Höchstgericht.at erlaubt „Schleichwerbung“ – Was bedeutet das für Blogger?
Der österreichische OGH entschied in einem unerwarteten Urteil, dass für sogenannte Gefälligkeitsartikel keine Kennzeichnungspflicht als Werbung besteht. Denn die gelte nur für entgeltliche Veröffentlichungen. Das Urteil erging bereits Ende September und wurde nun veröffentlicht.
Der Entscheidung in der Rechtssache 4Ob60/16a ging ein Streit zwischen zwei burgenländischen Gratiszeitungen voraus. Die eine hatte der anderen vorgeworfen, dass diese zwar Werbeinserate kennzeichne, für besagte Einschaltung jedoch jeweils auch noch einen „PR Artikel“, der wie ein normaler redaktioneller Beitrag aufgemacht war, drauflegte. Die Richter hatten zu entscheiden, ob es sich um Schleichwerbung handelt und verneinten dies mit der Begründung:
Das als ‚Schleichwerbung‘ beanstandete Verhalten der Beklagten in redaktionellen Beiträgen ist auch unter dem Gesichtspunkt des § 1 UWG nicht unlauter. [Quelle: Online Standard vom 14.11.2016]
Es bedürfe nicht einmal dann einer Aufklärung des Publikums, wenn so ein redaktioneller Artikel Äußerungen kommerziellen Charakters mit ‚werblichem Überschuss‘ enthält.
Wurde der 1. April vorverlegt und keiner hat mir was gesagt? Hat die Tagespresse ihrem neuesten Coup einen Standard-Tarnmantel übergeworfen? Nein, nichts von alledem: Das ist wirklich ernst gemeint.
Mit dem Urteil haben sich die Höchstrichter auch von der jahrzehntelangen Vorstellung eines objektiven Journalismus verabschiedet. „Der durchschnittlich aufmerksame und kritische Leser geht heute davon aus, dass auch redaktionelle Beiträge in periodischen Medien nicht ’neutral‘ sind und keine absolute Objektivität in Anspruch nehmen können, weil sie von – zumeist auch namentlich genannten – Journalisten stammen, die ihre persönliche Meinung zum Ausdruck bringen […]“
Der Fall war bis zum OGH gewandert, da die beiden Vorinstanzen anders entschieden hatten. Dass die Höchstrichter nun das Verfahren zugunsten des Beklagten entschieden, verwundert deshalb, da die Rechtsprechung bislang die gegenteiligen Position vertrat – unter Berufung auf das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass redaktionelle Artikel bei den Lesern ein höheres Vertrauen genössen.
Breaking News - OGH schafft 'objektiven Journalismus' ab und legalisiert Gefälligkeitsartikel.Click To TweetEin Schelm, wer nun bereits die Pressesprecher verschiedener Parteien und Unternehmen jubeln sieht. Letztendlich hat der OGH eine ohnehin seit Jahrzehnte übliche Praxis, die in den allmeisten Fällen unter der Rubrik „Wo kein Kläger, da kein Richter“ das Radar unterflog, sanktioniert.
Was bedeutet die OGH Entscheidung für kommerzielle Blogs?
Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass ich kein Jurist bin und es sich im Folgenden lediglich um meine laienhaften Spekulationen handelt.
Die kommerzielle Natur einer Webseite sowie die damit einhergehende vollständige Impressumspflicht leiten sich ja nicht aus dem Volumen des Umsatzes, sondern aus dem bloßen Vorhandensein der Werbung her ab. in Analogie zu Gratiszeitungen. Betrachtet man kommerzielle Weblogs – also solche, die Werbung schalten, in Analogie zu Gratiszeitungen, so ergeben sich eine interessante Folgerungen für die Kennzeichnungspflicht bezahlter Beiträge.
Ich spreche hier nicht von bezahlten Follow-Backlinks, die ja nicht geltendes Recht, sondern „nur“ Googles AGBs untersagten, sondern von den heute typischen Produktplatzierungen auf Influencer Seiten: Unter den meisten Bloggern herrscht zumindest nominell Konsens darüber, dass im Rahmen ethischen Handelns bezahlte Beiträge auch als solche gekennzeichnet werden müssen – ob die Bezahlung in bar oder in Form von Produktproben erfolgt, ist dabei zweitrangig.
Die Zukunft der Blogwerbung: Logofriedhöfe statt Artikelkennzeichnung?
Diese Auslegung entspricht der bisherigen Rechtsmeinung, ihre konsequente Einhaltung steht auf einem anderen Blatt. Da jedoch nun der OGH entschieden hat, dass Gefälligkeitsartikel okay sind, sofern sich in derselben Ausgabe eine gekennzeichnete, bezahlte Werbung des gleichen Anbieters befindet, müsste für Blogs eigentlich gelten, dass ein „Logofriedhof“ mit sämtlichen Kooperationspartner bzw. Werbekunden ausreichen müsste, um einer Kennzeichnungspflicht der einzelnen Artikel folgenlos zu entgehen.
Ein Element mit mehreren Buttons, eine statische Seite mit dem Titel „Werbung“ oder Ähnliches übernähme in diesem Szenario also die Legitimations-Funktion, der zugehörige Artikel dürfte dann durchaus vor „Gefälligkeitslob“ strotzen…
Dass so etwas weder dem Ansehen einer Zeitung noch eines Blogs zuträglich ist, dürfte klar sein. Dass sich Redaktionen gerade in Zeiten schrumpfender Werbebudgets gerne mal gegen die Ethik und für die Umsatzsteigerung entscheiden, ist kein Geheimnis. Dass der OGH mit seinem Urteil solche Praktiken, die bisher als klar unzulässig galten, in den Status des normalen Geschäftsgebarens erhebt, hat mich allerdings sehr überrascht.
ich kann deine empörung nachvollziehen. allerdings erscheint mit wesentlich, dass deine annahme vom „ansehen einer zeitung“ zu optimistisch ist. viele „blätter“ sind ausschliesslich dazu da, werbegeld zu lukrieren. dh. das „ansehen“ ist gar nicht zu verlieren… aber nocheinmal: strange dieses urteil, sehr strange.
Ja, da hast du natürlich völlig recht – ich bin da ganz und gar nicht optimistisch, das ist in den letzten Jahren ja auch enorm mehr geworden.