Kommentare am Blog deaktivieren? Niemals.

Kommentare am Blog deaktivieren? Niemals.

Der Metaphoriker spricht vom „Rauschen“, das durch den Blätterwald geht. Im Fall von Blogs sollte es vielleicht eher Raunen, wenn nicht gar Raunzen heißen, meint First Generation Blogger David Winer: auf Kommentare könnte man gut und gerne verzichten, so David. Das passt zur Greater Internet Shitwad Theory, kann aber nicht ganz unwidersprochen hingenommen werden.

Die wesentliche Eigenschaft eines Blogs sei die Wiedergabe einer authentischer Meinung, unverfälscht durch Gruppendruck, Konformitätszwang und massenmediale Spielregeln. Die Kommentare spielten dabei angeblich eine untergeordnete Rolle. Wer etwas zu sagen hat, der kann sich ja ohne weiteres selbst ein Blog anlegen, so die Logik des schreiberischen Solipsismus:

Do comments make it a blog? Do the lack of comments make it not a blog? Well actually, my opinion is different from many, but it still is my opinion that it does not follow that a blog must have comments, in fact, to the extent that comments interfere with the natural expression of the unedited voice of an individual, comments may act to make something not a blog.

Als weiteren Punkt gegen Kommentare führt David auch das altbekannte Argument von der Selbstreferenzialität ins Feld: „People use blogs primarily to discuss one question — what is a blog? The discussion will continue as long as there are blogs.“ Dem kann ich nur zustimmen – ein Teil des permanent mitschwingenden Metadialogs mag durchwegs der Neuheit des Mediums geschuldet sein, ein anderer, aber verschwinden wird das Thema nicht: Mikromedien machen ihre Herausgeber eben zu Haustechniker, Serverexperten, Chefredakteuren, rasenden Reportern, Layoutern usw… in einer Person, das schreit geradezu nach Austausch und Metadialog.

Konsequenterweise drehte der Autor die Kommentarefunktion am eigenen Blog ab, und Joel Spolsky, amerikanischer IT-Journalist, greift die ausgesprochen konträre Argumentation freudig auf und geht gleich noch ein Stück weiter:

The important thing to notice here is that Dave does not see blog comments as productive to the free exchange of ideas. They are a part of the problem, not the solution. You don’t have a right to post your thoughts at the bottom of someone else’s thoughts. That’s not freedom of expression, that’s an infringement on their freedom of expression.

Starker Tobak – Kommentare also als Behinderung der freien Meinungsäußerung? Mein Problem mit dieser Sichtweise liegt ganz einfach darin, dass sie für manche Blogger durchwegs passen mag – das hängt aber in erster Linie wohl vom eigenen Menschenbild ab und davon, ob man sich erwartet, unwidersprochen seine Weisheiten in die Welt hinaus posaunen zu dürfen. John Gabriels Greater Internet Fuckwad Theory, die besagt, dass sich ganz normale, nette Kerle unter dem kombinierten Einfluss von Öffentlichkeit und Anonymität in beleidigende Verbalbestien verwandeln, mag Winer ja auf den ersten Blick recht geben. Meine persönlichen Erfahrungen in Blogistan sind da ganz andere: wie wenigen Hatemongers bringen mich bloß zum Lachen, niemals möchte ich wegen ein paar, auf gut Wienerisch „Wapplern“, auf all die konstruktiven Beiträge und die virtuellen Gespräche mit meinen LeserInnen verzichten.

Denn blickt man etwas differenzierter auf die kommunikativen Verästelungen Blogistans, dann stellt sich die Kommentarefrage ohnehin nicht mehr so schwarz/weiß dar: Denn der Verzicht auf Kommentare rückt ein Blog ein ganzes Stück weit in Richtung Web 1.0 Seite – nicht technologisch, sondern ideologisch: für viele BloggerInnen (und da schließe ich mich ein) sind Feedback der LeserInnen Hauptmotivation dafür, überhaupt ein Blog zu schreiben. Die Frage, ob’s aus Google-taktischen oder anderweitigen Überlegungen besser wäre, Kommentare abzudrehen, stellt sich überhaupt nicht: so lästig Spam und so aufwändig Antispam-Maßnahmen sind, so hoch die Wahrscheinlichkeit auch sein mag, früher oder später einem Troll zu begegnen: was wären Blogs ohne das direkte Feedback, ohne diesen großartigen direkten Kommunikationskanal zur Leserschaft, der Blogger von Journalisten unterscheidet? In wenigen, ausgewählten Fällen mag ein Verzicht auf die Kommentarfunktion ja Sinn ergeben, eine „golden rule“ draus zu machen und speziell Newbie-Blogger zu verunsichern, halte ich allerdings für ausgemachten Quatsch. Und Gründe, von seinen Lesern öffentlich kontaktiert werden zu wollen, gibt es viele:

  • Der gute alte Crowd-Support: ich hab hier ein „Insert Category“ Problem, hat da jemand einen Tipp? So ist schon so mancher Thread entstanden, der mehr wertvolle Info für spätere Leser enthält, als der eigenen Artikel.
  • Reality Check: Ich seh das so und so, liegt ich da völlig daneben? Was meinst ihr dazu? Der Möglichkeit, solche Fragen auf datenschmutz stellen, würd ich mich niemals freiwillig berauben.
  • User generated Content hat positive SEO-Auswirkungen: Contrary to popular believe wertet Google auch ausgehende Links. Mit deaktiviertem Nofollow in den Kommentaren und sauber moderierten Kommentare ohne Viagra-Links erhält man nicht nur eine willkommene Ergänzung der Inhalte, sondern fördert sogar eine bessere Platzierung in Suschmaschinen.

Das Argument der kommunikativen Demokratie möchte ich freilich nicht bemühen: letztendlich sitzt der Blog-Autor am langen Hebel, löscht, editiert und filtert, wie’s im passt. Doch wie man’s auch dreht und wendet: ein Blog ist keine statische Seite, sondern eine kleinere oder größere Community. Die zitierte Scheu vor Kommentaren resultiert einerseits aus dem angesprochenen unlustigen Menschenbild („alle anderen außer mir sind Idioten und haben sowieso nix brauchbares beizutragen“) und andererseits aus der Angst vor schrecklicher Kritik, die auf einen niederprasseln könnte. Dabei bieten alle gängigen Blogsysteme hervorragend abgestufte Möglichkeiten: von der ungeprüften Veröffentlichung über das Festhalten jeden Kommentars in einer Moderationsschleife ist so gut wie alles möglich – freiwillig auf Blog-Kommentare zu verzichten kommt mir ein bisschen so vor, als ob man sich ein Motorrad kauft, den Motor deaktiviert und seine Kiste einfach nur im Leerlauf durch die Gegend schiebt – passieren kann dabei nicht viel, Spaß hat man allerdings auch keinen.

0 Kommentare
  1. Michael Kamleitner
    Michael Kamleitner sagte:

    „Konsequenterweise drehte der Autor die Kommentarefunktion am eigenen Blog ab…“

    hm, glaube mich zwar zu erinnern das dave winer die kommentarfunktionen kurzfristig, in zeiten von massivem trolling, abgedreht hatte, generell ist sie aber aktiviert und wird von winer auch massiv zur einbindung seiner leser genutzt (siehe http://scripting.wordpress.com/2007/07/25/scripting-news-for-7252007/#comments). als langjähriger leser von winer glaube ich auch das seine meinung zu kommentaren bzw. seiner blog-community schon differenzierter ist als es das von dir rausgepickte zitat vermuten lässt ;)

    ansonsten gebe ich dir schon recht, der feedback-kanal durch leser-kommentare ist für das gros der blogger essentiell. für mich persönlich ist es auch motivationsgrund # fürs bloggen. andererseits: wenn die zahl der leser „zu groß“ wird, nimmt die sinnhaftigkeit der kommentar-funktion eindeutig ab (siehe seitenlange aber dafürch gehaltlose kommentare unter den meisten TechCrunch-Posts).

  2. Michael Kamleitner
    Michael Kamleitner sagte:

    bin mir auch nicht sicher warum er sein blog in mehrfacher ausführung laufen lässt, aber um google ranking muss sich winer wohl keine sorgen mehr machen ;)

    erst vor ein paar tagen hat er aber mal wieder erwähnt, das er den comment-link absichtlich etwas „versteckt“, seiner aussage nach reduziert das die troll-postings signifikant.

    zu dem zitierten posting: imho will er damit nur sagen dass das kommunikationsmittel „blog“ leser-kommentare nicht per definition erfordert um als solches bezeichnet zu werden. und dem würde ich schon zustimmen.

  3. ritchie
    ritchie sagte:

    Tja… ich verstehe ja eine gewisse Betriebsmüdigkeit. Und zugleich find ich’s lustig, dass gerade die Ex-Apologeten mit dem, was sie seit fünf Jahren und mehr predigen, nicht umgehen können, wenn aus die Subkultur so erfolgreich wird, dass sie in Richtung Mainstream tendiert – eigentlich eine Entwicklung, die man im Popmusikbereich fast 1:1 genauso beobachten kann. „Crowd Sourcing, Blogs, Involvment, leiwand… aber ich mach das ja schon alles so lang, jetzt gehen mir die Leser auf den Sack, die schreiben ja nur mehr Blödsinn…“ so nach dem Motto :mrgreen:

  4. Hauser
    Hauser sagte:

    Also ich für meinen Fall lasse die Kommentare immer erst mal an, aber wenn ich dann merke dass immer mehr von diesem bekannten Spam reinkommt, teilweise 100 pro Stunde, dann wird die Funktion für die Seite deaktiviert. Ansich finde ich Kommetare gut, aber nicht diesen URL-Spam der vor allem von den Amis kommt.

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