Anonymität und Identität im Netz

ISPA Summit 2014 – Von verschlüsselten Klarnamen und Schein-Pseudonymitäten

Beim diesjährigen ISPA-Summit diskutierten Experten und Medienpraktiker im historischen Festsaal der Österreichischen Akademie der Wissenschaften über das mehrfach heikle Thema „Anonymität und Identität im Netz“. Die Internet Service Providers Austria hatten für die Keynotes Falter Geekgirl Ingrid Brodnig und den ehemaligen c’t Autor und nunmehrigen SPD-Berater Jonas Westphal eingeladen, anschließend wurde in erweiterter Runde über ein äußert kontroverses Thema diskutiert: Hebt die Angabe von Echtnamen die Qualität von Online-Diskussionsforen?

Die Frage ist international in einen größeren Kontext eingebettet, mehrmals fiel auf der Veranstaltung das Stichwort „Post Snowden Ära“. Seit der ehemalige Überwachungstechniker ausgeplaudert hat, was USA und NSA so alles mit unseren Datenspuren treiben, müsste das Bewusstsein auf Nutzerseite deutlich gestiegen sein – möchte man meinen. Dass dem in der kommunikativen Praxis keineswegs so ist, zeigte eine kurze Abstimmung per Handzeichen. Selbst in einem Saal voller Internet-Experten nutzt bloß eine verschwindend geringe Minderheit starke Verschlüsselungstechnologien wie PGP. Wie entsteht dieser seltsame Spagat zwischen gefühlter Einengung der Privatsphäre auf der einen und weitgehender Ignoranz auf der anderen Seite? Liegt die geringe Akzeptanz womöglich an technischen Hürden, an Bequemlichkeit, an der Hoffnung, „dass schon nicht alles so schlimm sein wird“?

Jonas Westphal schlug mit seinem Vortrag in eine ähnliche Kerbe wie Sascha Lobo. Fazit: Früher war alles weniger überwacht – gebt uns bitte das gute alte Internet zurück! Die Verantwortung dafür sieht er in erster Linie bei der (Netz)Politik, die Rahmenbedingungen schaffen müsse, in denen anonyme respektive „pseudonyme“ (staatliche Organe kommen im Strafverfolgungsfall zwar an die IP Adresse und damit an die Identität des Verfasser heran, aber sonst keiner) Kommunikation weiterhin möglich bleibt. Dass diese Art der Meinungsäußerung sogar im deutschen Recht verbrieft ist, war mir gänzlich neu. In der Theorie kann man hier schwer widersprechen, die Praxis zeigt allerdings, dass von staatlicher Seite wenig Hilfe zu erwarten ist.

Expertengremien versichern sich nämlich gern gegenseitig, wie wichtig „freie“ Kommunikation für die Demokratie sein, in den Niederungen der täglichen Praxis zeigt sich aber rasch, dass die Begehrlichkeiten von Geheimdiensten problemlos fromme Wünsche überrollen, und zwar noch dazu hinter den Vorhängen. Ich fürchte, wir müssen die Dinge selbst in die Hand nehmen, VPNs einrichten und uns so gut vor Lauschern schützen wie eben möglich. Every man and woman for him-/herself. Also nix mit Verantwortungsdelegation…

Die Meinungsmutigen übersehen so einiges

Vorher hatte Ingrid Brodnig, Autorin des Buches Der unsichtbare Mensch, mehr als schlüssig erklärt, warum der kurze, bequeme Weg – nämlich Forennutzern die Verwendung ihres echten Namens vorzuschreiben – zwar für Verlage verlockend, weil kostengünstig sei. Ein gutes Diskussionsklima aber wird erst dann entstehen, wenn sich Moderatoren aktiv um zeitnahe Moderation bemühen, und das ist nun mal mit beträchtlichem Aufwand und Personalkosten verbunden.

Die SZ zeigt, wie gut sowas funktionieren kann, denn der beste vorbeugende Schutz gegen Troll-Invasionen ist und bleibt kompetentes Community-Management. Bei der nachfolgenden Diskussionsrunde hatte mein Ex-gap-Kollege Sebastian Hofer die meiner Ansicht nach undankbare Aufgabe, die „Klarnamenpflicht“ seines Arbeitgebers profil zu verteidigen, was Dr. Hans Zeger (ARGE Daten) zu der berechtigen Frage bewog, was überhaupt unter „Klarnamen“ zu verstehen sei. Denn auch wenn die AGBs verlangen, den echten Namen anzugeben, kann natürlich trotzdem jeder Scherzbold beliebige Daten eintragen – Registrierungsformulare sind nun mal geduldig. Böse gesagt leistet die Klarnamenpflicht im schlimmsten Fall bloß dem Identitätsdiebstahl Vorschub.

ISPA Summit Anonymität und Identität im Netz

Dass ein populäres Medium überhaupt selbst entscheiden kann, Kommentare abzudrehen, bezweifle ich mal ganz generell. Stellen Sie sich doch einfach vor, ein Portal wie Heise.de kappt die Kommentarfunktion (okay, das ist jetzt wirklich sehr hypothetisch!). Wie einfach wäre es, ein Browser-Plugin zu bauen, dass ein „externes“ Kommentarsystem implementiert… man könnte dazu sogar bestehende Anbieter wie Disqus nutzen. Kommentare sind mittlerweile ein integraler Bestandteil von Online-Medien, Moderation und Community-Management gehören genauso zum Online-Journalismus wie Recherche und Artikelschreiben, da führt kein Weg dran vorbei und die Eisenbahn drüber.

Dass in Österreich die Allianz der Meinungsmutigen, fleißige Kämpfer gegen die Windmühle der „unerträglichen Kommunikationsfreiheit“, sich vorwiegend aus Proponenten just jener Verlage rekrutiert, die gerade nicht unter einer unbewältigbaren Flut an Lesermeinungen leiden, zeugt wohl eher von neidischen Seitenblicken auf erfolgreichere Netzkonkurrenten. Rechtsfreier Raum war das Internet nie, geltende Gesetze finden ohnehin längst auch im virtuellen Raum ihre Anwendung.

Fazit: Danke für einen netten Nachmittag in mondänem Ambiente! Ich hab auf jeden Fall was gelernt: ab sofort ist auf datenschmutz beim Kommentieren die Verwendung eines Pseudonyms Pflicht. Wer hier mit echtem Namen kommentiert, muss im schlimmsten Fall mit einem milden Verweis via Reply rechnen!

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