Luhmanns Zauberstab: ein Zettelkasten

Luhmanns Zauberstab: ein Zettelkasten

Und kein digitaler, nein, hier dreht sich’s um das analoge Vorbild der digitalen Datenbank. Darf man diesem Youtube-Video glauben, ist die Produktivität Luhmanns zu einem hohen Grad der Tatsache geschuldet, dass der deutsche Systemtheoretiker ein Zettelkastensystem entwickelt hat, das er mindestens so stringent durchzieht wie seine elektrische Schreibmaschine ihr Farbband.

Zitat: „Ich schau dann immer, dass alles wieder an die richtige Stelle reinkommt.“ Die einen finden ja, dass NL die progressivste Gesellschaftstheorie überhaupt hervorgebracht hat, die anderer halten ihn für konservativ; ich halte mich da raus, glaube aber durchaus beobachtet zu haben, dass er einfach alles in den Rahmen seiner Systemansätze zwängt – ob’s passt oder nicht. Und wenn aus einem Modell plötzlich ein Dogma wird, dann beginnt’s meist recht streng zu riechen, weil letztendlich ist die Welt dann halt doch kein Zettelkasten. [via Strenge Jacke!, Media-Ocean] Bis man indes zu dieser Erkenntnis gelangt, kann ein selbiger sehr hilfreich sein:

Mehr davon gibt’s bei Geloggd – und dort bin ich auch auf den Link zum virtuellen Pendant gestoßen:

Auf diesen Seiten finden Sie einen elektronischen Zettelkasten für Ihren PC, der sich am Arbeitsprinzip des Zettelkastens von Niklas Luhmann orientiert. Mit Hilfe dieses Programms können Sie die tägliche Arbeit mit (wissenschaftlichen) Texten erleichtern und wesentlich effektiver gestalten. Sowohl das Verwalten wichtiger Textstellen und Zitate als auch die anschließende Verwendung dieser Textsammlung zwecks Textproduktion werden durch den Zettelkasten erheblich vereinfacht.

Zum Luhmann-Zettelkasten für den heimischen PC – Apple- und Linux-User bleiben derzeit außen vor, Plattformabhängigkeit ist allerdings für den kommenden Release geplant – existiert auch ein Wiki. Sieht auf den erste Blick sehr vernünftig aus und könnte möglicherweise das Ende einer langen Suche bedeutet: bisher verwaltete ich meine Zitatesammlung mit dem großartigen Cuecards; spezialisierte Literatur-Software wie Citavi oder Bibliographix, deren Freeware-Varianten ich ausprobiert habe, sind für meine Bedürfnisse noch nicht das Gelbe vom Ei. Mal gucken, wie sich der Luhmann-Zettelkasten im harten Literatur-Verwaltungs-Alltag bewährt. Autor Daniel Lüdecke vertreibt sein Produkt als Freeware.

0 Kommentare
  1. Simon
    Simon sagte:

    Hallo!
    Also das Zettelastensystem hat Luhmann wohl wirklich primär für die Schaffung seiner Theorie verwendet. Das findet sich öfters, wenns um Luhmann geht. Ich persönlich halte das aber für keine adäquate Vorgehensweise: Denn, letztlich werden damit nur einzelne Konzepte, bzw. Begriffe meiteinander verknüpft, was meiner Meinung nach nicht ausreichend ist. Aber vielleicht liegt meine Einstellung daran, dass Luhmann an „meiner“ Uni kritisch gesehen wird ;-)
    Interessant hingegen finde ich das Zettelkastensystem für den PC. Gleich mal ausprobieren…
    Grüße,
    Simon.

  2. ritchie
    ritchie sagte:

    Ich seh das genauso… damit etwas „erklären“ zu wollen macht wenig Sinn, aber als Arbeitstool kann ein gut sortierter Zettelkasten (va durchsuchbar und digital) schon hochgradig Sinn machen.

  3. Limited
    Limited sagte:

    Och, der olle Zettelkasten.

    Hat doch mehr oder weniger jeder – irgendein Ordnungssystem.

    Luhmann hat das nur sehr stark formalisiert und sehr konsequent umgesetzt.

    Interessant ist aber, wie er den Zettelkasten genutzt hat. Immer wenn er etwas schreiben wollte, hat er sich die entsprechenden Zettel genommen, sie auf einen Tisch verteilt und dann anhand der willkürlich ausgewählten Zettel mit dem Schreiben begonnen.

    Um den Zettelkasten gab es auch einen erbitterten Erbstreit – weiß nicht, ob er schon beendet ist.

    Und konservativ ist Luhmanns Ansatz in gewisser Weise sicherlich. Das liegt aber an der funktionalistischen Ausgangslage – da klappt irgendwie dann doch alles – is ja funktional. Liegt wohl daran, dass er noch beim ollen Parsons (Strukturfunktionalismus) studiert hat. Und auch sein anderer akademischer Lehrer – Schelsky – war nun nicht gerade progressiv.

    Aber beeindruckend war er (NL) schon – eine echter Gelehrter (hab in Bielefeld studiert und ihn noch ein paar Mal erleben dürfen).

  4. triplehippie
    triplehippie sagte:

    Es stellt sich natürlich auch immer die Frage welche Ziele mit der Funktion des Zettelkastens verfolgt werden sollen und welche Struktur dafür angemessen ist. So eignet sich manchmal der Zettelkasten auf Papier besser als ein Zettelkasten am PC und umgekehrt.

  5. balkonmeister
    balkonmeister sagte:

    Hallo ihr Systemtheoretiker ! Seht euch mal das freie Evernote an – ich glaube das kann prinzipiell dasselbe, aber flexibler und gepaart mit einer Usabiltiy, die seinesgleichen sucht…Ich hab dazu hier ein paar Zeilen geschrieben. Übrigens bin ich der Meinung, dass der Zettelkasten auf Papier Zeitverschwendung ist – wobei mal kurz was auf den Zettel zu schreiben natürlich oft Sinn macht. Das trifft natürlich besonders für diejenigen zu, die eh 8h täglich am Rechner sitzen müssen.
    PS: Gut gemachte Seite, der Datenschmutz …

  6. ritchie
    ritchie sagte:

    @balkonmeister – danke für das Lob! :mrgreen:

    Ansonsten bin ich ganz deiner Meinung – gerade Zettelkästen sind eine der für digitale Medien prädestinierten Anwendungen; der Nutzwert steigt ganz einfach gewaltig, wenn man querverlinken und nach Stichwörtern suchen kann. Während man beim analogen Zettekasten ja nur die alphabetische Ablage hat, lassen sich digitale Pendants sehr komfortable im Volltext durchsuchen. Evernote werd ich mir mal genauer anschauen, danke für den Tipp!

  7. Toni Brecht
    Toni Brecht sagte:

    Daß es weder für Linux noch für Apple / Mac OS X keinen Zettelkasten gäbe, halte ich für ein Gerücht: zum Beispiel hier gibt’s eine Variante, die ganz hervorragend sowohl unter dem einen wie dem anderen läuft. Und besser aussehen tut’s auch noch:

    http://www.verzetteln.de/synapsen

    Das Programm heißt synapsen und ich teste es gerade eingehend…

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