Vom Kult der Amateure

Vom Kult der Amateure

Während die einen unter den allgegenwärtigen Lobpreisungen auf das Web 2.0 verzweifelt Zuflucht vor einem überstrapazierten Begriff suchen, sehen die anderen in Konzepten wie Crowdsourcing, Social Media und Blogosphere einmal mehr den Untergang der westlichen Welt. [erschienen auf oe1.orf.at]

Das Standardargument gegen mediengetriebenen Kulturpessimismus lautet schlicht und ergreifend: wann immer neue Medien im Begriff waren, gesellschaftlicher Mainstream zu werden, warnten Apokalyptiker mit den im wesentlichen gleichen Argumenten: Eskapismus durch Abenteuerliteratur, soziale Vereinsamung durchs Fernsehen… aber die Welt steht trotzdem noch. Der Hut ist alt, aber Andrew Keen trägt ihn stolz und bar jeden Schamgefühls. Denn was der Kulturtheoretiker in seinem Text The Anti Web 2.0 Manifesto darlegt, ist keineswegs fundierte Medienkritik, sondern bloß schlecht kaschierter Kulturelitarismus unter Berufung auf Adorno, der ja seinerzeit gleich eine ganze Musikrichtung (Jazz) für minderwertig erklärte:

The digital utopian much heralded „democratization“ of media will have a destructive impact upon culture, particularly upon criticism. „Good taste“ is, as Adorno never tired of telling us, undemocratic. Taste must reside with an elite („truth makers“) of historically progressive cultural critics able to determine, on behalf of the public, the value of a work-of-art. The digital utopia seeks to flatten this elite into an ochlocracy. The danger, therefore, is that the future will be tasteless.

Bei der Lektüre von Keens Text fragt man sich notgedrungen, warum eigentlich so häufig gerade den Kulturtheoretikern die dringend benötigte Mischung aus Medienkompetenz und Seriosität, also aus bewußter Involviertheit und erlernter Distanz, gänzlich fehlt. Problematisch wird’s insbesondere immer dann, wenn Analytiker den Status Quo zur Conditio sine qua non erheben – also a priori nur jenen Kulturproduktionen, die innerhalb eines bewährten Regelsystems entstehen, „Potential“ (was auch immer darunter verstanden werden mag) zutrauen. Selbstverständlich in gnadenloser Ignoranz der Tatsache, daß gerade jene Künstler, denen man posteriori „Fortschritt“ zuschreibt, im historischen Rückblick Diskurs-Grenzen erweiterten.

Für die a apriorische Unterscheidung zwischen hoch- und minderwertiger kultureller Produktion existiert ein passendes, aber leicht anrüchiges Wort, daher bedienen sich Autoren wie Keen gern einer schein-utopischen Position, anstatt sich ehrlicherweise einfach „konservativ“, also „bewahrend“ zu nennen. Ein weiteres Zitat aus dem unfreiwillig komischen „Manifest“ demonstriert noch deutlicher, woher der Wind der Analyse hier weht:

A particularly unfashionable thought: big media is not bad media. The big media engine of the Hollywood studios, the major record labels and publishing houses has discovered and branded great 20th century popular artists of such as Alfred Hitchcock, Bono and W.G. Sebald (the „Vertigo“ three). It is most unlikely that citizen media will have the marketing skills to discover and brand creative artists of equivalent prodigy.

Es mag ja vieles zu kritisieren geben am Web 2.0, von der Blindheit der meisten User gegenüber immanenter Überwachungsgefahr bis hin zu einer beispiellosen Monopolisierung am Suchmaschinensektor. Die Einstiegshürden und Produktionskosten indes sanken drastisch, die Grenze zwischen Produzenten und Konsumenten wird durchlässiger. Technologisch stellt das Web 2.0 einen gravierenden Schritt in Richtung einer vernetzten Medienwelt, wie sie Bert Brecht in der „Radiotheorie“ und später Vilém Flusser und Marshall McLuhan ausformulierten, dar. Die eigentliche Leistung des Web 2.0 besteht nicht darin, Bürgerzeitungen oder Bürgerfernsehen zu etablieren. Web 2.0 entzaubert für jeden Teilnehmer die Medienrealität: wer selbst eine Zeit lang ein Blog schreibt oder Podcasts aufnimmt, wird nie mehr mit diesem ehrfurchtsvollen Staunen vor der Macht der Medien kapitulieren, sondern ganz einfach viel besser verstehen, was Simulation und Dissimulation bedeuten und wie die massenmediale Strukturen funktionieren. Die marktorientierte Produktionspolitik großer Hollywood-Studios und Major Labels als einzig möglichen Weg der Entfaltung von Kreativität anzupreisen, zeugt von Blindheit gegenüber jeglichen medienökonomischen Gegebenheiten. Doch das sieht der Autor des Web 2.0 Manifests naturgemäß anders:

As always, today’s pornography reveals tomorrow’s media. The future of general media content, the place culture is going, is Voyeurweb.com: the convergence of self-authored shamelessness, narcissism and vulgarity — a self-argument in favor of censorship.

Jetzt wird’s also wieder einmal ernst… denn die Schamgrenze der Menschen fällt, wir brauchen nach Meinung des Autors also dringend mehr Zensur und Kontrolle. Erinnert irgendwie an der Argumentation der guten alten katholischen Kirche im Mittelalter. Paßt hervorragend, daß Keen die 10 Thesen (eine Kurzfassung seines Buches „The Cult of the Amateur“) „THE ANTI WEB 2.0 MANIFESTO (Adorno für Idioten)“ nennt.

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