Social Marketing: ein Genre erfindet sich

Social Marketing: ein Genre erfindet sich

schalteraffeWährend Autohersteller händeringend um staatliche Zuschüsse flehen, können sich Social Marketer vor Aufträgen kaum erwehren: spätestens seit der amerikanischen Präsidentschaftswahl gilt Twitter vielen Marketing-Managern als „Non-Place to not be“, sprich: hier kann ich direkt und echtzeitlich mit meinen Kunden repräsentieren, hier muss mein Brand vertreten sein – zumindest bevor jemand anderer meinen Nick registriert. Aber die Unsicherheit über die Best Practices ist (noch) groß, und die Anleitungen sprießen wie die sprichwörtlichen Pilze aus dem Boden. Hoffnungen und Bedenken prallen aufeinander wie die fette Lady und der Rugbyspieler, Angst vor Bloßstellung paart sich mit freudiger Erwartung proaktiven Kundenkontakts.

Befürchtung Nummer eins: man könnte zu viel Zeit mit Social Media verschwenden. Abhilfe schafft diese umfassende Liste von Artikeln zum Thema „wie ich beim Social Marketing Zeit spare“ auf IIG:

In this post, we’ve put together a comprehensive list of articles with great advice, tips and tools to help you be more productive and efficient when using social media. We also have some posts that offer up general online productivity insights.

Bis man sich allerdings durch unter anderem „17 Firefox Add-Ons, die Bloggen einfach machen“, „10 Greasemonkey-Scripts für mehr Produktivität“, „40+ Tools und Hacks für Gmail“ und Co. durchgearbeitet hat, sind locker 20 Viral Kampagnen ins Land gezogen. Ecce homo: nicht nur das Web 2.0 ist ein Zeitfresser, auch die Literatur über Social Marketing verlangt zukünftig wohl nach einem Vollzeit-Mitarbeiter für die „Current Web Trends Research“ Abteilung. Doch trotz der gefühlten Urgenz und Komplexität einer durchdachten Präsenz überlässt man diesen Bereich gerne mal dem Praktikanten, wie Shelly DeMotte Kramer in einem lesenswerten Artikel auf SocialNetworkingSanDiego feststellt:

Social marketing is and should be a part of any serious business’s marketing and communications plan – especially today. But, the interesting thing is, that so often people (read that „business owners“) think that it’s just the perfect project to sink little Jenni on – you know, the one who just graduated from Community College last year and who just loooooves surfing the net. Or, maybe Johnnie, who’s in college and has a Facebook page – that’d be something he could do for us and we could pay him $200 and save a bunch of money. People – you don’t get it! Social marketing is serious stuff and is well on it’s way to replacing the traditional kinds of media that we’ve known and loved. Display ads are going the way of the dinosaur. Who reads magazines and newspapers when you can get instant news and any kind of content you would ever want online – through more sources than I can possibly articulate.

Natürlich handelt sich’s bei dem Text in erster Linie um Eigenwerbung, trotzdem ist was Wahres dran: man kann ich Netz auch mit besser Ressourcenausstattung authentisch erfolglos sein. Oder mir etwas Originelles überlegen – so wie Jim, der mit seiner Aktion Twittermethis den Microblogging-Service als low-key Quiz-Tool benutzt. Andererseits zeigt ein Vergleich zweiter Zitate, wie nahe Wahnsinn und Methode beieinander liegen:

Unter Geisteskrankheiten oder Geistesstörungen wurden unterschiedliche Verhaltensbilder und Krankheiten zusammengefasst, die sich im Allgemeinen durch Verhaltensformen ausdrücken, die in der Gesellschaft nicht akzeptiert sind.

Gammas geben hilfreiche Tipps nur zu gerne weiter und spielen daher im Kommunikationsprozess eine essentielle Rolle. Anders als Betas (AnhängerInnen/NachahmerInnen von Alphas) folgen sie zudem ihren eigenen Regeln und Werten und nicht denen anderer (z.B. der Alphas).

Bei ersterem handelt es sich um die Definition von Geisteskrankheiten aus der deutschsprachigen Wikipedia, bei zweiterem um die Definition eines Konsumentengruppe aus dem aktuellen ambuzzador-Newsletter. Der gute alte Foucault hatte eben doch recht: alles eine Frage der gesellschaftlichen Zuschreibungen. Und des Betrachterstandpunkts. Andererseits ist natürlich keine Marketingabteilung eine Insel, und insofern ist schon was Wahres dran an den Consequences of Social Media Silence:

At what point, however, does a refusal to participate begin to erode brand loyalty?
Your Competition Will Force You To Get in the Game. […] It’s always been so online. The early adopters set the rules and force the hands of the subsequent waves.

Dem möchte ich noch hinzufügen: Best Practices im Netz werden nicht rein aus universitärer Forschung und Erleuchtungserlebnissen geboren (obwohl diese natürlich auch eine wichtige Rollen spielen), sondern im Trial-and-Error Verfahren. Und deswegen lautet die wahre Herausforderung für Brands, die jetzt in Social Web einsteigen nicht, bewährte Taktiken zu kopieren – sondern die Zukunft des Onlinemarketing aktiv mitzugestalten!

0 Kommentare
  1. Horst
    Horst sagte:

    Leider schlachten diverse „Agenturen“ mit ihren Praktikanten die Social Media Portale derart aus, dass es kaum auszuhalten ist. Diese Firmen werden immer wieder billige Methoden finden. Wie schlecht es gemacht ist, ist denen ja egal – hauptsache sie stehen irgendwo drin. :???:

  2. Peter
    Peter sagte:

    Auf welche Theorie beziehen sich die Gammas und Betas?Wenn es nämlich das vielzitierte (und ebenso häufig missverstandene) Modell von Raoul Schindler ist, dann sollte die Metapher lieber bei Häuptlingen und Indianern bleiben. Bei 8 Mio Einwohner würden 10 Häuptlinge mehr als ausreichen, jetzt kenne aber schon ich alleine mindestens 15 Häuptlinge und ebensoviele Häuptlingsanwärter.

      • Peter
        Peter sagte:

        Dann darf ich noch ein paar Buzzword aus Everett Rogers: Diffusion of Innovations, dem Standardwerk in dem Bereich, seit 1962 immer wieder erweitert und neu aufgelegt beitragen. Aus diesem Buch haben sie alle mehr oder weniger freizügig bedient.
        Wie wäre es also mit, in absteigender Innovationsfreude, progressists, hight triers, experimentals, lighthouses, advance scouts und ultraadopters? Ludditen sind dann entweder genau das oder drones, parochials und diehards. Nicht sehr liebvolle Bezeichnungen, wie ich meine.

  3. WebStartup
    WebStartup sagte:

    Ich denke in Europa müssen die Unternehmen und Agenturen noch sehr viel lernen was Social Marketing angeht. Wir sind mal wieder den Amerikanern weit hinterher. Wie im Artikel schon gesagt wurde: zuerst zuhören (!), beobachten wie sich meine Umwelt verhält, worüber gesprochen wird, danach in Diskussionen langsam einsteigen, verschiedene Tools ausprobieren [trial&error] und sich menschlich verhalten – nicht wie eine Marke oder ein Unternehmen, denn letztlich sind es Menschen, die das Unternehmen ausmachen und nicht irgendein cool klingender Werbeslogan. Authentizität und Ehrlichkeit sind oberstes Gebot, um Glaubwürdigkeit zu erlangen und langfristig erfolgreich zu sein. Eine Beziehung zu Nutzern, Kosumenten und Kunden aufbauen. Darum geht es. Und dabei kann Social Media und das Web heutzutage wie keine andere Form, kein anderes Medium helfen.

    Mit Buzz hat gutes und erfolgreiches Social Media Marketing überhaupt nichts zu tun. Das ist nur im Falle von Agenturen, die die Onlinewelt nicht verstehen und noch immer mit alten Methoden vorgehen.

    Ich baue gerade ein Web-Startup auf, das sich um den Bereich Social Marketing dreht. Über Unterstützung durch eine Stimmabgabe auf yigg.de ) würde ich mich sehr freuen – möchte aber hier nicht mein Gesuch spammen, sondern wollte tatsächlich etwas zur Diskussion beitragen. Ich hoffe, dass ich das ein wenig geschafft habe. :-) Über yigg bin ich übrigens auf diesen Beitrag aufmerksam geworden. Schöner Artikel!

    Beste Grüße!

  4. brainstorming
    brainstorming sagte:

    also mal danke für diesen netten post und den anderen quellen, die da angegeben worden sind.

    war ja auch interessant zu beobachten, wie 2,3 bekannte werbefiguren aus der österr. werbung auf einmal auf fb aufgetaucht sind.

    prinzipiell find‘ ich, dass es schon kleine ansätze gibt, was social media betrifft, man kann hier mal die grünen als beispiel nennen.

    man muß halt bedenken, dass social media nicht die ‚eier-legende-woll-milch-sau‘ ist, sondern wenn man es effizient nutzt, der marke oder einem produkt sehr hilfreich sein kann.

    es wird wohl natürlich keinen sinn machen einen twitter-account anzulegen, wenn meine zielgruppe nicht mal weiß, was twitter ist!?

    so gesehen, gibt es noch einiges zu tun – oder nein besser, zu probieren und dann daraus zu lernen und es dann wieder versuchen! :grin:

    • ritchie
      ritchie sagte:

      Also mein Eindruck ist in erster Linie, dass Twitter – nona – mit den bekannten Maßstäben gemessen wird, also als weiterer Kanal, über den man seinen Bullshit rausblasen kann. Unternehmen, die verstehen, dass Social Media eben in erster Linie kein Distributionskanal, sondern ein on-demand touchpoint ist, können einiges rausholen; aber wenn Schaltagenturen plötzlich Social Media Marketing mitanbieten, dann sind wir ja fast in Blackhat-Sphären angelangt.

  5. xoorg
    xoorg sagte:

    Ich gebe zu ich verstehe Twitter immer noch nicht richtig, aber es macht süchtig und wenn es nur darum geht zu gucken wieviele follower man gerade hat. Sucht Nummer 2: tweet_rank… Mist wo bleibt bloss die Zeit?

  6. Christian
    Christian sagte:

    Das Beeindruckendste für mich an SocialMediaPlattformen ist mittlerweile die angebliche Vernetzung, die dann andererseits durch irgendwelche SEO-Agenturen völlig pervertiert wird. Die spammen viel; dann findet man irgendwelche Profile in Google, die sich natürlich nur als User recherchieren lassen. Das macht dann ungemein viel Spaß…. was bringt denn die ganze Plattformerei…?

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