matrix-Kolumne: Der vermaledeite Dekodierschlüssel

matrix-Kolumne: Der vermaledeite Dekodierschlüssel

erschienen auf oe1.orf.at, Mai 2007

Mathematische Verfahren zur Verschlüsselung und Kodierung kamen schon längst vor dem Digitalzeitalter zum Einsatz: so gut wie jeder historische Universalgelehrte beschäftigte sich zumindest einmal im Verlauf seiner Karriere mit Chiffrier-Techniken. Geheimcodes üben seit jeher beträchtliche Faszination aus, dienen sie doch der Übertragung militärischer Nachrichten ebenso wie der Sicherung der Privatsphäre in der Kommunikation zwischen Liebenden.

Eines hatten alle Verfahren gemeinsam: Sender wie Empfänger mussten den Geheimcode kennen, die Handlungsanleitung, um die Botschaft zuerst ver- und dann wieder zu entschlüsseln. Dies änderte sich dank delegativ genutzer Algorithmen, denn die Entschlüsselung lässt sich in die Black Box verlegen – und schon kümmert sich die vergessene Muse techné um den Dechiffriervorgang. Die Nachfolger der im 2. Weltkrieg so berühmt gewordenen Enigma-Maschine stehen längst nicht mehr nur auf den Schreibtischen der Generäle, sondern wurden längst fester Bestandteil digitaler Distributionsformate – jeder DVD-Player musst die Bits und Bytes, die er von der Silberscheibe abliest, erst einmal mittels eines speziellen, im Gerät gespeicherten Schlüssels, dekodieren. Die Unterhaltungsindustrie, immer noch teilparalysiert von fröhlich auf den Meeren des Peer-2-Peer Sharings segelnden Musikpiraten, sieht im Kopierschutz einen gangbaren Weg, den Konsumenten effektiv an der Weiterverbreitung der erworbenen Waren zu hindern.

Denn die Nicht-Ausschließlichkeit des Konsums macht Probleme im Vertrieb nicht-materieller Güter: während die Existenz des sprichtwörtlichen Würstchen nach dem Verzehr ein für allemal beendet ist, lässt sich jede Audio-CD nicht nur nahezu beliebig oft abspielen, sondern auch ohne weiteres kopieren. Die DVD sollte von vornherein besser geschützt sein, was für kurze Zeit auch gelang – doch bald schon drangen Hacker in die Black Box ein und stellen seither Tools bereit, mit denen sich DVDs ohne weitere technische Kenntnisse kopieren, oder wie’s im Hackerjargon heißt, „rippen“ lassen. Doch die DVD ist nach dem Willen der großen Distributoren Schnee von gestern. Für die nächsten paar Jahre werden nur Blue-Ray bzw. HD-DVD dem Heimcineasten die aktuell unübertreffliche Bildqualität bieten.

Und wieder sorgt ein Kopierschutzsystem für Sicherheit, doch bereits knapp nach der Markteinführung wurde der entsprechende Schlüssel gehackt – es handelt sich dabei um eine auf den ersten Blick so harmlos wie die meisten ihrer Artgenosinnen wirkende mehrstellige Zahl. Dezimal angeschrieben besteht sie aus 38 Zeichen, hexadezimal (zur Basis 16) aus 32. Genauso gut lässt sich die besagte Ziffernkombination in jedem anderen Code abbilden: als RGB-Farbkombination, in Braille-Schrift, als Midi-Sequenz… die Möglichkeiten sind nahezu unbegrenzt: und von denen machen weltweit Gegner des Kopierschutzsystems ausgiebigen Gebrauch.

Bald gelanget der inkriminierte Code auch auf die Startseite der amerikanischen News-Bewertungsplattform Digg. Auf Basis des DMCA (Digital Millenium Copyright Act, vergleichsweise restriktives us-amerikanisches Urheberrechtsgesetz) wollte das DVD-Konsortium zugleich die Zahl mittels Cease-and-Desist Briefen aus dem Netz verbannen. Digg reagiert mit Sperrung der betreffenden News, provozierte damit jedoch derart heftige Proteste seiner Mitglieder, dass der Firmengründer schließlich nachgab und auf die Zensur verzichtete – selbst auf die Gefahr eines langwierigen Rechtsstreits hin.

Für zukünftige Blue Ray und HD-DVD wird ein anderer Schlüssel zum Einsatz kommen – ob der früher oder später wieder durchsickert, wird erst die Zukunft zeigen. Dass eine simple Zahl plötzlich illegal und zensurwürdig werden kann, bleibt jedenfalls ein völlig neuartiges und durchwegs skurriles Phänomen. Der Webserver der MPAA selbst zeigte bis vor kurzem übrigens bei der Eingabe nicht existierende Adressen wie üblich als Fehlermeldung in der Form „Ihre Adresse xy wurde nicht gefunden“ an – enthielt die nicht existierende Adresse die betreffende Zahl, so war diese also auch in der Fehlermeldung enthalten. Die Adresse einer solchen mpaa-Subpage schickte ein Scherzbold an die Music Association mit der Aufforderung, die Seite sofort vom Netz zu nehmen. Ob die von „Schlüsselpiraten“ gebeutelte MPAA darüber lachen konnte, ist leider nicht bekannt.

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