Mit Bildern gegen die Internetzensur

Mit Bildern gegen die Internetzensur

picidaeTrotz aller Regulierungs- und Überwachungsbestrebungen hat sich in den Köpfen des Durchschnittseuropäers das Bild des wilden, teilweise gar anarchischen Internet eingeprägt: viele stellen sich trotz verzweifelter Aufklärungsbemühungen von Datenschützern einen weitgehend unzensierten, wenn nicht gar rechtsfreien virtueller Raum vor, in dem radikale Systemkritiker gemeinsam mit Viagra-Spammern fröhlich chatten. Die technische Realität sieht aber völlig anders aus: kein anderes Medium eignet sich strukturell besser zur Total-Überwachung und -zensur als das Netz der Netze. Picidae allerdings unterläuft die Zensurversuche der chinesischen (und anderer Regierungen) äußerst elegant mittels der Umwandlung von Webseiten in digitale Bilder, oder genauer gesagt in Image-Maps.

Was als dezentrale Struktur begann, um auch nach einem nuklearen Angriffs als militärisches Kommunikationssystem weiter funktionieren zu können, macht vor Grenzen ohne weiteres halt: denn wenn sämtliche Internet-Wege nach drinnen und draußen über staatliche Zensurproxies laufen, dann wird’s schwierig mit der ungehinderten Kommunikation.

picidae02Olympiahost China macht eindrucksvoll vor, dass man das Netz ebenso effektiv abschotten kann wie reale Landesgrenzen. Doch anders als die reale chinesische Mauer lässt sich die Great Firewall allerdings mithilfe eines vergleichsweise simplen Tricks umgehen – trotz anderslautender Beteuerungen der Behörden gab es ja bereits erste Beschwerden von Sportlern, denen ein freier Netzzugang zugesagt wurde, dass auch vom Olympiazentrum aus bestimmte Websites einfach nicht erreichbar seien. Ohnehin fragt sich so mancher, wie diktatorisches Regime und der ausdrückliche Wunsch nach „Öffnung“ des Landes gemeinsam auf eine Kuhhaut passen.

Bei Christopher Wachter und Matthias Jud hat dieses Nachdenken zur Schaffung eines Community-Projekts geführt, das sich eine praktische Eigenschaft digitaler Dateiformate zunutze macht: Webseiten lassen sich nicht bloß als HTML-, sondern auch als Bilddateien übertragen. Um den genialen Ansatz von Picidae zu verstehen, muss man sich vergegenwärtigen, wie die Internet-Zensur in China funktioniert: Manche Webseiten werden komplett geblockt, andere teilweise; als Filterkriterium dient allerdings nicht bloß die URL, sondern auch bestimmte Schlüsselwörter im Content. Google etwa ist zwar zugänglich, die Ergebnisliste wird jedoch gefiltert.

Picidae umgeht jegliche Filterung, indem der chinesische User die Adresse, die er zu besuchen gedenkt, nicht in die Browser-Adresszeile, sondern in ein entsprechendes Formularfeld auf Picidae einträgt. Der Picidae-Server wandelt die Original-Homepage in ein Bild um und schickt dieses zurück, aber das ist noch nicht alles: Hyperlinks bleiben anklickbar, da ein pixelgenaues Abbilder Homepage als sogenannte „Imagemap“ erstellt wird: dabei handelt es sich um eine überholte Webtechnologie, die aus der grauen Vorzeit statischer Homepages stammt und es erlaubt, bestimmte Bereiche auf einem Bild zu Links zu machen. Simpel und effektiv, denn als Bilder gespeicherte Wörter werden vom Zensur-Proxy natürlich nicht erkannt.

picidae03Als zentrales System ließe sich Picidae leicht aushebeln: die chinesischen Verantwortlichen müssten bloß die URL des Systems blockieren, und vorbei wäre es mit der Filterung: doch die Software ist als modulares System ausgelegt, jeder Zensurgegner kann selbst einen Pici-Server betreiben oder seine Infrastruktur als Proxy zur Verfügung stellen. Für Zugänglichkeit sorgen die lokalisierten Versionen: die Software ist mittlerweile in zahlreichen Sprachen, darunter natürlich auch chinesisch, verfügbar.

Picidae wurde zwar im Hinblick auf die Internet-Zensur im Land des Lächelns entwickelt, kann aber auch als äußerst instruktives Beispiel für das Unterlaufen von Repression mittels dezentraler Technologie gelten: jede Zensurbehörde kämpft hier gegen die sprichwörtliche Hydra – und das Netz ist um zumindest einen Beweis reicher, dass Crowdsourcing mehr sein kann als zeitgeistiger Zeitvertreib für gelangweilte Geeks.

Weitere Informationen über die Funktionsweise, pici-Server Betrieb und Code Contributions gibt’s auf picidae.net.

6 Kommentare
  1. Aufschnürer
    Aufschnürer sagte:

    Schön, wenn der kreative Geist der Menschen Gutes bewirkt. Das ist eine geniale wie auch simple Idee, ich habe es mal getestet und man surft recht gut damit. Natürlich ist man eingeschränkt durch die Tatsache, dass aktive Elemente wie Videos, Flash und vor allem Java(Script) in einem Bild nicht bedienbar sind. Aber immerhin können sich „unterdrückte“ Völker dann einigermaßen frei im Internet bewegen.

  2. holgers
    holgers sagte:

    geniale Idee, das erinnert fast an die Amerikaner im 2 Weltkrieg, die keine komplizierte Verschlüsselung brauchten sondern einfach in der Sprache der Indianer miteinander kommuizierten, kein anderer Land hatte Personen die die Sprache verstanden, das war dann die Lösung, eine Lösung die so einfach ist.

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  1. bonanza178 sagt:

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