Interview mit einem Wikipedianer

Interview mit einem Wikipedianer

wikipediaIn Österreich sind sie noch etwas dünn gesät, die fleißigen Redakteure und Redaktricen des Wikipedia-Projekts. Umso mehr hab ich mich gefreut, am vergangenen Barcamp in Klagenfurt einen heimischen Editor kennen zu lernen: Christoph Breitler studiert Mikrobiologie und arbeitet nicht nur inhaltlich an der deutschsprachigen Wikipedia mit, sondern erst ist auch organisatorisch an der Entstehung eines österreichischen Wikimedia-Vereins beteiligt.

Während Apologeten des offenen Wissens mit offenem Mund über diesen rasend schnell gewachsenen Informationsmoloch staunen, fragen sich viele Gelegenheitsnutzer, ob man den zusammengetragenen Infos überhaupt trauen kann – schließlich dürfen ja Hinz und Kunz mitschreiben. Meine persönliche Meinung zu diesem Thema ist: Lexikonredaktionen sind auch nicht unfehlbar, viele Augen sehen mehr als wenige und ganz generell ist die Wikimedia-Foundation die adäquate Reaktion auf die Tatsache, dass das Wissen der Menschheit anno 2k8 in kein 20bändiges Lexikon mehr reinpasst. Et voila, hier aus erster Hand: Infos über die Wikipedia von einem, der’s wissen muss!

datenschmutz: Seit wann kennst du die Wikipedia?

Christoph: Also bekannt ist mir die Wikipedia selbst seit 2001. In dem Jahr bin ich zuerst auf die deutsche Version gestoßen. Ich selbst hatte mich aber schon viel früher auch bei der Nupedia angemeldet, dem Vorläuferprojekt, aus dem die Wikipedia selbst entstanden ist. Als aktiver Autor bin ich seit 2004 tätig.

?: Wie genau sehen deine Tätigkeiten im Team aus? Wofür bist du zuständig und wie viel Zeit investierst du pro Tag bzw. Woche?

!: Meine grundsätzliche Tätigkeit sehe ich eigentlich im Schreiben von Artikeln, so bin ich ja auch zur Wikipedia gekommen: ich wollte in den Bereichen, wo ich etwas beitragen kann, „Lücken“ füllen. Mittlerweile bin ich in die Planung eines Österreichischen Wikipedia Vereins (Wikimedia Österreich) analog zum Deutschen Verein (Wikimedia Deutschland) involviert. Als Pressekontakt versuche ich die Funktionsweisen und Abläufe der Wikipedia nach außen zu kommunizieren. Prinzipiell geht darum, die Einstiegshürden zu überwinden, damit eine Person, die etwas beitragen kann und möchte auch „gehört“ wird bzw. innerhalb der Wikipedia mitschreiben kann.

?: Wie bist zu zur Mitarbeit gekommen?

!: Angefangen habe ich mit dem Schreiben von Artikeln zum Thema Biologie. Als Mikrobiologie Student lag mir das Thema in diesem Fall nah. Die Arbeit auf der Meta-Ebene kam erst danach. Da ich wohl einer der wenigen Österreicher war, die aktiv an der Wikipedia mitgearbeitet haben zu dieser Zeit bin ich eher zufällig dazu gekommen.

?: Wie funktioniert die Abstimmung des Teams untereinander und wie werden Meinungsverschiedenheiten geklärt?

!: Es gibt eine Reihe von Kommunikationskanälen, die genutzt werden, natürlich die Wikipedia selbst, dann andere Wikis bis hin zu Mailinglisten und IRC. Wobei die meisten dieser Kanäle offen zugänglich sind, daher kann jeder mitdiskutieren – und man kann nachvollziehen, was dort diskutiert wird. Ich denke, diese Transparenz trägt viel zum Erfolg von Wikipedia bei. Natürlich gibt es in diesem Prozess auch Meinungsverschiedenheiten und es entstehen Probleme. Es gibt meiner Meinung nach zwei wichtige Eckpfeiler, die das Projekt voran bringen: Wikipedia versucht eine Enzyklopädie zu erstellen (das wichtigste ist die Artikelarbeit) und niemand wird zur Mitarbeit gezwungen. (alles ist freiwillig und soll nicht in Frust enden.)

?: Was ist deine persönliche Motivation für die unbezahlte Mitarbeit? Würdest du sagen, dass du von der Mitarbeit profitiert hast? (wirtschaftlich, ideell…)

!: Meine Motivation ziehe ich aus der Tatsache, etwas beitragen zu können. Solange mir die Mitarbeit Spaß macht, bin ich auch motiviert dazu. Andere arbeiten ehrenamtlich bei Organisationen im Sozial- oder Bildungsbereich. Man profitiert nicht direkt davon. Man macht Erfahrungen, knüpft Kontakte, man arbeitet sich in Themengebiete ein, das sind die Werte, die man aus der Wikipedia Arbeit schöpfen kann.

?: Wie sieht die Wikipedia-Szene in Österreich generell aus?

!: Mittlerweile gibt es relativ viele Mitschreiber in Österreich, die Wikipedia ist inzwischen hierzulande sehr bekannt. Allerdings wird das Projekt leider noch zu oft als „deutsch“ wahrgenommen und nicht als „deutschsprachig“, das schreckt wohl viele von der Mitarbeit ab. Das wiederum schlägt sich in den Artikeln nieder, man findet häufig wenig Österreich bezogene Information.

?: Kennst du Beispiele für gezielte Manipulationsversuche? (z.B. im Wahlkampf oder ähnliches)

!: In Österreich scheint das nicht gezielt zu passieren, bzw. nicht vehement. Das NPOV-Prinzip (Neutraler Standpunkt in allen Artikeln) und die Offenheit (man kann jederzeit sehen, wer welche Informationen im Artikel ediert hat), verhindern solche Veränderungen.
Viel häufiger ist ungezieltes Einbringen von offensichtlicher sinnlos oder Falschinformation.
Die Wikipedia kann nur durch das Prinzip der Offenheit funktionieren, eine Anfälligkeit wird es dadurch immer geben. Es wäre wichtig, ein Verständnis dafür in die Öffentlichkeit zu tragen. Obwohl Artikel von jedem verändert werden können, muss nicht zwangsläufig Missbrauch passieren. Wenige würden mit einer Schaufel „bewaffnet“ Spielplätze oder öffentliche Parks umgraben, aber viele scheinen Wikipedia Artikel ähnlich sinnlos zu „verändern“.

?: Viele Mitglieder beklagen die langsame Weiterentwicklung und vermissen Features wie stabile Artikelversionen. Im c’t Interview hat die Vorsitzende der wikimedia-Foundation angekündigt, weitere Programmierer einstellen zu wollen. Wie siehst du die organisatorische und technologische Zukunft des Projekts?

!: Das Hauptproblem ist wohl die zielgerichtete Weiterentwicklung des Projektes. Die Wikimedia Foundation ist als Non Profit Organisation auf Spenden angewiesen, dieses Geld muss zunächst die Betriebskosten decken. Erst wenn dieser Grundstock abgedeckt ist, kann Kapital in zusätzliche Features investiert werden, daher muss es in dieser Hinsicht immer Kompromisse geben.

Die stabilen Versionen bringen auch große Veränderungen im Projekt mit sich, daher ist die endgültige Einführung nicht alleine von Programmierarbeit abhängig. Mittelfristig gesehen sind sicher die endgültige Implementation der stabilen Versionen sowie die Einführung von Semantic-Mediawiki als Ziele zu sehen.

?: Welche Features vermisst du bzw. welche Weiterentwicklungen wünscht du dir persönlich?

!: Die Wikipedia hat sich sehr gut entwickelt, die deutschsprachige Version hat fast 712.000 Artikel, aber nur ein Bruchteil dieser Informationen ist auch untereinander verknüpft. Es wäre schön, Informationen auch mehrdimensional abzufragen: „Welche Pflanzen erreichen eine Maximalhöhe von 2,5m?“ Oder „Welche Personen, die zur Wahl des Bundespräsidenten aufgestellt wurden, lebten wann und wie lange in Wien/Salzburg/Graz?“

21 Kommentare
  1. Markisen
    Markisen sagte:

    712.000 Artikel sind aber eine Menge! Ich hätte nicht gedacht, dass es doch so viele Seiten gibt. Die entwicklung des Wikipedia ist schon beachtlich, auch wie schnell das alles ging…

    Mal sehen, wie ihre Suchmaschine wird, aber das wird ja noch ein Stück dauern!

  2. Klaus-Martin Meyer
    Klaus-Martin Meyer sagte:

    Es gibt definitiv ganz wenige Seiten im Web, die soviel Nutzen spenden wie wikipedia. Man kann nur den Hut ziehen vor Leuten die wichtiges und zuweilen für viele auch eher unwichtiges zusammentragen. Man wundert sich schon, dass es Leute gibt, die zusammentragen, wo es in der Vergangenheit einmal „Kaufhalle“-Filialen gegeben hat.
    aber vielleicht wird dieses Wissen auch irgend jemanden auf irgend eine weise helfen.

    grusz
    klm

  3. Jan
    Jan sagte:

    Ich habe wirklich Respekt vor solchen Leuten…
    Kostenlos und mühevoll sein eigenes Wissen anderen Leuten zu präsentieren und (eigentlich) nichts (?!) dafür zurückbekommen?

  4. Bernhard
    Bernhard sagte:

    Habe großen Respekt vor der Arbeit des Einzelnen – zweifle aber an der Wertigkeit des bei Wikipedia referenzierten Wissens. So findet man oftmals nur Halbwahrheiten, die dann durch unqualifizierte Ergänzungen zusätzlich verfälscht werden.
    Fachbücher sind meist wissenschaftlicher und beinhalten fundiertes Wissen – nur meine Meinung…

    • ritchie
      ritchie sagte:

      Für deine Argumentation lassen sich sicherlich zahlreiche Beispiele finden; und natürlich fungieren Fachverlage zu einem hohen Grad als Qualitätssicherungsinstrumente. Andererseits allerdings denk ich, dass gesundes Mißtrauen und Quellenvergleiche immer eine gute Idee sind – und wenn die wikipedia insgesamt zu etwas weniger „Vertrauen“ gegenüber „verbrieftem“ Wissen führt, dann halt ich diese Entwicklung ingesamt für sehr positiv.

  5. Lehmann
    Lehmann sagte:

    Seitdem es Wikipedia gibt, ist der verkauf der Lexikas bestimmt extem eingebrochen, ich selbst nutze für solche Sache nur noch dein Wiki. In jedem Fall hab ich auch respekt vor den freiwilligen Helfern, auch wenn ich selbst sowas nicht machen würde.

  6. Bernhard
    Bernhard sagte:

    Die Vision, dass in Zukunft fast alles vom Rechner erledigt werden kann, finde ich sehr düster. Die Gesellschaft wird immer bequemer, man vereinsamt immer mehr.

    • Tini
      Tini sagte:

      Das sehe ich nicht so. Gerade durch das Internet hat man vielfältige Möglichkeiten Kontakte zu knüpfen und zu pflegen. Wenn es kein Internet gäbe müsste man sich entweder anrufen oder per Brief schreiben .. keine so tolle Vorstellung.

      • Christoph
        Christoph sagte:

        QTini: Sicher hast du Recht, wenn du sagst, man könne durch das Internet mit vielen Menschen interagieren.Und das weltweit ohne Zeitverschiebung.Natürlich ein großer Vorteil des medialen Zeitalters. Allerdings sind handgeschriebene Briefe nicht etwas das niemals aussterben dürfte. Und ist es nicht wunderschön auch mal die Stimme des anderen zuhören, wenn man mit Ihm telefoniert. Es lassen sich doch Stimmungen, Emotionen und wichtige Dinge viel besser kommunizieren, wenn man den Tonfall, Akzent und Klang des anderen hört? Was meinst du?

        Gruß aus Berlin

  7. Jens
    Jens sagte:

    Tja was solll man dazu sagen. Ich selber finde Wikipedia sehrg gut. Das man dort so viele Sachen findet ist natürlich sehr oft sehr hilfreich. Auch wenn das ganze mal ein wenig in verruf gekommen ist weil man sich auf die Infos nicht verlassen kann. Ich denke wikipedia hat zukunft es gibt nur leider zu wenig Leute die etwas Spenden möchten. Wenn man mal bedenkt wie viel Benutzer dort Weltweit drauf sind kann man sich ja vorstellen was die an kosten für Server haben. Aber wieso nicht einfach ein bissel Adsense drauf? :)

  8. Chris
    Chris sagte:

    Ich kann nicht viel positives über Wikipedia berichten. Ich sehe es aus der Sicht eines Webmasters. Möchte man einen neuen Artikel verfassen oder einen bestehenden erweitern, bekommt man dafür keine Gelegenheit weil es sofort gelöscht wird. Obwohl das ganze zu 100% themenrelevant ist. Somit ist Wikipedia für micht nicht mehr interessant, weil die jeweiligen Editoren nur Ihre Seiten und Texte zulassen und keine von aussen.

  9. Andreas
    Andreas sagte:

    Ob man mir glaubt oder nicht, ich wollte schon immer wissen wie es hinter dem Ganzen aussieht. Sehr schönes Interview und wieder was gelernt.

    Beste Grüße

  10. Teneriffa
    Teneriffa sagte:

    Was mich etwas wundert ist die Aussage, man wäre auf Spenden angewiesen, da es sich um eine Non-Profit Organisation handelt. Wenn man herginge und beispielsweise Adsense in geringem, nicht störenden Umfang integriert, wäre man diese Probleme doch auf einen Schlag los. Und wenn man dann tatsächlich ohne Profit arbeiten möchte, kann man den Überschuß doch einfach einer gemeinnützigen Sache spenden. So wäre man doch aller Sorgen entledigt.

  11. Malte
    Malte sagte:

    Die Sache mit den Manipulationen hat er sich zwar ein wenig schön geredet aber ein wirklich semantisches Wiki, welches solche Fragen ,wie sie im letzten Absatz genannt wurden, beantworten könnte wäre wirklich klasse! Bis dahin liegt aber noch ein langer, langer Weg vor uns.

  12. Kitty
    Kitty sagte:

    Ich finde Wiki an sich echt klasse und auch das Interview hat mir gefallen und mich um einiges schlauer gemacht, allerdings habe auch ich schon die Erfahrung machen müssen, falsche Informationen bei Wiki zu bekommen.

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