Christian Rainer, Wolfgang Rosam und die unerträgliche Anonymität

Rainer | Rosam | Ritchie: Herausgeber + Blogger gegen Meinungsfreiheit

Falstaff-Herausgeber Wolfgang Rosam gründet die Initiative der „Meinungsmutigen“, die „unerträglich gewordenen Beleidigungen, Untergriffen und persönlichen Angriffen in den anonymen Postings in allen Medien“ ein Ende setzen will. Chapeau! Auch ich bin der Meinung, dass dieses Land dringend mehr namentlich zuordenbare Beleidigungen, Unter- und persönliche Angriffe braucht.

Gemeinsam mit Christian „Die Marke Ich“ Rainer sind wir schon zu dritt: „Die Erträglichkeitsgrenze der anonymen Verleumdung ist erreicht,“ rainert der Profil-Herausgeber, denn:

Wer „News“ zu „Shitstorm“ googelt, bekommt 10.900 Treffer, zu einem guten Teil individuelle Fälle aus der nahen Vergangenheit.

Schön wär’s! Man kann von Print-Journalisten nun wirklich nicht erwarten, dass es für sie ein Leben außerhalb der „News“-Suche gibt, aber ich versichere, es ist noch viel schlimmer: wenn ich „News zu Shitstorm“ ganz „normal“ google, dann bekomme ich sogar ungefähr 1.180.000 Ergebnisse. Aber wenn die Recherche ein Hund ist, dann liegen alle Antworten und Fragen nicht, wie Kafka meinte, in selbigem, sondern man wendet sich vertrauensvoll einer höheren verlegerischen Macht zu… und glaubt!

Warum der Plachutta-Mitarbeiter wirklich entlassen wurde, weiß ich aber bis heute nicht. (Die Story vom gestohlenen Zucker, mit dem der Name Plachutta dank Internet nun auf ewige Zeiten verbunden sein wird, glaube ich in dieser Form nicht.)

Dass Medienprofis dem „unerträglichen“ Fußvolk mangels Kompetenz das Glauben und Meinen absprechen, ist so alt wie die Schlagzeile von gestern. Quod licet boves und so… meinen, wissen, glauben – die Grenzen der Erträglichkeit überschneiden sich lästigerweise in diesem eigenartigen Netzmedium. Herr Rosam hat darauf eine Antwort parat, die ihn wohl ohne weiteres für einen Internetminister-Posten im Kabinett der Unentschlossenen qualifizierte:

Postings und die freie Meinungsäußerung im Web hält der Falstaff-Herausgeber nach wie vor für demokratiepolitisch wichtig und richtig, „aber nicht in dieser Form!“

In jener Form, die Christian Rainer vorschlägt, bliebe die wahre, wirkliche Identität „zumindest der Redaktion“ nicht verborgen:

Aber, was ist eine Meinung wert, zu der man nicht den Mut hat zu stehen? Zumindest der Redaktion sollten die tatsächlichen Web-Diskussionsteilnehmer in ihrer wirklichen Identität bekannt sein. Da wäre auch schon Vieles zum Positiven verändert.

Mich juckt sofort der Über-die-Schulter-Guckreflex, die NSA kommt mir in den Sinn. Der Verfasser des Kommentars spannt einen recht anderen Assoziationsbogen:

Im Netz ist Verfolgbarkeit mangels Ausforschbarkeit des Urhebers nicht erwünscht und nicht möglich. So viel zur Rechtsordnung. Und zu den Usancen – man verzeihe mir den drastischen Vergleich: Die anonyme und durchaus gewünschte anonyme Vernaderung im Dritten Reich ist noch in Erinnerung. Also weg mit der Anonymität, her mit überprüfbaren Identitäten im Netz!

Zusammengefasst: Dürften Medienmacher die Identität der Poster überprüfen, verhülfe uns dies zu einer demokratischeren Gesellschaft, weil „überprüfbare Identitäten“ die Selbstzensur fördern. Muss man aber deshalb gleich grosso modo anonyme Meinungsäußerung mit einem faschistischen Spitzelsystem gleichsetzen?

Immer wieder faszinierend, in welch eigenartig enge Sackgassen die Kombination aus technischem Unwissen und Online-Abneigung führt. Als ob im Internet das Strafrecht außer Kraft gesetzt wäre, als ob online nicht jedes Posting im Bedarfsfall ganz genau rückverfolgt werden könnte, als ob ein riesengroßer Teil der beschimpften Kommentatoren nicht ohnehin unter echtem Namen oder unter einem Pseudonym, das sie als ihre „wahre“ Netzidentität ansehen, posten würden.

Genau darauf weist Ingrid Brodnig in ihrer grandiosen Replik hin: im zitierten „Fall Lichtenegger“ respektive bei so gut wie allen Facebook-Scheißestürmen postet die Mehrzahl der User unter echtem Namen. Weiters schreibt Ingrid, dass, anders als von Wolfgang Rosam behauptet, das Problem der anonymen Online-Kommunikationskultur keineswegs „völlig unlösbar“ ist. Aber ein respektvolles Gesprächsniveau erfordert nun mal jede Menge Engagement. Kompetente Moderatoren, die im Bedarfsfall klärend, fragend und/oder löschend eingreifen, machen auf „Zeit Online“ vor, wie sowas funktionieren kann.

Doch das erfordert erstens zeitlichen Aufwand und zweitens ein Umdenken, das im deutschsprachigen Bereich noch nicht stattgefunden hat: der Online-Artikel endet eben nicht mit der Publikation, die Diskussion ist ein ganz wesentlicher Bestandteil. Dass in Österreich, wo sich kaum mehr eine Zeitschrift ein Lektorat leisten will und bloße Bannerviews den Online-Werbemarkt dominieren, wenig Augenmerk auf Community-Management gelegt wird, mag nicht überraschen.

Daher ein Vorschlag zur Güte: schließen wir drei uns doch zur Allianz der supermutigen Meinungs-Herausgeber zusammen und verlangen hinkünftig eine Ausweiskopie samt DNA-Probe, Leumundszeugnis und psychiatrisch beglaubigtem Persönlichkeitsgutachten, bevor jemand auf unseren Portalen unerträglich anonym postet. Und womöglich auch noch eine andere Meinung vertritt als wir. Der Rest des Netzes wird nicht anders können, als unserem leuchtenden Beispiel mit Begeisterung zu folgen. Ich fotokopier schon mal meinen falschen Ausweis.

0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

Schreibe einen Kommentar