Amazon und Wallraff

Günter Wallraff und der Amazon-Shitstorm

Ähnlich wie Uri Geller kraft seines Geistes (und seiner Finger) Löffelchen biegt, entfachte schon so manches Lüftlein des Enthüllungsjournalisten Wallraff einen wahren Sturm der Empörung im Wasserglas des deutschen Arbeitsrechts. Mixt man noch ein wenig ARD-Doku plus die „virale Kraft sozialer Netzwerke“ hinzu, dann hat nicht nur die niederösterreichische Leiharbeiter-Firma Trenkwalder möglicherweise in naher Zukunft ein Problem.

Was war geschehen?

Laut der Presse folgendes:

Ein ARD-Bericht über die schlechten Arbeitsbedingungen beim Online-Händler Amazon schlägt hohe Wellen. Das deutsche Arbeitsministerium hat nun die deutsche Tochter der niederösterreichischen Leiharbeitsfirma Trenkwalder im Visier: Am Donnerstag wurde eine Sonderprüfung gegen das Unternehmen eingeleitet, bestätigte eine Sprecherin von Ursula von der Leyen. […] Trenkwalder war für die Rekrutierung der Amazon-Beschäftigten zuständig. Der Firma droht nun in Deutschland der Lizenzentzug. Welche Folgen das genau hätte, konnte die Sprecherin nicht sagen.

„Hier bin ich in einer anderen Welt, hier muss ich gehorchen, hier gilt meine Würde nicht.“ Was sich anhört wie das typische Resümee eines Social Media Praktikanten, bezieht sich auf die Schattenwelt unter respektive hinter der (gar nicht mal so schönen) Oberfläche des mächtigsten unter den Online-Buchhändlern. Denn hier malochen, schikaniert von einem Sicherheitsdienst, dessen Mitarbeitern man Verbindungen zur rechten Szene nachsagt (Welcher Security Firma eigentlich nicht? Der Job zieht nun mal den Bodensatz an.), massenweise Leiharbeiter, die so wenig Geld bekommen, dass sie „teilweise in der Kantine um Kaffee betteln“.

So manches erschließt sich mir auch beim zweiten Anschauen nicht, so etwa der Kommentar des Busfahrers, der das ARD-Team auf die mistigen Arbeitsverhältnisse aufmerksam gemacht hat. Die Leute, so erzählt er, wohnen oft 30 Kilometer vom Werk weg. Er holt sie ab und bringt sie nach ihrer Schicht wieder zurück – für die Leute seien das oft „mehrere Stunden täglich“. Hier könnte ein schnellerer Bus möglicherweise Abhilfe schaffen, anderswo liegt der Umgang mit den humanen Ressourcen so sehr im argen, dass man sich nahezu an Apple’sche Produktionsverhältnisse gemahnt fühlt:

Aus Zuschriften von Betroffenen gehe hervor, dass diese von Kameras überwacht, schon bei kleinen Verschnaufpausen zum Vorgesetzten zitiert würden und mit Repressalien rechnen müssten. In Einzelfällen durften Wallraff zufolge Medikamente, die etwa Diabetiker brauchten, nicht mit ins Lager genommen werden.

Dabei muss man gar nicht die Extremfälle bemühen, um schnell zu bemerken, dass hier eine ordentliche Sauerei mit System am Laufen ist: krisengebeutelte Spanier bekommen über Vermittlung der deutschen Agentur für Arbeit respektiven deren europäisches Pendant einen Saisonjob für €1.500,- brutto bei Amazon Deutschland angeboten. Zwei Tage vor der Abfahrt erfahren sie, dass „Amazon nicht in der Lage ist, sie direkt anzustellen“ und sie daher über die Leiharbeitsfirma Trenkwalder angestellt werden. Vor Ort bekommen sie einen deutschsprachigen Vertrag, dessen Inhalt sie nicht lesen können: 12 Prozent weniger Lohn als ursprünglich angekündigt, Unterkunft in winzigen Sechser-Appartments bei Kaltverpflegung, die selbst zu bezahlen ist… Leiharbeiter oder Leibeigene, mitgehangen oder mitgefangen, aus dem Ausland mit falschen Versprechungen angelockt – bilden Sie sich selbst Ihre Meinung, die ARD kickt ihre Produktionen nicht wie der geizige ORF nach 7 Tagen wieder vom Server. Hier geht’s zur Doku, die letzten Mittwoch ausgestrahlt wurde: Ausgeliefert! Leiharbeiter bei Amazon.

Der Beitrag hat eine ganze Slacktivism-Lawine ins behäbige Rollen gebracht: Zweieinhalbtausend tun auf der Facebook-Page amazon? Nein Danke ihren Unwillen kund, etliche Tweets versichern die zukünftige Entsagung vom digitalen Shoppen beim Platzhirsch. Man kann nur hoffen, dass nicht irgendwann mal eine Doku katastrophale Arbeitsbedingungen in einem Facebook-Support-Center ans Licht bringt, denn wo sollten die Wutbürger sich dann noch entleeren?

Wenig überraschend haut der deutsche Buchhändlerverband kräftig in die offene Kerbe, Sybille Hamann romantisiert über Vorteile der Grätzel-Nahversorgung und fährt mit ihrem Beitrag einen Kommentar ein, der das Problem wunderbar auf den wunden Punkt bringt:

[…] Ich werde dort sicher nichts mehr kaufen, auch wenn Amazon jetzt auf Richtigstellung oder gar Einsicht etc machen sollte. Ich habe dort schon viel gekauft, von Spielen über DVD playern bis zu Handys! – no more.
Ich bin aber in der moralischen Zwickmühle, weil ich auch ein Produkt auf Amazon verkaufe, das dort 95% meines Umsatzes einspielt. Wenn ich es schaffe, es dort über meinen Vertrieb abzuziehen, juckt es Amazon nicht, mich aber gewaltig! :-/ man sieht, Geld regiert! […]

So selbstkritisch ginge Günter Wallraff niemals vor, wie dieser wunderschöne Screenshot der Google-Suche nach „Wallraff Amazon“ eindrucksvoll demonstriert – schließlich werben die ja sogar mit seinem guten Namen:

Amazon und Wallraff

Auf Twitter spricht Martin Lindner die Endkonsumenten kollektiv von jeglicher Schuld frei:

Haben die Befürworter „stärkerer staatlicher Kontrollen“ recht, wenn sie behaupten, wir leben in einem Wirtschaftssystem, das Unternehmen zu solch – wenn nicht kriminellem, dann höchst unmoralischem Vorgehen zwingt – Machenschaft zwingt, um nicht geradewegs in die Pleite zu rutschen? Oder sollten die Netzgemeinde das Pferd von vorne aufzäumen und Amazon mit Einkaufsfasten zum Einlenken bewegen? Die ARD-Doku legt nahe, dass es sich im vorliegenden Fall um alles andere als eine Verkettung unglücklicher Umstände handelt, sondern um eine untragbare Situation – sicherlich kein Spezifikum des Online-Versandhändlers, und daher umso mehr ein Bereich, in dem dringender Reformbedarf besteht.

0 Kommentare
  1. Andreas Kohl
    Andreas Kohl sagte:

    Sorry aber selbst nach mehrmaligem Lesen wird mir die wirkliche Absicht des Artikels nicht einsichtig, außer evtl. Wallraff zu diskreditieren, aber das haben schon Andere versucht und es ist ihnen nicht gelungen. Ich denke es hat seine Gründe, dass selbst ein vermeintlich laues Lüftchen aus Köln/Thebäerstrasse stets Wirkung erzielt.

  2. Dennis
    Dennis sagte:

    Aus dem Artikel spricht in der Tat viel Unsicherheit, was man davon jetzt halten soll. Spontan würde ich sagen (und habe es auch): Sauerei. Im nächsten Schritt habe ich mich daran erinnert, was ich aus Erfahrung über „die Verbraucher“ weiß: sie sind dumm, bequem und haben ein außerordentliches Kurzzeitgedächtnis. Die Geschichte wird in wenigen Tagen raus sein aus der öffentlichen Diskussion, die Menschen sitzen wieder vor dem PC und kaufen bei Amazon ein. Dass die Menschen grundsätzlich nach den günstigen – nein: billigen Angeboten suchen, sich oft im Laden informieren und dann doch online kaufen und all das Mitleid und die Empörung einfach irgendwann verdrängt ist – das ist genau so eine Tatsache wie die, dass Unternehmen ihren Aktionären verpflichtet sind und deshalb sparen wollen und müssen. Ich hoffe trotzdem, dass da ein gewisser Bewusstseinswandel einsetzt. Wenn auch ein kleiner.

  3. Peter
    Peter sagte:

    Das ist alles einfach eine Sauerei, was da bei Amazon abgeht – Manchesterkapitalismus.

    Der Blog hat übrigens ein Anzeigeproblem unter IE9 – alles zerschossen. Tip an den Webmaster …

  4. Adrian Kubitza
    Adrian Kubitza sagte:

    Und trotzdem bestellen alle weiter hin bei Amazon (BTW Tippe das gerade auf einer neuen Tastatur auch bei Amazon bestellt ;))

    Die ganze Auffregung ist bis jetzt an mir vorbei gegangen auch wenn mein Feed-Reader voll damit ist…

  5. Steve
    Steve sagte:

    Es ist zwar nur ein kleiner Teil von Amazon, der da drin steckt und ich bezweifle, dass die ganz oben davon überhaupt wussten, aber trotzdem ist es natürlich eine Sauerei.
    Umso besser, dass das jetzt ans Licht gekommen ist.

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