Österreich darf das CERN nicht verlassen!

Österreich darf das CERN nicht verlassen!

In meiner heutigen AT-KFOR Vorlesung an der Publizistik Wien musste dieses Thema natürlich auf die Tagesordnung: denn das, was sich „Wissenschaftsminister“ Johannes „Gio“ Hahn da geleistet hat, kann allen österreichischen Forschern, Studenten und Lehrenden nur peinlich sein, sogar jenen, die sich weit abseits der Physik bewegen: überraschend und einseitig kündigte er einseitig die Zusammenarbeit mit dem CERN. Eine kurzfristig ins Leben gerufene Petition gegen diesen peinlichen Irrsinn kann und sollte man unbedingt auf sos.teilchen.at/petition/ unterschreiben.

Warum? Dafür gibt es eine ganze Reihe ausgezeichneter Gründe:

  • Das CERN ist *das* europäische Forschungs-Kooperations-Vorzeigeprojekt. Ich zitiere aus der Petition: 

    CERN steht für Forschung in Elementarteilchenphysik und Kosmologie. CERN ist ein leuchtendes Beispiel für Exzellenz durch europäische Zusammenarbeit. CERN bedeutet Vision für den wissenschaftlichen Nachwuchs.

  • Gute Überleitung zum nächsten Punkt: die Beendigung dieser Zusammenarbeit gefährdet den Wissenschaftsstandort Österreich. Die Art der Teilchenforschung, die am CERN betrieben wird, ist derart aufwendig und teuer, dass ein einzelnes Land sich eine derartige Anlage kaum leisten könnte. Am CERN hängt eine immense, über ganz Europa verteilte Forschungs-Infrastruktur mit umfangreichen Projekten, die ohne experimentelle Überprüfung so nicht stattfinden könnten – in der Vergangenheit resultierten diese Forschungen nicht selten in Nobelpreisen.
  • Die Partnerschaft Österreichs am CERN, das nach einer größeren Ausbau-Phase und dadurch bedingten Pause demnächst wieder in operativen Betrieb gehen wird, besteht seit 50 Jahren. Die Kosten der Beteiligung stehen in keiner Relation zu den Durchbrüchen in der Grundlagenforschung, die in dieser Zeit erzielt wurden und die immer wieder in praktischen Anwendungen gipfelten – manchen von ihnen sind aus dem 21. Jahrhundert nicht mehr wegzudenken (Stichwort: Computertomographie, Stichwort: World Wide Web, Stichwort Durchbrüche in der Krebsdiagnose und -therapie). Ein näherer Blick auf die Kosten macht Sie sicher:

Die CERN-Beteiligung kostet jeden Österreich €2 pro Jahr, anders ausgedrückt beträgt die Gesamtsumme 16 Millionen Euro. Das sind 0,47 Prozent des Wissenschaftsministeriums-Budgets, welches 2009 gegenüber 2008 um 15% erhöht wurde. Dem gegenüber stehen im Zeitraum 1994-2007 CERN-Aufträge an die österreichische Industrie im Wert von 73 Millionen Euro.

Video: CERN in 3 Minuten erklärt

In wirtschaftlichen Krisenzeiten aus einem solchen Projekt auszusteigen – Albanien hat übrigens kürzlich seinen Aufnahme-Antrag gestellt – bedeutet eine nachhaltige Schädigung der österreichischen Spitzenwissenschaft, Qualitätseinbußen bei der Ausbildung und Verdienstentgang in Hi-Tech Branchen. Waren das nicht genau jene Felder, die Sie, Herr Hahn, beim Antritt Ihres Amts mit Elite-Unis und der Steigerung des Arbeitsplatzes Österreich für ausländische Spitzenkräfte steigern wollten?

cern

Ihr Wissenschaftsministerium hat im Vorfeld der überraschenden Aufkündigung unserer Partnerschaft weder mit österreichischen Experten noch mit dem CERN in irgendeiner Form einen Dialog gesucht. Erklären kann sich Ihre Entscheidung niemand – es gibt lediglich Spekulationen:

Da es bei rationaler Betrachtung sehr unwahrscheinlich ist, dass jemand zu dem Schluss gelangt, ein CERN Austritt könne nützlich sein für Österreich, sind es wahrscheinlich irrationale Gründe. Auch Wissenschafter und Ministeriumsbeamte sind Menschen mit Emotionen, und diese umfassen nicht nur positive wie Liebe, Begeisterung und Hingabe, sondern auch negative, wie Angst, Neid oder Gier.

Auch Science Buster Prof. Heinz Oberhummer, für seine Forschungen in theoretischer Physik nominiert für den Nobelpreis, zeigte sich beim Alien-Special am letzten Samstag im Rabenhof äußerst indigniert über diese „historische Fehlentscheidung“ (Zitat Prof. Dr. Herbert Pietschmann): seine galgen-humorige Erklärung: die niederösterreichischen VP-Politiker haben möglicherweise bemerkt, dass sich in Seibersdorf (das hiesige Forschungszentrum kooperierte bislang eng mit dem CERN) keine Günstlinge aus dem Bauernbund jobtechnisch unterbringen lassen. Das mag überspitzt formuliert sein, trifft den Nagel der österreichischen Kleinkariertheit allerdings auf den Kopf. Völlig ernst zu nehmen dagegen ist seine Anmerkung, dass mit dem Betrieb des neuen LHC (Large Hadron Collider) sozusagen die „Erntezeit“ für zahlreiche, auch österreichische, Forschungsprojekte vor der Tür steht. Zitat aus dem Beitrag No we can’t am Science-Busters Blog:

Es geht um jährlich 16 Millionen Euro. Um das ins richtige Maß zu stellen: Das sind etwa die Verluste, welche die Österreichischen Bundesbahnen derzeit in gerade einmal drei Tagen einfahren. Damit ist die Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Teilchenphysik in Österreich überhaupt gefährdet.

Man vergleiche hierzu auch dieses Zitat von Prof. Herman Feshbach, Nobelpreisträger 2004:

Scientific prospects at CERN have never been brighter and more exciting, as the great Large Hadron Collider (LHC) project approaches its operational phase. Many years‘ investment in research, development, and construction are about to bear fruit. There are good reasons to anticipate discoveries that will dramatically advance our most basic understanding of what the physical world is made of, how it works, and even how it came to be. While the primary goal of CERN is to address such fundamental issues, the laboratory is also a treasury of engineering marvels. It has been a seedbed of innovation in computer and communications technology, cryogenics, and large-scale, high-tech project management. Young people learn cutting-edge skills at CERN that they take back to businesses and schools of their home countries. For these reasons I believe that CERN has yielded, and will continue to yield, excellent long-term returns on investment, just as a matter of economics, even apart from its unique scientific value. In addition, since its origins in the aftermath of World War II, CERN has been an inspiring, visible symbol of European unity and cultural vitality. It would be a great loss for Austria, and a blow to Europe and the scientific world, if short-term thinking and lack of vision caused Austria – birthplace of Ludwig Boltzmann, Erwin Schrödinger, Wolfgang Pauli, Victor Franz Hess, and Lise Meitner – to pull out of CERN now.

Was können Sie tun?

Unterschreiben Sie die Petition (das funktioniert ganz simpel online): Sie soll das Parlament dazu bewegen, die Hahn’sche Entscheidung abzulehnen. Bereits über 10.000 Personen (Stand: 12. Mai) haben ihre Unterstützung kund getan. Hinterlassen Sie einen Kommentar auf der Seite des Instituts für Hochenergie-Physik oder am besten: schreiben Sie direkt einen Brief an Wissenschaftsminister Johannes Hahn und/oder die zuständigen Politiker. Nutzen Sie Ihre Social Media Kontakte, informieren Sie Ihr Umfeld über diese kurzsichtige aber schwer rückgängig zu machende Entscheidung – auf Facebook gibt’s bereits eine Gruppe, der man beitreten kann. Und wenn Sie selbst ein Blog betreiben: machen Sie Stimmung und lassen Sie nicht zu, dass eine so wichtige Entscheidung im in .at so beliebten Blitzverfahren getroffen wird – DANKE!

Particle Hunters: Video über das CMS-Experiment CERN

http://www.youtube.com/watch?v=nifTTSfqubM

Reaktionen aus der Blogosphäre:

14 Kommentare
  1. Matti
    Matti sagte:

    Vermutlich hat Ihm jemand die Geschichte vom Schwarzen Loch und dem Weltuntergang erzählt ;)
    Ne im Ernst: Ist schon schade wenn solche Grundlangenforschung nicht mehr unterstützt wird. Als nicht Österreicher kann ich zwar nicht unterschreiben aber ich hoffe daß die Petition Erfolg hat.

  2. Christian
    Christian sagte:

    Komme selbst auch nicht aus Österreich, sondern aus Deutschland und kann auch nur den Kopf schütteln. Laut der Süddeutschen Zeitung sollen die Kosten der Grund für den Ausstieg sein.
    Zitat:
    „Der Jahresbeitrag Österreichs zu der weltgrößten zivilen Forschungsanlage betrage 20 Millionen Euro, was 70 Prozent der Mittel ausmache, die das Land für internationale Forschungsorganisationen ausgebe, erklärte Hahn. Für neue Kooperationen sei daher kaum Geld da.“ (Quelle:

    Steht vielleicht in der nächsten Zeit ein größeres Projekt an, das etwas Geld benötigt ;) ?

  3. ritchie
    ritchie sagte:

    Autsch… hab von ungewöhnlich gut informieren ÖVP-Greisen aus Hahn-Nähe erfahren, dass die Entscheidung wohl aufrecht bleiben soll. Die gute alte Taubstellen-Taktik scheint zum Einsatz zu kommen.

  4. Matti
    Matti sagte:

    Wenn das wirklich so ist daß das Geld für wichtigere Projekte gebraucht wird ist die Entscheidung auch OK. Aber anscheinend steht ja konkret noch nichts fest. Und in dem Fall daß einfach neue Perspektiven geschaffen werden solle könnte man auch die Beteiligung etwas senken. Dann würde auch mehr Geld für andere Projekte frei und man würde im CERN nicht alle Lager gleich abbrechen müssen. Das Ganze kommt mir schon etwas komisch vor. Als wenn da noch was dahintersteckt daß noch nicht bekannt geworden ist.

    • ritchie
      ritchie sagte:

      Ja! Ganz genau so riecht das, und zwar kräftig. Man könnte sagen, diese unbegründete Entscheidung stinkt zum Himmel – aber irgendjemand wird schon davon profitieren, da bin ich mir sicher. Dürfte nur in dem Fall gar nicht leicht rauszufinden sein, wer das ist.

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