einem Beitrag im Ö1-Mittagsjournal wurde im September 2013 erklärt: „Emotionales findet auf Facebook statt, Politisches auf Twitter.“ Was die Situation wahrscheinlich für einen Großteil der österrichischen Social-Media-User auch heute noch sehr gut beschreibt. Die vertrauliche Gemütlichkeit von Facebook passt wohl besser zur österreichischen Mentalität.

In einem Standard-Artikel wurde Twitter als „Österreichs Plattform für Journalisten“ bezeichnet. Twitter wird froh sein können, wenn das am Ende noch übrig bleibt.

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