Online-Journalismus: Alte Systeme perpetuieren?

Online-Journalismus: Alte Systeme perpetuieren?

MedienjournalistMal Lust auf einen richtig langen Text im Netz? Und nicht eingescannt? Dann statten Sie Stefan Niggemeier einen Besuch ab: der deutsche Medienjournalist (Medienjournalist: eigentlich ein sehr cooles Wort. Wirkt auf den ersten Blick wie ein Hendiadyoin, ist aber in dem Fall keines) hat auf der DJV-Konferenz „Besser online“ einen Vortrag zum Status Quo des Online Journalismus gehalten, der in all seiner Brillanz vor allem eines zeigt: man kann Parameter eines untergehenden System keineswegs an ein neues anlegen und dann jammern, dass alles schlechter geworden sei. Damit fällt man nämlich unweigerlich – trotz bestem Korrektorat, lauteren Absichten und handwerklichen Können – unweigerlich in die kulturpessimistische Grube. Kant hatte auf eine abstruse Art und Weise schon recht: es sind immer wieder die kategorialen Fehler…

Der Vortrag beginnt mit der Invokation einer These, der schwerlich zu widersprechen ist:

Es ist aber eine These, oder genauer: eine Befürchtung, die zentral und fundamental ist. Die über die gegenwärtige Befindlichkeit des Online-Journalismus hinausblickt in die Zukunft. Es ist ein Satz, der vielleicht auch erklärt, warum ich mich immer wieder so verbeißen kann in die Negativbeispiele, die ich auf den Internetseiten deutscher Medien finde – was ich sicher für manche mit etwas beunruhigender masochistischer Leidenschaft tue. Die These lautet:

Die Verlage und Sender probieren im Internet gerade aus, ob es nicht auch mit weniger Journalismus geht.

Das klingt noch verhältnismäßig untendenziös, aber schon wenige Absätze weiter erfährt der Leser um die wirkliche Dramatik, oder besser Dramaturgie:

Journalismus bedeutet, die Wahrheit aufschreiben. Wenn ein Autohersteller bei der Produktion so viel Kosten einspart, dass das Ding nicht mehr fährt, verliert es für den Käufer die Funktion eines Autos. Ein Online-Medium kann nicht sagen: „Okay, diese Information ist zwar nicht ganz richtig, sondern nur eine abgeschriebene PR-Mitteilung oder ein ungeprüft weiterverbreitetes Gerücht. Aber wir haben halt nicht den Etat zum Überprüfen oder Selbstrecherchieren.”

Journalismus, der nicht mehr die Wahrheit berichtet, ist kein Journalismus. Und das Schlimme ist, dass der Kunde es, im Gegensatz zum nicht fahrenden Auto, nicht einmal zwangsläufig merkt, was ihm da angedreht wurde. (Mal abgesehen davon, dass Demokratie zur Not noch ohne Autos funktioniert, aber nicht ohne Journalismus.)

Ich spare mir weitere Zitate, weil dieses symptomatisch ist für die Stoßrichtung des Vortrags: im Internet sind Tippfehler scheinbar egal, PR-Mitteilungen werden ungeprüft als redaktioneller Content verkauft… unsere Kernwerte verschwimmen in einer bösen liberalen Ökonomie, statt bestens ausgebildeter Journos hämmern in den Online-Redaktionen nur mehr Praktikanten ihren Müll in die Tastaturen.

Das bringt unangenehme Gerüche aus der Kindheit in die Erinnerung, genauer gesagt, jenen Teil der Vorlesungen in meinem Publizistik-Studium, den jeder Anfänger absolvieren musste: Printmedien, Journalisten als vierte Kraft, Korrektiv der Politik und so. Diese Wahrheitsfindung mittels Methodenkoffer war mir schon damals sehr suspekt, und daran hat sich nix verändert: was sich aber verändert hat, ist die Relevanz der Institution Journalismus in ihrer Gesamtheit. In der alten Welt, in der die Distributionskanäle abgesehen von Leserbriefseiten nur one-way funktionierten, musste man wohl oder übel mit impertinenten „Gatekeepern“ leben, aber das Internet hat diese Notwendigkeit annulliert.

Zweifellos ist eine Erregung über die Sorglosigkeit, mit der vorgebliche Medienprofis Regeln ihres Handwerks missachten, zutreffend. Aber die Schlussfolgerungen sind weit überzogen:

Die Gefahr, wenn die Medien im Internet als Reaktion auf die noch geringen Einnahmemöglichkeiten die journalistischen Standards senken, ist, dass das Publikum sich daran gewöhnen könnte. Das wäre ein Traum für „RP Online“ […]. Aber es wäre ein Alptraum für die Gesellschaft – und den Journalismus.

Da springen andere in die Bresche. Viele Blogger – darunter ja auch der Autor des kritisierten Artikels – machen sich mit ihren Blog-Beiträgen mehr Mühe als der durchschnittliche Vollzeit-Feuilletonist. Ein Alptraum für den Journalismus: ja, aber nicht für die Gesellschaft. Dass nicht jeder Bürger investigativer Hobby-Schreiber wird, ist ebenso klar, wie dass ökonomische und andere Interessen ganz schnell zu einer Akkumulierung von Aufmerksamkeit führen, dass sich im neuen Medium neue some-to-many Topologien bilden – schon klar. Aber die Tatsache, dass das Internet Meinungsmanipulationen deutlicher hervortreten lässt als dies Fernsehen oder Print je könnten, und der Umstand, dass selbst der letzte Bergbauer mit UMTS-Karte irgendwann kapieren *muss*, dass es keine Wahrheit gibt, sondern nur eine Multitude von Standpunkten, entschädigen für 1 Million Paris Hilton News auf der Startseite der Frankfurter Nachrichten und eine ganze Armee von Tippfehlern mit dazu. Journalismus war ein notwendiges Meinungsmonopol, eine Zuspitzung der Agora, wenn wir schon von Politik reden. Journalisten werden langsam überflüssig, weil Media Literacy eben nicht mehr die Kompetenz einer auserwählten Gruppe bleibt!

Auf mittelfristige Sicht muss diese Situation Auswirkungen auf die Gestaltung der Demokratie haben, die viel weiter reichen als Wahlen im 3-6 Jahresabstand. Wandel. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass dies alles noch brandneu ist: wir Dass (wirtschafts)politische Entscheidungen zu einem hohen Teil übrigens längst nicht mehr über staatlich kontrollierte Kanäle geschehen, ist Symptom eines Systems im werden erst Spielregeln und Messlatten entwerfen und erproben müssen. Die Parameter eines historischen Mediensystems heran zu ziehen, muss notwendigerweise zu einer negativen Beurteilung des Status Quo führen.

PS: Zum Abschluss möchte ich noch gerne mit einem Gegenbeispiel aufwarten in punkto On- und Offline: man nehme die österreichische, selbsternannte „Qualitätszeitung“ Der Standard. Da drin gibt’s mehr Rechtschreibfehler als im durchschnittlichen Volksschüler-Blog, die Menge an ungeprüft abgedruckten APA-Meldungen übersteigt subjektiv „redaktionelle“ Inhalte bei weitem (aber ich hab die Quadratzentimeter nicht abgemessen, ich bin kein Inhaltsanalytiker). Dagegen recherchiert Perez Hilton geradezu lehrbuchhaft.

0 Kommentare
  1. Max M.
    Max M. sagte:

    Warum sollte die Redaktion vom Online-Standard keine APA-Meldungen verwenden? Da sind zumindest weniger Rechtschreibfehler drin, als in einem selbst recherchiertem Artikel. Außerdem ist „Der Standard“ zu 3,10 Prozent an der APA als Genossenschafter beteiligt. Kommt der Content also aus der „eigenen Firma“, was ja nicht verboten ist… (oder meintest Du vielleicht OTS-Meldungen?)

    P.S. Ich bin nicht vom Standard!

    • ritchie
      ritchie sagte:

      Die APA ist genossenschaftliche organisiert und gehört allen österr. TZs (mit Ausnahme der Kronenzeitung) gemeinsam, sonst wär die Infrastruktur in einem kleinen Land wohl kaum finanzierbar. Ich find’s trotzdem keinen guten Style, Meldungen einfach so zu übernehmen.

  2. Max M.
    Max M. sagte:

    Wenn es um „Style“ geht, dann darfst Du kein einziges Online- oder Print-Medium mehr lesen. Und Du sprichst es ja selbst an: Die Infrastruktur in Österreichs Medienlandschaft wäre ohne die APA kaum finanzierbar. Deshalb gibt es ja unter Journalisten auch den sehr gebräuchlichen Begriff „puffern“, was die APA anbelangt… :wink:

  3. Peter
    Peter sagte:

    Gut gebrüllt, Löwe ähm Frosch aber ich kann mich deiner Position nicht anschließen. Was andere vielleicht zu pessimistisch sind, bist du mir hier etwas zu optimistisch. Ich glaube nicht, dass der von dir ins Spiel gebrachte Bergbauer mit UMTS Karte (wohl eine Analogie zu Joe Plumber) erkennt, dass die Welt ziemlich willkürlich ist. Und wenn, glaube ich nicht, dass er darauf sehr offen reagieren wird. In Situationen der Verunsicherung greift mensch auf das zurück was er kennt und was ihm Sicherheit gibt. Kompexität muss dann reduziert werden und das geht am einfachsten indem ich auf Handlungen und Aktionen zurückgreife die sich als funktionabel erwiesen haben. D.h. ich greife auf Religion, Bauernregeln und andere Ordungssysteme zurück die es schon gibt und nicht auf Systeme die sich erst entwickeln und bewähren müssen. So aufgeklärt wie du die Welt hier beschreibst ist sie nicht einmal in Star Trek.

    Falsch ist es aus der angeblichen postmodernen Willkürlichkeit den Schluss zu ziehen dass es Wurscht ist was man tut. Genau das Gegenteil ist der Fall und ich denke mir, dass Niggemeier in diese Richtung argumentiert. Dass es nicht egal ist ob man jeden Blödsinn schreibt und sich dann auf die Multituden an Standpunkten herausredet. Vergleiche die PR Aktionen die zu den Irak Kriegen geführt haben. Das Beispiel von dem kleinen Mädchen, das vor der UNO erzählt wie die bösen Irakis Säuglinge aus den Inkubatoren herausgerissen haben ist gut dokumentiert. Dann steht man nämlich plötzlich im Irak, findet keine Weapons of Mass Destruction, hat einen Haufen Menschen getötet und Leben zerstört. Die Multituden an Standpunkten werden dann sehr akademisch.

    Nicht nur zwischen Banken geht es um Vertrauen. Immer wenn ich Info übernehme/annehme die ich selbst nicht recherchiert habe, muss ich dem Info-Geber vertrauen bzw einen Vertrauensvorschuss geben. Wenn ich über eine Search Engine zu deinem Blog komme, weiß ich nichts über dich. Warum soll ich dir irgendetwas glauben? Also braucht es Kontinuität udn Referenzen und die ist durch Institutionen und die Regeln die sie sich geben ganz gut gewährleistet. Dass im Journalismus vieles im argen liegt stimmt, aber deswegen „drauf scheißen“ und auf die Weisheit der Vielen setzen ist kurzsichtig. Aufmerksamkeit entscheidet ja nicht darüber ob etwas „wahr“ oder „falsch“ ist, sondern nur ob etwas interessant ist. Und die Kätzchen im Glaswürfel sind defintiv (beim ersten Mal) interessant aber wird, auch wenn sie sich 1 Mrd Menschen ansehen nicht „wahr“. (Ok, jetzt keine Konstruktivismus Diskussion.) Jetzt wirst du vielleicht einwenden, dass es ja sofort ganz viele Blogger gibt die diesen Hoax aufdecken. Bis sich dass aber wieder herum spricht dauerts eine Weile. Und nicht jeder ist so infogeil, so gebildet, so interessiert, hat so viel Zeit dass er die Katzeninfo selbst cross-checkt. Sonst würde es ja keine Kettenbriefe/mails mehr geben.

    Das ein Bezug auf „die Parameter eines historischen Mediensystems“ automatisch oder per se „zu einer negativen Beurteilung des Status Quo führen“ muss, widerspricht der von dir unterstützten Theorie dass es keine Wahrheit gibt sondern nur „Multituden von Standpunkten“. Die Frage ist welche Parameter ich heranziehe. Rechtschreibfehler ist da wahrlich kein guter Parameter. Wobei, es soll Zeiten gegeben haben wo Tageszeitungen praktisch Tippfehlerfrei waren. Lektoren werden eben eingespart. Dies schadet der Glaubwürdigkeit der Zeitung, v.a. bei denen die es noch anders kannten. Da unterstütze ich Niggemeier voll und ganz. Wenn sich das Publikum erst mal an ein stetiges nivellieren des Anspruches gewöhnt haben, wird die Institution Journalismus sehr fragwürdig. Und das wird bzw ist ja schon ein großes Problem für die Gesellschaft und die Politik. Schon jetzt gibt es kaum mehr aufdeckenden Journalismus – mir fallen aber jetzt auch keine Blogger ein die diese Lücke in gesellschaftlich relevanten Themenbereichen geschlossen hätten. Und bitte nicht Drudge Report sagen. Ich frage mich daher nicht, wie kann ich den Journalismus beerdigen sondern wie kann ich ihn reformieren und auf die neuen Verhältnisse anpassen.

    Wenn ich einen guten, qualifizierten und schnellen Überblick über die Themen des Tages haben will, brauche ich die funktionierende Institution des Journalismus. Ein guter Gatekeeper eröffnet mir ja auch immer einen (Themen)Raum, wie ich mich dann darin bewege, ob ich mich tiefer hinein traue oder gleich wieder verschwinde, ist meine Entscheidungsfreiheit. Dazu brauche ich auch gar nicht so viel media literacy weil der Raum sehr übersichtlich ist, die Komplexität dank der Arbeit des Gatekeepers überschaubar bleibt. Im Vergleich dazu eröffnet mir Google ein Spiegelkabinett in dem ich mehr und wahrscheinlich auch eine erweiterte media literacy brauche.

    Auch in der APA sitzen übrigens Journalisten die sich nicht nur als Multiplikatoren von PR Meldungen sehen. Auch dort wird recherchiert, interviewt und zusammen gestellt. Zugegeben, die Auswahl dessen was dann zb im Onlinestandard erscheint ist nicht immer glücklich.

    PS: Eigentlich hätte ich dazu einen eigenen Blogbeitrag schreiben sollen, hier nur verlinken und mich über die Hits und damit über die Aufmerksamkeit/Relevanz (?) freuen. (Was ich jetzt auch gleich tun werde.)

    • ritchie
      ritchie sagte:

      Wenn ich einen guten, qualifizierten und schnellen Überblick über die Themen des Tages haben will, brauche ich die funktionierende Institution des Journalismus.

      Das ist für mich genau der Knackpunkt an der Diskussion. Ich glaube nämlich nicht, dass es diesen Überblick „gibt“, sondern der ist ein Konstrukt, das uns von der Institution Journalismus „verkauft“ worden ist. Du kriegst nicht den Überblick über wichtige Themen, sondern eine Selektion, die bestimmten – ohne weiteres identifizierbaren – Kriterien gehorcht. Mein Glaubensbekenntnis: die Zentralperspektive ist tot, let’s indulge in entropy.

  4. Geldhai
    Geldhai sagte:

    Mit seinen ungefähr 13 Jahren ist das Internet noch ein sehr junges Medium. Und da es sich so rasant weiterentwickelt, kommt man natürlich nicht mehr hinterher Fehler zu beseitigen. Vielleicht sollte man eine Netzstruktur entwickeln, zwecks besserer Übersicht…

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