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Social.Media.Sucht: Hilfe, das Internet hat meinen Verstand gefressen

Was haben die FAZ und the gap gemeinsam? Die Herausgeber beider Druckwerke misstrauen dem Internet und den Herzpulsbeschleunigenden Fährnissen digitaler Ubiquität, ja man könnte ohne Übertreibung sagen: sie beäugen die sozialkraftzersetzende Auswirkung der digitalen Revolution ausgenommen kritisch. Frank Schirrmacher in seinem kürzlich wohlkalkuliert erschienen Irrwegs-Essay, Thomas Weber im aktuellen Impressum von the gap. Es läge demnach die Haupt-Lebensqualität-verbessernde Wirkung des Internet darin, sich „auch mal eine Auszeit“ respektive eine „Facebook-freie“ Periode zu gönnen.

Nun mag ich zwar den Falter lieber als je zuvor, denn nicht einmal die Titanic ist unterhaltsamer als eine Truppe von erzreaktionären Alt-68ern, die sich aus selbstkonstruierter Tradition heraus für „progressive Links(liberale) halten. Und ich schätze Armin Thurnhers unmotivierte und beleidigende Ausritte gegen die Internetgeneration im Allgemeinen und gegen seine eigenen Mitarbeiter im Speziellen mindestens so sehr wie Hans Mentz‘ Humorkritik. Doch die Dreistigkeit, mit der die junge Generation einem Armin Thurnher seinen Kulturpessimismus klaut, erschüttert meinen Irrglauben ans Urheberrecht zutiefst.

Heulen und Zähneknirschen

Möglicherweise resultiert das „Unbehagen mit der digitalen Kultur“ aber auch bloß aus einer Nutzungspraxis, die Twitter, Facebook und Co. mit den News des Tages verwechselt und die wunderbare Arbitrarität der Netzwelt in die gewohnte Zentralperspektive pressen möchte. Vergessen wir nicht: jene „junge Generation“, welche die Geschicke des staatlichen Jugendsenders (nur in .at und im Ex-Kommunismus keine contradictio in adjecto) lenkt und leitet, erwartet in Kürze die Freuden der ersten Großelternschaft. Ich nehme mir aber den Luxus heraus, trotzdem nicht wahrhaben zu wollen, dass Journalisten nur die Wahl zwischen Berufsjugendlichkeit und vorzeitiger Vergreisung bleibt.

Möglicherweise verweisen die apokalyptischen Szenarien der Integrierten ja auch bloß auf eine allzu menschliche Urangst: das eigene Rezeptionsverhalten kritisch zu hinterfragen und möglicherweise gar zu ändern erfordert mit Sicherheit mehr Energieaufwand als ein vernehmliches „Früher war alles besser!“ im Brustton der Überzeugung.

Um die so sehnlich herbei gewünschte eigene Media Literacy konstatieren zu können, mag die erste herbeigeredete Überforderung und die im dialektisch zweiten Schritt so sicher wie das Amen in der Kirche folgende Krisenbewältigung nützlich sein, allein: der Nutzungsrealität der „net.generation“, die sich aus Facebook zurück zu ziehen beginnt, seit erste Elternteile dort stalken, entspricht sie nicht. Blind macht nicht nur der berühmte Fleck am Auge, sondern auch der Kulturbetrieb: und so übersieht der geschäftige Bobo gerne, dass ihn kein einziger pragmatischer Grund, sondern bloß der dringliche Wunsch nach Zeitgeistkompatibilität scheinbar zur Ever-On Lebensweise zwingt.

Online kann man nicht Komasaufen

Kulturpessimistische Betrachtungsweisen haben eine kurze Halbwertszeit gemeinsam: Wer sich hinstellt und die informationelle Totalüberforderung ob hundert verschiedener Fernsehkanäle oder Printmagazine propagiert, ist entweder mäßig origineller Kabarettist oder einfach nur ein Vollpfosten. Ein Szenario, in dem sich „Medienprofis“ der eigenen Nutzungs-Souveränität versichern, natürlich nicht ohne den einen oder anderen mahnenden Zeigefinger Richtung Kids und/oder Mainstream zu erheben, wird sich lässt an Lächerlichkeit schwer überbieten lassen – in ein paar Jahren. Nur im Auge des Orkans, im infinitesimal kleinen Zeitabschnitt, den wir als Gegenwart empfinden, kann der geübte Kulturpessimist seine ewig-gleiche Strategiekeule auspacken.

Weil Umberto Eco in „Apokalyptiker und Integrierte“ diese Strategien hervorragend beschrieben hat, hier zum Abschluss nur eine kleine Anmerkung für skeptische Medienprofis: Fragen Sie doch mal ein paar Polit-Blogger aus nicht ganz so demokratischen Staaten, ob sie sich vom Web 2.0 auch so „gestresst“ fühlen, dass sie ab und an im Gefängnis eine Auszeit nehmen müssen? Für mich riecht es jedenfalls nach unreflektiertem Elitarismus, wenn just in jenem Moment, an dem das Social Web zu einem Massenmedien wird, die Mahner den Zeigefinger erheben – früher nannte man sowas Luxusproblem.

6 Kommentare
  1. Paula
    Paula sagte:

    Sowieso!..
    da wird uns erzählt was wir hören wollen bzw hören sollen!!
    Es wird uns alles schön zurecht gelegt..
    Ich glaube da nicht mehr dran..
    Im ersten Die News kann man noch sehn..dass wars aber dann schon..
    Paula :saint:

  2. Caro
    Caro sagte:

    Treffender hätte man es nicht formulieren können. Vor allem in Punkto „Komasaufen kann man nicht online ;)“ geb ich dir absolut recht.Ein Luxusproblem, dass wir uns als Gesellschaft mit einer der höchsten Rate an Sozialfällen und Arbeitslosen definitiv nicht leisten können!

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