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Jaron Lanier verflucht die Netzkultur

Wenn irgendwo ganz weit vorne auf der Netz-Avantgarde-Welle ein Rasta surfte, dann handelte es sich mit ziemlicher Sicherheit um den Digital-Pionier Jaron Lanier. Zahllose eingeritzte Kerben zieren die Rückseite seines Smartphones – eine für jedes selbst erfundene Buzzword, und dazu gehören in Jarons Fall Heavyweights wie „Virtual Reality“ (ja, das stammt von ihm) oder „Schwarmintelligenz“. Die Rastazöpfe sind zwar länger geworden, aber der einstmalig affirmative Optimismus hat sich nahezu in sein Gegenteil verkehrt. Dieser Tage spricht Lanier im FAZ-Interview lieber Ende des digitalen Maoismus und vom „digitalen Mob“.

Er sieht im gegenwärtigen Status des Internet nämlich alles andere als die technologische Verwirklichung der alten Versprechung des „freien Zugangs für alle“. Der habe sich, so Lanier, in eine beispiellose Ausbeutung von Kreativen gewandelt:

Ich bin unter anderem zu dem ziemlich verstörenden Schluss gekommen, dass das Phantasiebild von den Musikern, Journalisten, Geistesarbeitern, die zwar durch file sharing und soziale Netzwerke ökonomisch in Bedrängnis gerieten, aber so auch neue Geldquellen aufspürten, falsch ist. Viele Leute geben immer noch vor, dass dies jetzt geschieht, weil sie an die vorherrschende Ideologie glauben, aber die Daten widersprechen ihnen.

Als Lösung des gegenwärtigen Dilemmas, dass alte Einkommensmodell wegbrechen, während Ersatz nicht in Sicht ist, greift Lanier auf einen Klassiker zurück: Ted „Xanadu“ Nelson, geistiger Vater des Konzepts Hypertext, schlug schon in den 60ern ein System-immanentes Micro-Payment Verfahren vor. Dieses dürfe aber nicht von einer einzelnen Firma, sondern müsse zwischenstaatlich entworfen werden und damit universell gültig.

Denn der Preis der Offenheit dürfe nicht die Entrechtung von Individuen sein, so Lanier, der sich mittlerweile offensichtlich in der Rolle des Robin Hood ganz gut gefällt. Ich denke keineswegs, dass die angesprochene Problematik auf das Fehlen eines Zahlungssystems zurück zu führen ist und schon gar nicht, dass Kreativität notwendigerweise ans ökonomische System rückgebunden sein muss. Ausgesprochen originell finde ich dagegen Jaron Laniers Urteil über Facebook und Co.:

Websites, die ich am meisten kritisiere, sind zufällig auch jene, die nicht profitabel sind. Sie bieten Mash-ups an, bei denen die individuelle Stimme nicht mehr zu hören ist: Facebook, Twitter, Wikipedia. Gut, sie sind nicht alle gleich schlimm, Wikipedia ist schlimmer als Facebook, aber keine von ihnen hat einen Profit vorzuweisen. Wikipedia ist gemeinnützig, Twitter und Facebook versuchen profitabel zu sein, können es aber nicht über triviale Summen hinaus. Ihre Existenz verdanken sie ideologischen Gründen, aber als Firmen sind sie gescheitert.

Das oft zitierte Problem der Informationsflut respektive Reizüberflutung sieht Lanier nicht in der schieren Menge der Information, sondern in deren Fragmentierung. Das Mash-Up, das Informationsfragmente aus seinem Zusammenhang reißt, sei das eigentliche Problem, und der Faktor „Mensch“ dürfte nicht aus der Gleichung „Internet“ herausgenommen werden. Freilich: manches mag nach „nona“ klingen, und ich bezweifle, dass die Netzwelt tatsächlich jemanden braucht, der ihr erklärt, dass das Internet keine „Superlebensform“ sei. Dennoch hebt sich JL nach wie vor angenehm vom schaumgebremsten Mainstream angenehm ab:

Eine Maschine wird gern für intelligenter gehalten, als sie ist. Die Leute, die für Suchmaschinen verantwortlich sind, geben vor, dass ihre Apparate verstehen, wonach gesucht wird. Das stimmt natürlich nicht. Aus neurowissenschaftlicher Sicht sind Suchmaschinen nichts als Schund. Es gibt noch keine technologischen Mittel, Semantik oder Logik darzustellen.

Allein dafür hab ich mir gerade sein neues Oeuvre bestellen müssen:

Jaron Lanier: You Are Not a Gadget: A ManifestoJaron Lanier verflucht die Netzkultur

13 Kommentare
  1. Susanne
    Susanne sagte:

    Ich steh auf seine Aussagen, sie polarisieren.

    Eines kann ich aber nicht unkommentiert lassen, das ist aufgelegt (und Du hast es freundlicherweise ausgelassen): Facebook ist wirtschaftlich nicht erfolgreich?

    Da muss doch gleich die ebenfalls kritisierte Wikipedia herhalten:
    „Verschiedene Quellen schätzen den Gesamtwert des Unternehmens sehr unterschiedlich zwischen 3 und 15 Milliarden Dollar; ein tatsächlicher Wert von 10 Milliarden Dollar erscheint realistisch. Microsoft bewertet Facebook Anfang Mai 2008 mit einem Gesamtwert von 15 Milliarden Dollar.
    Zuckerbergs Vermögen belief sich im September 2009 auf rund 2,0 Milliarden Dollar und ist parallel zum Anwachsen des Marktwerts von Facebook stetig steigend. Damit ist er der jüngste zur Zeit lebende Milliardär der Welt.“ (Hier nachzulesen:

    Also so finanziell erfolglos möchte ich auch gerne sein. :king:

    • Ritchie Blogfried Pettauer
      Ritchie Blogfried Pettauer sagte:

      Seh ich auch so… solche Bewertungen sind bloß ein skurriler Auswuchs des Börsen-Kapitalismus; klar sind die Gründer super-reich geworden damit, aber der Unternehmenswert existiert in der Tat bloß am Papier.

      Die meisten Ende der 90er pleite gegangenen Start-Ups waren auch sehr hoch bewertet von Analysten; da gibt’s diese großarttige Simpsons-Szene, in der Bart Simpsons für ein Start-Up arbeiten soll. Der Typ meint dann zum ihm: „Wir können dich nicht bezahlen, aber du bekommst Beteiligungen“ und zeigt dabei auf einen klopapierartigenrollenhalterartigen (wow, was für ein langes Adjektiv!) Apparat – Aktien-Selbstbedienung. Dieses Bild trifft’s wirklich ganz gut :frog2:

  2. fadi
    fadi sagte:

    hab‘ das interview in der FAZ mit freude gelesen. habe seit zeiten des gophernet so viele hypes kommen sehen, mitgelebt und wieder verpuffen gesehen, ohne dass allzu viel geblieben wäre. am schönsten ist sowieso die zeit nach dem hype. da bleibt das über was bestand hat.

    fazit: es hat viel spass gemacht. geld haben damit andere verdient.
    mein neffe ist 15 und wird die musik seiner band demnächst auf cassette veröffentlichen. da kommt freude auf. hab zwischen 1984 – 1993 auch nichts anderes gemacht.

    :frog3:

    lg fadi
    )

    • Ritchie Blogfried Pettauer
      Ritchie Blogfried Pettauer sagte:

      Mit der „Zeit nach dem Hype“ hast du sowas von 100% recht… ich kann’s eigentlich kaum mehr erwarten, bis die Social Blase platzt! :frog:

      Und in punkto Spaß+Geld kann ich Dir auch nur zustimmen.

      Und: ich möchte bitte eine Vorbestellung tätigen für die Kassette deines Neffen! Im Arbeitszimmer steht immer noch mein alter Ghettoblaster.

  3. Susanne
    Susanne sagte:

    Können wir kurz über „wirtschaftlich erfolgreich“ reden? Ein mit 10-15 Mrd. Dollar bewertetes Unternehmen gilt in großen Teilen der Welt derzeit als erfolgreich.

    Ob ihr euch wünscht, dass Blasen platzen, ob sich der Erfolg ändert wenn Wirtschaften zusammenbrechen und ob der Erfolg nicht realisiert und rein virtuell ist – das sind andere Themen, ebenfalls diskussionswürdig.

    Aber wie kann man sagen, dass in einer Marktwirtschaft wie der amerikanischen 10-15 Mrd. Unternehmenswert und 2 Mrd. Privatvermögen wirtschaftlich nicht erfolgreich sind? Gelten nach Dotcomcrash und Bankenkrise echt nur mehr Produktionsbetriebe mit eigenem Landbesitz als erfolgreich, weil assetgestützt? Wenn ja bringe ich sofort WW2 in die Diskussion ein.

    • Ritchie Blogfried Pettauer
      Ritchie Blogfried Pettauer sagte:

      Ich seh das durchwegs nicht so, dass der Unternehmenswert assetgestützt berechnet werden muss; aber was mir bei FB komplett fehlt, ist *irgendeine Perspektive* zum Turn-Around: die Infrastruktur ist sejr teuer und die Burn-Rate immens hoch; in der jetzigen Form *muss* FB an einen Punkt kommen, wo den Investoren das Verlustrisiko einfach zu hoch wird! Aber was meinst du mit WW2?

  4. Züchter
    Züchter sagte:

    „auf das Fehlen eines Zahlungssystems zurück zu führen ist und schon gar nicht, dass Kreativität notwendigerweise ans ökonomische System rückgebunden sein muss.“

    Ich denke aber schon dass es an Möglichkeiten fehlt deine geistige Eigentümer finanziell auszuschöpfen denn im Internet herrscht eine Umsonstkultur. Und Leute haben sich gewöhnt an oberflächliche Informationen und ahnen gar nicht dass bessere Informationsquellen ein bestimmter Wert haben. Dabei wusste ich auch nicht das Wikipedia einst profitabel sein musste. Denn als gewinnbringender Firma ist Wikipedia vielleicht gescheitert, das neue Internet Informationslandschaft hat sie ganz sicher mitgeprägt.

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  1. larry wheels sagt:

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