Nachruf: Jörg Haider überraschend verstorben

Nachruf: Jörg Haider überraschend verstorben

Einen Nachruf auf den heute Nacht um 1:00 Uhr bei einem Autounfall tödlich verunglückten Parteichef des BZÖ hier auf datenschmutz mag manche Leser verwundern. In der Tat aber habe ich eine innige Beziehung zum „Jörgl“: diese Bezeichnung soll keinesfalls respektlos klingen, ich glaube, er ließ sich in seiner jovialen Art nicht ungern so nennen. Seine biographischen Daten, der frühe Einstieg in die Politik mit 20, Aufstieg, Regierungsbeteiligung mit FPÖ und Parteisplitt in FPÖ und BZÖ, die Abspaltung des Liberalen Forums… all das kann man detailliert und aus ganz unterschiedlichen Standpunkten betrachtet in hunderten Artikeln ausführlicher nachlesen.

Meine persönliche Beziehung zu Dr. Haider begann sehr früh, ich war damals wohl 15 oder 16. Der dynamische Aussteiger machte für eine Wahlveranstaltung Station in Lienz, Lokal-Blues-Jukebox Buffy F. Fronwood stimmte zum Auftakt im Stadtsaal „Jörg Haidah, do geht wos weidah“ im Loop an, der Saal war gut gefüllt. Und es war das erste mal, dass ich selbst politisch „aktiv“ wurde und gemeinsam mit einigen Schulkollegen die Veranstaltung störte: wir hatten uns im Publikum verteilt, in dem Moment, als der Stargast zu sprechen begann, schlugen wir alle demonstrativ großformatige Tageszeitungen auf und verließen dann nach 10 Minuten den Saal, was den äußerst geschulten Rhetoriker durchwegs ein wenig aus der Fassung brachte.

Was er sagte, hat mich damals ziemlich schockiert, hielt ich Politiker doch vorher für honorige, um möglichst Aal-ähnliches „Mit-jedem-auskommen-wollen“ bemühte Stromlinienpersonen. Jörg Haider hatte eine andere Strategie gewählt, nämlich die der Sündenböcke, der Beschuldigungen und Verharmlosungen. Er beschwor schon damals die Welt der anständigen Menschen, machte zu passenden Gelegenheiten gerne mal einen Hofknicks vor SS-Veteranen und zündelte immer wieder gekonnt mit dem Pulverfass Nationalismus herum. Ich bin ihm dankbar dafür, denn ohne Jörg Haider hätte ich womöglich den Status Quo der Demokratie als gegeben hingenommen, hätte mich nie genauer der Nazi-Vergangenheit Österreichs beschäftigt, hätte vielleicht überhaupt nie Politikwissenschaft studiert.

Später hatte ich nochmals das zweifelhafte Vergnügen, einer der legendären „Hetztiraden“ des Bärentalers beizuwohnen, und zwar in meiner Studienzeit in Graz, das habe ich an anderer Stelle bereits geschildert. Meine persönliche „Kommunikation“ mit Jörg Haider beschränkte sich auf diese zwei Gelegenheiten, in den Medien begegnete man dem selbst mit 58 unglaublich jugendlich wirkenden Politiker seit ich den Politikteil der Zeitung las mindestens wöchentlich. So sehr ich den Weg der Rechten, die Ausländer zum Schuldventil für alles, was falsch läuft, zu machen, verabscheue, so sehr habe ich immer auch vermutet, dass es da noch einen anderen Jörg Haider geben muss: einen äußerst intelligenten, begabten und hart arbeitenden Menschen, der vermutlich nicht mal an den Blödsinn glaube, den er da zeitweise von sich gab, der wie ein virtuoser Pianist auf der Klaviatur der Medienszene dieses Landes spielte. Das Bärental ist groß, und Jörg Haider war sein Prophet: er brachte mich in all den Jahren regelmäßig innerlich zum Weinen (etwa beim Ortstafelstreit) und zum Lachen (die legendären „Taferln“ bei den Fernsehdiskussionen). Das Schicksal ist der größte aller Tragödienautoren: als ihn die Polit-Konkurrenz bereit hämisch im Kärntner Altersheim wähnte, fuhr das BZÖ einzig und allein dank seiner Gallionsfigur den größten Erfolg der Parteigeschichte ein. Dank des enormen Wahlerfolgs verfügt die Partei nun über gravierend mehr Fördergelder, mehr Parlamentssitze – aber der Verlust ihres Parteichefs trifft sie härter als jedes noch so niedrige Wahlergebnis.

Jörg Haider hat polarisiert, meine Einstellung zu ihm hat sich im Lauf der Jahre ziemlich verändert: mit 16 war er der personalisierte politische Feind, heute wundere ich mich über viele seiner Entscheidungen, bin aber zugleich fasziniert über seine Ausdauer, sein Können und seine Fähigkeit, permanent aus eigenen Erfahrungen zu lernen. Nein, Jörg Haider war keine statische Persönlichkeit, kein leicht einordenbares Phänomen. Gerne hätte ich mich mal bei einem Abendessen mit ihm über seine politische Karriere unterhalten oder ein Interview darüber geführt, wie man aus einer Vier-Prozent-Verein die drittstärkste Partei Österreichs macht.

Dass Jörg Haider heute Nacht 58jährig verstarb, hat mich ehrlich gesagt tief berührt und getroffen, weil ich innerlich davon überzeugt war, auch noch die nächsten .at-politischen Jahre mit ihm als Akteur auf der Bühne zu erleben. Ich wünsche allen Verwandten und engen Freunden eines Politikers, der die letzten dreißig Jahre in Österreich geprägt hat wie wohl kein anderer, und der ein interessanter und faszinierender Mensch gewesen sein muss, mein herzliches Beileid.

27 Kommentare
  1. Michael
    Michael sagte:

    Schön geschrieben! Ich hätte ihm ja einiges gewunschen, aber so abzutreten sicherlich nicht.

    Mich wundert nur das man einen Phaeton so zerlegen kann, ich dachte, der hält mehr aus. Ich bin gespannt auf die Analyse des Unfalls.

  2. Hansjoerg
    Hansjoerg sagte:

    Mit geht’s ähnlich – ein total ambivalentes Verhältnis zu dieser Person. Besonders aufgrund der Tatsache, dass ich überzeugt bin jedes System braucht Kritiker, Querdenker, Querulanten oder einfach Personen, die unerwarteten Input liefern will es nicht in Selbstzufriedenheit/Filz versinken. Und genau das denke ich hat Haider in Österreich erreicht – die Geschichte mit den Taferln (Alois Rechberger – Affäre etc) war legendär („darf der denn sowas?!“) und die träge Masse in vielen Bereichen ist sicherlich auch durch sein Wirken zumindest etwas in Bewegung versetzt worden.
    Auf der anderen Seite immer diese hemmungslose Hinhacken auf Ausländer, das rein auf Schulden aufbauende „Erfolgsmodell“ Kärnten etc – genau wie Du bin auch ich daran interessiert inwieweit das einfach politische Taktik oder echte Überzeugung war; ich nehme ersteres an. Das macht auch den Unterschied zu Strache aus – der glaubt vermutlich wirklich alles was er so von sich gibt und das macht ihn vielleicht sogar gefährlicher.

    Auf jeden Fall tritt damit eine der markantesten Politiker der zweiten Republik (ich würde fast sagen nach Kreisky #2 in Österreich) von der Bühne ab und ich hoffe die Innenpolitik versinkt nun nicht in einer Art Dornröschenschlaf.

  3. rip
    rip sagte:

    Hm. Die Pietät, die ich meine – endet, bevor gutgeschriebene Glorifizierung die Tatsachen* vergessen lässt.

    Nur weil ein akribischer Fanatiker sein Leben kontinuierlich aufbaut hat, um damit unser und vor allem das Leben „fremder“ Menschen zu zerstören, werde ich ihn niemals bewundern. Egal, ob er nur ein geschickt agierender Rechtshysteriker oder doch ein genialer Idiot war. Für den ich ihn nicht halte.

    *unter anderem hier zu finden

    • Navigator
      Navigator sagte:

      Da müsste man jetzt ins Archiv gehen für dokumentierte Aussagen aber ganz Allgemein, in der Haider’schen Rhetorik wurde sehr oft alles was anders aussieht, anders spricht, woanders herkommt, etwas anderes anbetet schnell pauschal als faul, kriminell, schmarozend, minderwertig etc. abqualifiziert. Damit hat Haider ein rassistisches und xenophobes Klima unterstützt und gefördert. Dieses Klima hat vielen das Leben erschwert und leider vereinzelt auch Leben gekostet.

      Man muss nicht persönlich jemand den Kopf abschlagen um sein Leben zu zerstören, da gibts auch andere, weniger offensichtliche, Methoden.

  4. Anonymous
    Anonymous sagte:

    jeder mensch hat negative und positive seiten. möchte nur erwähnen, dass jörg haider ein „reines“ Österreich wollte, rein von drogen. bin kein rassist. jeder, der arbeitet, ist in österreich willkommen, aber die, die mit ihren drogen unsere kinder vergiften, denen muss einhalt geboten werden. und das hatte jörg haider vor. schade, dass er von uns gegangen ist. mein tiefstes mitgefühl an die familie.

  5. Tapedeck
    Tapedeck sagte:

    Ich muss da ganz ehrlich bleiben und dennoch sachlich: Er war ein Neonazi und er hatte einen Unfall. Beleidsbekundungen halte ich für Fehl am Platz da ich kein Beileid empfinde oder aussprechen möchte. Man wünscht dieses Schicksal zwar niemandem, aber das es passiert ist tut mir auch nicht leid. So hart das klingt – ist so. Polarisierung hin oder her. Man muss nicht unbedingt negativ bzw. falsch polarisieren. Ich kannte diesen Mann nicht also ist es mir schlicht und einfach egal.

    • ritchie
      ritchie sagte:

      Nein, Neonazi kann man ihn wirklich nicht nennen. Neonazis und Demokratie passen einfach nicht zusammen – und auch wenn Jörg Haider immer wieder die Ausländerpolitik zu seinem Fokus machte, so kann man ihm sicherlich nicht vorwerfen, dass er die Verfassung nicht respektiert hätte.

      • Tapedeck
        Tapedeck sagte:

        Das kann man sehen wie man will. Neonazi vllt. nicht – ich kenn mich mit der österreichischen Politik nicht sonderlich aus. Aber dennoch rechts. Ob Nazi, Rechtspopulist oder einfach nur mit teilweise rechtem Gedankengut. Die FPÖ ist nicht gerade eine „unnationale“ Partei.

        Natürlich war „seine“ Politik nie verfassungswidrig. Das ist die der NPD z.B. aber auch nicht und trotzdem ist sie menschenverachtend…

        Wie dem auch sei. Meine Bestürzung hält sich ziemlich in Grenzen.

        • Anonymous
          Anonymous sagte:

          ab wann fängt den für euch der nationalstolz an? ich komme aus deutschland und bin weder ein nazi, weil ich nicht über 60 jahre alt bin und auch kein neonazi sondern ein mensch der ein gewisses patriotisches denken hat oder ist jeder amerikaner der stolz auf sein land ist ein nazi?

  6. Jana
    Jana sagte:

    Habe Anonymous‘ dumpfen Wunschtraum vom „reinen Österreich“ gelesen, hin und her überlegt, ob und wie man solchem Verfolgungswahn begegnet und dann beschlossen, dass man die Trolle besser ignoriert (auch wenn dieser Kommentar zumindest zu Anteilen ein performativer Widerspruch ist).

  7. dimido
    dimido sagte:

    Ich muss deine Mut für diesen Beitrag unterstreichen. Ich hab gezögert über Jörg Haider eine Beitrag auf meinem Blog zu schreiben, denn in Deutschland ist es zu gefährlich etwas positive über Haider zu formulieren, sonst ist man schneller in der rechtsradikalen Ecke als einem lieb ist. Deutsche Demokratie ist schon herrlich, auch wenn man selber in der politischen Mitte beheimatet ist.
    Mit Haider hätte ich gerne mal diskutiert, denn er war einer der wenigen Politiker die ein unverwüstliches Rückgrad besaßen, für ihre vertretende Meinung. Auch den Mut hätte ich gehabt, ihn gegebenfalls in seine politischen Schranken zu weisen, wenn es nötig gewesen wäre.
    So ist es halt – wahrscheinlich hat der liebe Gott gesagt, es ist genug mit dem Jörgi auf Erden.

  8. Cala
    Cala sagte:

    Das hast Du gut geschrieben. Haider war irgendwie eine faszinierende Person. Einerseits konnte ich mit dem, was er politisch manchmal von sich gab, wenig anfangen. Andererseits hat er es wie kaum ein anderer verstanden, die Menschen in seinen Bann zu ziehen.

  9. Joe
    Joe sagte:

    Toller Nachruf, sehr gut geschrieben.
    Auch mich hat der plötzliche Tod von Jörg Haider sehr betroffen. Auch wenn ich nie ein Haider Fan war, so war ich doch irgendwie „begeistert“ von seinem politischen Spiel und seinem Talent die anderen Regierungsparteien aus der Reserve zu locken.
    Das werde ich vermissen – einen rhetorisch perfekten politk-populisten der immer dafür gesorgt hat, dass die politik nicht fad wird.
    Ruhe in Frieden Jörg.

    Joe

  10. Mr. Kostenlos
    Mr. Kostenlos sagte:

    Hörg Haider war wohl kein dummer, aber ob deswegen gleich meinen Respekt verdient hat? Immerhin ist der gute Mann (immer wieder), mit flachen Parolen ganz nach oben gekommen. — Auch wenn man das nicht sagen darf (gerade als deutscher Staatsbürger), ich denke der Mossad war es. :twisted: :grin:

  11. Genug Mitgefühl
    Genug Mitgefühl sagte:

    „Jörg Haider war wohl kein dummer“

    mit 1,8 Promille hinters Steuer, dann noch Vollgas geben, andere überholen und gefährden…..

    mehr Selbstüberschätzung und asoziales Verhalten gegenüber anderen geht nicht!

    man kann nur von Glück sagen, dass er niemanden umgemäht hat

  12. Kerth Oliver
    Kerth Oliver sagte:

    Eine stimme des Volkes ist verstummt-was wird jetzt auf uns in Kärnten zu kommen??

    Wunderbar das er war unfassbar das er nicht mehr ist-
    hoffe das sein gedanken und taten weitergetragen werden.

  13. i1q33vjophrruow@temporaryinbox.com
    i1q33vjophrruow@temporaryinbox.com sagte:

    The killing of J Haider
    As a professional driver with an engineering degree I have to say there are lots of misconceptions and lies around the death of J. Haider.

    First, I dont care what he did or what he said or beleived. Left-wing, right-wing, gay or straight, jew or muslim, doesnt matter. What matters is that politicians in collaboration with media brainwash us. And there is a murder.

    Ok, lets review the story:
    Haider coming from a gay club totally drunk and far too fast on a wet road ?? more chlichées necessary ? Now appear pictures that show antidrepressiva pills in his car ?? Isn^t that a bit over-engineered ??

    Too much to be true. He was killed by professionals.

    Now my simple points:

    1) The Phaeton
    Not only one of the safest cars, but also docile to handle. So far I used it for 200 000 km. Great German engineering.

    I have used it on Ice roads in Sweden: EPS makes him move like a dancer.
    Remember the Audi-ad, having an Audi drive UP a ski jump ? same (updated) technology is in the Phaeton.

    Though I did not have an accident with the Phaeton, I have survived several total crashes with Mercedes E and S classes (some armoured) at speeds between 90 and 130 km/h. Though engine area and/or backside were trashed, the passenger areas were always in pristine condition. Even the CD player worked.

    2) Damage pattern:
    If you accidentally hit the mud on the right side, you instinctively pull to the left – that’s it. Even an inexpereinced driver at higher than usual speeds does this knee-jerk reaction.
    To get the car really swerving takes more. Like hitting an object at the OTHER side of the road or Deeper mud f.ex. BUT THE CAR WAS TOTALLY CLEAN ! no mud traces whatsoever…

    Why on earth are both doors missing. They are designed to keep shut in a flipping car.

    The impact on roof does not come from a tiny wall as pictured. AGAIN NO TRACES (dust etc.) OF AN IMPACT WITH BETON. Rather looks like has been tampered with an steel device (e,g, crane, tank)

    3) where is that famous wittness ? And her credibility???
    4) Where is the car now ?

    To be continued…

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