Paul Otlet: der Netz-Visionär

Paul Otlet: der Netz-Visionär

Sie nannten ihn Paul Otlet. Kein Wunder: das war schließlich auch sein Name. 1934 veröffentlichte der „verrückte“ belgische Professor sein wichtigstes Werk „Traité de documentation“, laut Untertitel „Das Buch über das Buch“. In diesem Meta-Medium präsentierte er seine Vision einer ganz anderen Informationsorganisation. Und wenn sich heute mit seinem Oeuvre beschäftigt, dann fällt es sogar schwer zu glauben, dass es sich nicht um den Hoax einiger Medienkünstler, sondern eine historische Persönlichkeit handelt. Der folgende Youtube-Clip stammt aus der Dokumentation The Man who wanted to classify the world:


Paul Otlet hat das Internet erfunden, die technische Grundlage – ein weltumspannendes Netz aus Elektrizität – war gerade erst im Entstehen. Doch er hat die Fundamente zu dem gelegt, was wir heute als semantische Technologien bezeichnen. Otlets Konzept ist weit älter als Ted Nelsons Xanadu Hypertext System und der älteste mir bekannte Entwurf eines „multimedialen Computers“. Kennt vielleicht jemand noch ältere Quellen?

0 Kommentare
  1. mask
    mask sagte:

    Die Grenzziehung ist schwierig und hängt ganz von den individuell gesetzten Gründen ab, warum man die Grenze genau hier ziehen möchte.

    Frank Hartmann hat Paul Otlet in seinem Buch „Globale Medienkultur“ erwähnt und ist auf dessen Ideen zur Informationsvernetzung eingegangen. Armand Matellarts geht in seiner „Kommunikation ohne Grenzen?“ weniger auf das Thema Informationsvernetzung ein als auf die physische Vernetzung der Welt. Direkt zu dem Thema als ein – allerdings auch späterer – Vorläufer für eine Informationsorganisationsmaschine – fällt mir noch die Memex von Vannevar Bush ein. Aber noch älteres als Otlets Ideen? Nein, nicht für den Augenblick…

    • ritchie
      ritchie sagte:

      Matellarts Buch ist wirklich ein Klassiker der „Materialitäten der Kommunikation“. Von Otlet hat mir Frank Hartmann vor einigen Jahren das erste Mal erzählt – flashig finde ich vor allem die extreme Nähe seiner Voraussagen zu dem, wie Computertechnologie heute aussieht. Leibniz war da wesentlich abstrakter.

      • mask
        mask sagte:

        Ein recht berühmtes Beispiel für Informationsvernetzung wär ja noch Hegels Zettelkasten, aber der ist weder elektronisch noch wurde er von seinem Schöpfer als Konzept festgehalten. Passt also auch nicht so wirklich…

        Ähnlich flashig habe ich nur einige Kurzgeschichten von Jorge Luis Borges in Erinnerung, der die Idee einer Weltbibliothek fiktiv an die Spitze treibt…

  2. Frank
    Frank sagte:

    Das Mundaneum in Brüssel hat es tatsächlich gegeben. Aber Butterkeks beiseite (Leibniz!) — die Konzepte sind kaum vergleichbar, und Otlet hat sicher nicht das Internet „erfunden“. Er hat aber die Organisation von Wissen via Metadaten und die Datenbank-Logik mit Hilfe neuer elektromechanischer Technik („Classeurs“, Mikrofiche) realisiert. Ganz wesentlich ist seine ab 1895 (!) entwickelte Erkenntnis, dass neue Medien die alten auflösen, zugunsten von „Hypermedia“ (wörtlich in Otlet 1934).

    PS: Soviel ich weiss war mein TP-Artikel der erste deutschsprachige Text zu Otlet

    PPS: Bin im Besitz des kompletten Films von Francoise Levie, kann bei Interesse gern mal ein Viewing organisieren.

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