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SVA Chaos: Arztbesuche ab 1. Juni kostenpflichtig

Das österreichische Sozialversicherungssystem hat so seine Probleme, doch was die SVA gerade angerichtet hat, ist in der Geschichte der Pflichtversicherung wohl einzigartig. Während es Obama in den USA gerade geschafft hat, endlich eine Krankenversicherungen für alle Bürger im Gesetz zu verankern, lässt die SVA österreichische Unternehmer im Regen stehen: nach dem Scheitern der Gesamtvertragsverhandlungen zwischen Ärztekammer und SVA beginnt in knapp zwei Wochen der vertragsfreie Zustand. Das bedeutet konkret: Wer Unternehmer ist und daher bei der SVA versichert, muss ab 1. Juni seine Besuche bei niedergelassenen Ärzten selbst bezahlen.

SVA unterlässt

Die anschließend ausgestellte Rechnung kann dann bei der SVA eingereicht werden, die bei Behandlungen aus dem Leistungskatalog der Krankenkassen dann 80% rückerstattet. Diese unfassbare Misere, die man selbst als geduldiger Beitragszahler nur als #MEGAFAIL bezeichnen kann, ist das Resultat der gescheiterten Verhandlungen vom 4. Mai – beide Seiten haben ihre Kampagnenpages in Stellung gebracht. Die Sichtweise der Ärztekammer unterscheidet sich naturgemäß gravierend von der Stellungnahme der SVA. Während erstere von vollkommen mangelnder Verhandlungsbereitschaft spricht, verteidigt die Versicherung ihre Einsparungspläne:

Bei den aktuellen Verhandlungen war es der SVA ein Anliegen, besonders hohe Tarife im Labor-Bereich zugunsten der persönlichen Betreuung der Patienten zu senken. Die Allgemeinmediziner und Fachärzte hätten für diese verstärkte Betreuung der Patienten eine Honorarerhöhung um 4 Prozent erhalten. Ein zusätzlicher Vorschlag, diese Entwicklung bis 2015 festzulegen, wurde von der Ärztekammer abgelehnt und die Verträge mit Ende 2009 gekündigt.

Zwar soll jeder niedergelassene Arzt (Krankenhäuser sind von dieser Regelung nicht betroffen) selbst entscheiden können, ob er weiterhin freiwillig zu den bisherigen Konditionen mit der SVA abrechnet, allerdings ruft die Kammer ihre Mitglieder verständlicherweise zur Solidarität auf:

Ein von der SVA beauftragtes Unternehmen ruft derzeit Ärztinnen und Ärzte an und fragt sie darüber aus, wie sie sich in einem vertragslosen Zustand verhalten würden und was sie von der ärztlichen Standesführung halten.
Wir raten Ihnen, die Anrufer abzuwimmeln und NICHT an der Umfrage teilzunehmen! Die SVA hat wieder einmal eine Vorgangsweise gewählt, die untergriffig ist und aus der untersten Schublade stammt. Wir verurteilen diese Maßnahme aufs Schärfste und rufen Sie zu einem solidarischen „Nein“ zu dieser Umfrage auf!

Rund 700.000 Personen sind bei der SVA pflichtversichert. Selbst nach diesem Totalversagen der Erfüllung des gesetzlichen Auftrags besteht keine Möglichkeit, die Versicherung zu wechseln. Den Verantwortlichen scheint das allerdings keine großen Kopfzerbrechen zu bereiten: derzeit sind keinerlei weitere Verhandlungstermine eingesetzt, eine Einigung in letzter Minute erscheint zum jetzigen Zeitpunkt äußerst unwahrscheinlich.

Ich bin kein Verwaltungsjurist, aber eine Frage interessiert mich brennend: wenn eine Krankenversicherung ihrem gesetzlichen Auftrag, die kostenlose ärztliche Versorgung der Versicherten nicht zu gewährleisten, nicht nachkommt, welche Eskalationsmöglichkeiten sind dann vorgesehen? Müsste in diesem Fall der Gesetzgeber eingreifen, oder sollen wir einfach abwarten, bis sich vielleicht nächstes Jahr mal wieder jemand an den Verhandlungstisch bequemt? Da die Krankenkassen in Österreich Körperschaften öffentlichen Rechts sind, kann man wohl nur einmal mehr vom Versagen der Politik sprechen… aber vielleicht zaubert ja der Gesundheitsminister noch die Unternehmer-Wunderpille aus seinem Zylinder.

0 Kommentare
  1. Joe
    Joe sagte:

    Unfassbar!
    Die SVA kommt bei mir gleich nach den Banken. Von den einen bekommt man kein Geld mehr obwohl sie es von der Politik in den arsch geschoben bekommen um es an uns weiterzugeben, von den anderen wird man im Regen stehen gelassen weil sie zu unfähig sind sich zu einigen.

    mfg
    Joe

    • Bertl
      Bertl sagte:

      BRAVO!!!
      Da kann ich dir nur uneingeschränkt beipflichten!!!
      Staatlich befugtes Verbrechertum! Wenn in der Privatwirtschaft dementsprechend gearbeitet und verhandelt würde wäre ein Ende der „Wirtschaftskriese“ nie in sicht!
      LG

  2. gutsyheron
    gutsyheron sagte:

    alternative? die sva einigt sich mit den ärzten zu deren konditionen und hebt dann unsere eh schon überhöhten beiträge an. da dann doch lieber 20% selbstbehalt…. aber ich bin in einer glücklichen lage war die letzten 10 jahre nur zum zeckenimpfen beim arzt und krankenhaus bleibt ja weiterhin „free“.

    aber privater wettbewerb und die möglichkeit eine krankenversicherung zu wählen wäre sicher kein fehler…

  3. Oliver Peter Hoffmann
    Oliver Peter Hoffmann sagte:

    In dem Artikel hat mir ein wesentliches Argument gefehlt: Warum soll ein Arzt mehr Geld bekommen, wenn sein Patient bei der SVA versichtert ist? Genau das hat die Ärzte­kam­mer nämlich gefordert. Die SVA will einfach nur die gleichen Vertragsbedingungen wie die Wiener Gebietskrankenkasse. Was ist daran falsch?

    • Ritchie Blogfried Pettauer
      Ritchie Blogfried Pettauer sagte:

      Nein, so einfach ist’s nicht – ich bin natürlich dafür, dass Ärzte von *allen* KKs für die gleichen Leistungen die gleichen Rückerstattungen bekommen, aber ich find’s auf jeden Fall problematisch, bestehende Leistungskataloge zu kürzen. Das ist halt (wie alles hier) diese historische Last von Beamten-, Bauern-, Arbeiter-, You-name-it-Versicherungen. Macht das gesamte SV-Wesen enorm teuer und unübersichtlich.

      Aber was potentielle Beitragserhöhungen betrifft: nur ein geringer Teil unserer SV-Beiträge geht in Gesundheitsleistungen, der Löwenanteil fließt in die Pensionskassen…

    • franco
      franco sagte:

      Ich möchte nicht wissen, was die obergescheiten Doktoren sagen würden, wenn wir unsere Tarife für sie um 20% erhöhten?

      Wieso soll eine Installateursstunde für Ärzte immer gleichviel kosten, weshalb ein Auto, weshalb ein Kilo Brot?

      Lasst die Leute einmal spüren, was es heißt, ungerecht behandelt zu werden.

      Mein Körper ist nicht anders als der eines ASVG-Versicherten.

  4. Werenfried Ressl
    Werenfried Ressl sagte:

    Ja, eine :thumbdown: S..erei!

    Als Unternehmer könnten wir
    1. am 1. Juni die SVA Beiträge einbehalten
    2. eine diesbezügliche Facebook Initiative starten? (Du hast den Titel ja schon fast vorgegeben mit „Sie unternehmen, die SVA unterlässt…“)
    3. weitere Ideen sammeln?
    4. demnächst eine Gewerkschaft gründen, die sich für EPU einsetzt.

    Wer ist etwa Fachmann/Frau auf dem Gebiet des GSVG-Gesetzes? Hab mal kurz auf jusline.at geschaut, bin aber nicht fündig geworden bei „Rechte der Vertragnehmer“ (gibt es quasi nicht im Gesetztestext…)

  5. thailänder
    thailänder sagte:

    die viel interessantere frage ist doch wie es überhaupt weitergehen mag? überall wird geld gedruckt bis zum abwinken und trotzdem entstehen löcher die keiner mehr stopfen kann. wo führt das hin? IMHO steht nicht nur europa sondern weltweit ein kollaps bevor…

  6. franco
    franco sagte:

    Ich bin dafür, dass wir Selbstständige ab nun Ärzte nicht mehr beliefern sollten oder um 20% höhere Tarife verlangen. Lasst die Doktoren blechen, was das Zeug hält. Von Betriebswirtschaft haben sie ohnehin nur wenig Ahnung.

    Der SVA kann man nur raten, in einen Sub-Vertrag mit den GKKs zu gehen. DAnn kriegen wir 700.000 Leistungen zum ASVG-Tarif und die Ärzte kriegen weniger als vorher.

    PS: Ich habe keinen komplizierteren Körper als ein ASVG-Versicherter.

  7. Topfblume
    Topfblume sagte:

    Echt super Artikel, leider nicht mehr aktuell, aber war trotzdem toll ihn zu lesen. Besonders der Satz gefiel mir super: „aber viel­leicht zau­bert ja der Gesundheitsminister noch die Unternehmer–Wunderpille aus sei­nem Zylinder.“

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