Soll man Journalismus studieren?

Publizistik & Journalismus studieren – oder lieber was Anständiges lernen?

„Statt Publizistik zu studieren, kannst du dir die Zeit auch sparen und gleich Taxifahren gehen,“ habe ich zu Beginn meines Studiums von sich ihrer eigenen Bildungswahl sehr sicheren angehenden Juristen, Ärzten und sogar Ethnologen gehört. Mittlerweile sag ich das zum Spaß sogar manchmal zu meinen eigenen Studenten. Als ehemaliger Journalist, Absolvent des Wiener IPK und ebendort Lektor mit 32 Semestern Unterrichtserfahrung kann ich die im Titel gestellte Frage ganz kurz und schmerzlos beantworten: Ja natürlich – sofern euch Journalismus mehr interessiert als alle anderen Optionen.

Damit könnte eigentlich schon alles zu diesem Thema gesagt sein, aber natürlich wird – so wie alles in dieser hochdifferenzierten Welt (oder Simulation, wie immer mehr Silicon Valley Heinis mittlerweile glauben) – alles umso komplizierter, je genauer man hinschaut.

Meine Gedanken zu diesem Thema formuliere ich in Form der folgenden 3 Thesen und Tipps, davor nur kurz zur Begriffsklärung: In der Alpenrepublik gibt es kein dediziertes JOURNALISMUS-STUDIUM, sondern etliche FH-Studiengänge mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen sowie Institute für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft in Klagenfurt, Salzburg und Wien. Der Haken dabei ist keiner, sondern ein Bindestrich – und zwar der hinter „Publizistik“. Man lernt dort nämlich Publizistik-Wissenschaft mit ein paar journalistisch angehauchten Wahlfächern. Unser Fach fokussiert eigentlich auf die Beforschung des Journalismus, nicht auf dessen Handwerk.

THESE #1: Aus erfindlichen Gründen übt das Berufsfeld Irgendwas mit Medien eine ebenso ungebrochene Faszination auf Unentschlossene aus wie die Psychologie.

Ich weiß das aus eigener Erfahrung, denn mir ging’s ganz ähnlich: Nach der Matura (Abitur) inskribierte ich Technische Physik an der Universität Graz und stellte nach zwei Semestern fest: Nebenbei arbeiten wird’s hier nicht spielen. Ich war aber bereits während meiner Oberstufenzeit als rasender Reporter unterwegs und wollte die nächsten paar Jahre lieber mit eher mehr als weniger Tagesfreizeit verbringen.

Also Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, damals noch kombinationspflichtig. Ich entschied mich für Politikwissenschaft als Zweitfach in dem warmen, beruhigenden Gefühl, dass ich nun mindestens 8 Semester lang Zeit hätte, mir zu überlegen, womit ich den eigentlich mein künftiges Berufsleben verbringen wolle. Das Studium ließ nämlich wirklich ausreichend Spielraum für „extracurriculäre“ Aktivitäten – ein Luxus, den man nicht unterschätzen sollte.

Gemeinsam mit Studienkollegen konnte ich so die ersten wissenschaftliche Publikationsplattform für „graue Literatur“ ins Netz stellen, ein Musik- und Kinomagazin gründen („the gap“), den ersten mp3-Newsletter zu verschicken (direkt an 500 Empfänger via BCC, damals ging das noch durch ohne lebenslange Spam-Abstrafung), Partys zu veranstalten, Platten auf Club-Turntables zu werfen und nebenbei als Webprogrammierer bei der APA zu arbeiten.

Der Journalist

Ein unglücklicher Journalist bei der Arbeit – er hätte längst sein eigenes Blog starten sollen, statt ein unbezahltes Praktikum nach dem anderen zu absolvieren.

Just während meines Studiums kam das Internet auf die breite Masse hernieder, und da wurde plötzlich die Kommunikationswissenschaft (wieder) äußerst spannend. Der alte Habermas und sein Luhmann hatten mich nie vom Hocker reißen können, aber was Mäc (Luhan), Flusser und Kittler über Digitalisierung zu sagen hatten, sog ich auf wie ein Schwamm. Dass ich meine „Arbeitsmarkt Skills“ nicht im Rahmen von kommunikationstheoretischen Seminaren erwerben würde, war mir dabei ebenso bewusst wie egal.

Tipp #1

Wenn du schon Journalismus studierst, dann nütze die viele Freizeit. Und mach *niemals* unbezahlte Praktika, sondern starte lieber eigene Projekte.

THESE #2: Wer erfolgreicher Journalist werden möchte, sollte lieber (Volks)Wirtschaft oder ein anderes Fach, das solides Fachwissen vermittelt, studieren.

Während der zweiten Hälfte meiner Studienzeit hab ich bei der APA als Web-Programmierer gearbeitet. Beim Mittagessen fragte ich irgendwann einen Abteilungsleiter, ob er vielleicht einen Nebenjob für eine Kollegin hätte.

Er: Was studiert sie denn?
Ich: Journalismus.
Er: Nehmen wir nicht, wir brauchen Leute mit Fachwissen.
Ich: Ich studiere aber auch Publizistik.
Er: Das hab ich nicht gewusst, als wir dich eingestellt haben.*
*) Die suchten damals wirklich dringend HTML Heads.

Das mag durchwegs symptomatisch sein, sollte angehende Edelfedern aber nicht abschrecken, sondern motivieren. Routine vor der Kamera oder eloquenten Schreibstil erwirbt man nun mal weder in Vorlesungen noch in Seminaren, sondern nur durch permanente Übung.

Tipp #2

Journalistische Skills sind nur die halbe Miete. Wenn du über alles technisch perfekt berichten kannst, aber von nichts eine tiefergehende Ahnung hast, bist du austauschbar. Austauschbar und mittelmäßig sind am Job Markt das neue #unbrauchbar. Betrachte deine Journalismus-Ausbildung als Handwerkszeug und eigne dir deine Spezialfähigkeiten im „Selbststudium“ an.

THESE #3: Weder Österreich noch Europa brauchen 500 neue Kommunikationswissenschaftler pro Jahr. Und auch keine 500 neuen Journalisten.

Der Arbeitsmarkt spricht eine deutliche Sprache: Immer mehr Verlage kürzen die Redaktionsjobs radikalst, kein einziges österreichisches Magazin leistet sich heute noch ein Lektorat (Man merkt’s, Profil!), geschweige denn eine Tageszeitung. Butterfahrten gibt’s bloß sporadisch und auch nur dann, wenn während der eigenen Abwesenheit ein braver Praktikant (siehe Tipp 1) währenddessen die Kommentare moderiert.

Zugleich wechseln immer mehr Kollegen der schreibenden Zunft die Seiten und finden sich plötzlich in wesentlich besser bezahlten PR- oder CorpCom Jobs wieder, Content Marketing sei Dank. Man muss sich also, überspitzt formuliert, wenig Gedanken über Rationalisierung durch Schreib-KIs machen, aber dafür erstmal einen Job finden, was sich für Absolventen unseres Faches sehr wohl überdurchschnittlich schwierig gestaltet.

Wir leben in einer sehr kommunikativen Berufswelt. Eine solide journalistische Ausbildung lässt sich heutzutage in vielen benachbarten Jobfeldern weit besser verwerten als im klassischen Journalismus.

Tipp #3

Niemand fragt in 10 Jahren nach, wo du während deines Studiums mal Kaffeekochen durftest. Schaff dir lieber deine eigene Nische: Fang ein Blog an oder werde *der* Experte für kubanische Rum-Cocktails. Demonstriere, dass du was Eigenes auf die Beine stellen kannst und der Einstieg in die Selbständigkeit wird dir leichter fallen als ein Multiple Choice Test.

Um abschließend also wieder auf die Eingangsfrage zurück zu kommen: Was ist der Mensch, was darf er hoffen? Soll er Journalismus studieren? Mir fallen keine guten Gründe ein, die dagegen sprächen. Keinen Job bekommen kann man auch als Absolvent anderer Fächer, und letztendlich zählt nur die Leidenschaft. Dass ein Journalismus-Studium aber nicht der direkte Weg zum Nachrichtensprecher ist, sollte jedem Studienanfänger aber durchaus klar sein.

4 Kommentare
  1. Andreas
    Andreas sagte:

    Mit Publizistik kann man sogar Bundeskanzler werden. Allerdings ist PKW halt auch keine Journalismus-Ausbildung. Im Gegenteil sogar! Bei manchen Journalismus-Ausbildungen in Deutschland ist es meines Wissens nach erwünscht oder sogar Voraussetzung, dass man einen fachfremden Studienabschluss hat.

    • Ritchie Pettauer | Online Marketing Berater
      Ritchie Pettauer | Online Marketing Berater sagte:

      Ja, das stimmt – es gibt zwar auch in Österreich Ausbildungen, die stärker praxisorientiert sind, aber die PublizistikWISSENSCHAFT hat natürlich einen andere Schwerpunkt – aber genau das übersehen viele Studienanfänger gezielt.

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