Geert Lovink über Web 2.0: frei heißt nicht gratis

Geert Lovink über Web 2.0: frei heißt nicht gratis

Frei ist nicht gleich kostenfrei, argumentiert Loovink unter dem Titel Zugriff verweigert, im Original „Access Denied“. Er schreibt in seinem aktuellen Essay über die ökonomischen Strukture von Web 2.0, den Wandel des Netzes und die immer stärkere Stellung der Aggregatoren – die Lektüre des gesamten Textes kann nur wärmstens empfohlen werden; hier bloß ein paar Kommentare zu einigen Aussagen über Blogistan.

Bei dem auf Jungleworld erschienen Essay handelt es um eine redaktionell gekürzte Fassung mit freundlicher ­Genehmigung des Autors aus der Einführung des Buches „Zero Comments“, das am Berliner Wissenschaftskolleg entstand und 2007 bei Routledge, New York, erscheinen wird. Der sympathische Holländer mit dem schütteren Jahr und der jahrelangen Konferenz- und Netzszene-Erfahrung hat auch ein saftiges Zitat zur Lage der Blogosphere parat:

Doch schon 2005 wurde die Blogsphäre von einer maßlosen Überhitzung erfasst. Die nächste Welle des Netz-Chauvinismus rollte an. Die Blogs verloren ihren locker-hedonistischen Zug und die ersten begannen, sich nach etwas anderem umzusehen. Der sarkastische Unterton vieler Postings verschwand und machte einer glatten Selbstvermarktung Platz, die gemeinsame Bestimmung von Nachrichtenthemen, wie während der Wahlkampagne von Howard Dean 2003, wurde von einem prekären Blogging nach dem Motto „How To Make Money With Your Blog“ abgelöst.
So gesehen ist der „beharrliche Nihilismus“ der Blogsphäre vielleicht schon Geschichte, denn oftmals vertragen sich „Aufrichtigkeit“ und Image nicht. Zyniker behaupten, Blogs hätten nie einen anderen Zweck gehabt, als der Medienindustrie einen Talentpool zu verschaffen. Das kommt nicht nur der Medienindustrie zugute, die einzelne Talente unter Vertrag nimmt, sondern gefährdet auch die Position von Journalisten, die nicht den Anforderungen entsprechen – sie werden gefeuert. So wird am Ende nicht die Welt der Blogs gestärkt, sondern die Medienindustrie.

Ich würde dem nicht uneingeschränkt zustimmen; in erster Linie deshalb, weil ich den in Loovinks Argumentation inhärenten Dualismus zwischen Medienindustrie und Blogosphere für ein Relikt der netzlosen Zeit halte. Es mag ja sein, dass hier romantische Images früher Blogger-Tage reinspielen: aber einerseits die schwierige finanzielle Lage der „prekären Kulturarbeiter“ ständig zu beklagen, für die „Lösungen gefunden werden müssen“, und andererseits jegliche ökonomische Form der Blogverwertung als kontraproduktiv zu betrachten, erscheint mir schizophren. Ich würde meinen, die traditionelle Medienindustrie befindet sich im Wandel – sie wird zu einem fluiden Interface, die Trennung zwischen Publikum und Produzent ist eine temporär-funktionale. Die Monopolisierungsgefahr indes ist größer denn je; und im Bereich des Micropublishing bewahrheitet sich, was die Theoretiker der Aufmerksamkeitsökonomie vor eingen Jahren postulierten:

Die ökonomische Maxime besteht darin, „Seitenaufrufe in Profit“ zu verwandeln. Online-Werbung besteht nicht mehr einfach darin, Anzeigen manuell einzufügen, und zu den Einkommensquellen zählen inzwischen auch Sponsoring, Blogging für Unternehmen, Merchandising, Online-Spenden, Beratung und Vorträge. Oftmals muss der Blogger dabei als unabhängiger Vertreter des Big Business agieren.
[…]
Laut Wired-Redakteur Chris Anderson, Autor von „Long Tail“, geben Risikokapitalisten offen zu, dass sich mit Inhalten kein Geld verdienen lässt, auch nicht mit Blogs. Solide Geschäftsmodelle finden sich weniger bei den Herstellern von Inhalten als bei Aggregatoren und Suchfiltern. So zitiert Anderson David Hornik von August Capital, einem risikokapitalistischen Unternehmen: „Diverse technologische Filter können zwar die Wahrscheinlichkeit minimal erhöhen, dass ein Endnutzer den Weg zu einem bestimmten obskuren Inhalt findet, aber das wird kaum ausreichen, um einen Künstler in den Mainstream zu katapultieren. Vom Filter profitieren der Anbieter und der Endnutzer, nicht unbedingt der Eigentümer des Inhalts.“

Gute Zeiten also für Feedburner, Digg, Technorati und Co.: die Mehrwertabschöpfung basiert keineswegs auf den in den 90ern erhofften demokratischen Strukturen, und Loovink hat recht, wenn er konstatiert, dass die Nutzer mehr hergeben als sie zurückbekommen. Sehr spannend ist dieses erneute Aufflackern des Topos „Kapitalismus und Schizophrenie“ natürlich nicht zuletzt, wenn man sich die permanente Sub-Diskussion in der deutschen Blogosphäre zu Gemüte führt, die wie ein stoischer Umlaufsatellit permanent ums Gravitationszentrum der Frage „Dürfen private Blogs monetarisiert werden?“ kreist. Angesichts der Summe, für die Google letztens Feedburner erwarb, zeugt die Vorstellung, dass Weblogs eine Art „geschützte Werkstätte“, die sich statthaft der Usurpation durch kommerzielle Strukturen widersetzt, bloß von Unkenntnis der ökonomischen Zusammenhänge – dies bringt Geert Lovink in „Zugriff verboten“ auf den Punkt.

0 Kommentare
  1. Robert Lender
    Robert Lender sagte:

    Ganz simpel gesagt: Blogs sind Werkzeuge – wie ein Drucker und Papier. Was man damit macht ist so unterschiedlich wie die Menschen selbst. Die einen verteilen kostenlose Liebesgedichte, die anderen drucken Propaganamaterial.
    Interessanterweise findet sich diese Diskussion bei Foren oder Wikis nicht, die „darf“ man verwenden wie man will…

  2. ritchie
    ritchie sagte:

    Diese Diskussion finde ich auch entbehrlich; aber Lovinks Argumentation betreffend die Aggregatoren find ich sehr interessant; in diesem Kontext sind die „werbefreien“ blogger nämlich bloss unbezahlte Mitarbeiter von smarten Startups wie Feedburner oder Technorati.

  3. Toffel
    Toffel sagte:

    Jaja, den Bloggern gehört die Zukunft. Vielleicht sollte ich meinen Job hinschmeißen und einfach drauflos bloggen. Nicht selten erreicht man als Blogger Kultstatus. Und wenn man erst mal kult ist, dann rollt auch der Rubel :mrgreen:

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