Schafe

Wer zweimal lügt, dem glaubt man nicht

Derzeit werden sowohl auf EU-Ebene als auch teilweise national verstärkt Anstrengungen unternommen, öffentliche Daten online zugänglich zu machen – es gibt ja auch kaum Gründe, warum ohnehin mit Steuergeld erhobene Informationen der Bevölkerung vorenthalten werden sollten, denn es geht dabei einerseits zum anonymisierte, also nicht personenbezogene statistische Daten, und andererseits um mehr Transparenz im öffentlichen Sektor. Max hat am Barcamp eine sehr gelungene Session über Open Data gestaltet. Bei der anschließenden Diskussion wurde mir schnell klar: obwohl Public Data vorwiegend ein „politisches“ Thema darstellt, gibt es eine auffällige Parallele zu kommerziellen Social Media Präsenzen: wer sein Businessmodell (respektive im Fall der Politik seine Macht) auf Informationsverknappung und Verschleierungstaktik aufbaut, wird mit dem Social Web (respektive mit Open Data) keine große Freude haben.

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So ist beispielsweise in den USA eine lückenlose Offenlegung der Finanzierung von Regierungsprojekte nicht nur üblich, sondern sogar gesetzlich verankert. Wäre eine derartige Transparenz auch in der österreichischen Verwaltung und Politik denkbar? Ich behaupte: im momentanen Zustand unserer informellen Klüngel-, Bünde- und Freunderlwirtschafts-Staats nicht. Ein zu großer Anteil österreichischer Politik lebt eben davon, dass Informationen zwar nicht grundsätzlich geheim, aber eben kaum zugänglich sind. Ob Parteiförderung (Stichwort Spenden), Finanzierung öffentlicher Bauvorhaben (Stichwort Skylink), Bezahlung von Politikern (Stichwort Sonderzulagen), absurde Wahlmodalitäten (Stichwort ORF Stiftungsratswahl exklusiv via Fax) – die Vorstellung, dass plötzlich alle alles wissen, muss für viele Protagonisten hierzulande in der Tat eine horrible Zukunftsvision darstellen.

Public Data Mining vs. Geheimniskrämerei

Und genau hier sehe ich eine ganz starke parallele zum Social Media Marketing: während Buzzword-Rider munter von Dialogorientiertheit und Prosumern daher faseln und behaupten, Social Media eigne sich längst nicht für alle Branchen, liegt der entscheidende Punkt keineswegs in der Art des Produkts oder der Dienstleistung. Im Social Media Bereich bekommen jene Brands, Verkäufer und Dienstleister sehr schnell ein Problem, deren Business-Modell zu einem hohen Grad auf Secrecy, also Geheimhaltung, beruht. Wer hinter seinen eigenen Dienstleistungen und Produkten stehen kann, und zwar sowohl in qualitativer als auch ethischer Hinsicht, wird kein Problem haben, mit seinen Kunden auch im Eskalationsfall in einen konstruktiven Dialog zu treten.

Wer aber Taucher ohne Schutz-Ausrüstung in der südamerikanischen Abfall-Wirtschaft namens Lachszucht elend krepieren lässt, wer seine stylishen Sportschuhe von bis aufs Blut ausgebeuteten Kinderarbeitern nähen lässt, wer Produzenten beschäftigt, die meinen, ihre Mitarbeiter vertraglich zum Verzicht auf Selbstmord verpflichten zu müssen (skurrilerweise so geschehen in jenem Foxcon Werk in China, in dem Apple seine iPads fertigen lässt: anscheinend zogen aufgrund des hohen Drucks immer mehr Arbeiter den Freitod der Fabriksexistenz vor, wenngleich nicht klar ist, wie die genannte Regelung dem abhelfen soll), der wird spätestens dann ein Problem haben, wenn ihn seine Kunden nach dem Grund für seine Entscheidungen fragen.

Weite Teile der Public Relations haben sich in den letzten Jahren auf das Gebiet des sogenannten „Opinion Spinning“ konzentriert: in den 80ern und 90ern mögen geschicktes Spielen auf der massenmedialen Klaviatur und die richtigen Kontakte durchaus manchmal dabei geholfen haben, eine gravierendes Fail kommunikativ zum Erfolg um zu modeln. Aber wenn plötzlich jeder in seinem eigenen sozialen Netzwerk zum Opinion Leader ist, dann verlieren Spin Doktoren schneller ihre Daseinsberechtigung als Faxgeräte.

Genau in diesem Bereich liegt ein riesiges, nachhaltiges Potential von Social Media als Gegengewicht zu den widerlichen Auswüchsen des Turbokapitalismus. Kapitalisten gehen davon aus, dass der freie Markt in der Lage ist, Angebot, Nachfrage und letztendlich auch sinnvollen Umgang mit Ressourcen zu regulieren. Das funktioniert aber nur, wenn Konsumenten eine fundierte Entscheidungsgrundlage, also Zugang zu relevanten Informationen haben. Bio-Qualitäts-Siegel, Ursprungsgarantien – wir wissen mittlerweile, dass das großteils bloß Werbesujets in neuem Format sind.

Social Media schaltet aber langfristig die Mittelsmänner aus, ermöglicht und verstärkt den direkten, ungefilterten Informationsfluss abseits professioneller Gatekeeper. Natürlich, und das war ja der Ausgangspunkt meiner Überlegungen, wird diese neue Situation auch die Politik langfristig vollkommen umkrempeln. Aber ich fürchte, dass dieser Prozess in Österreich noch sehr viel länger dauern wird also anderswo – denn vor Transparenz in öffentlichen Sektor und in der Wirtschaft müssen sich jene, die etwas zu verbergen haben, zu Recht fürchten. Und da haben wir Alpenländer reichlich Kandidaten, wie jeder gelernte Österreicher weiß.

12 Kommentare
  1. Wein und Feinkost
    Wein und Feinkost sagte:

    Sicherlich ist es sinnvoll Public Data Mining in vielen Fällen zu praktizieren. Das Beispiel aus den USA ist sicherlich in vielen EU Ländern ebenfalls ratsam. Die Lobbyisten aus den Alpenländern und hier in Deutschland hätten es zumindest etwas schwerer:):smoking666:

  2. lrj
    lrj sagte:

    Ja, mit Public Data würde sich sicherlich viel verändern. Aber genau aus diesem Grunde wird sich das in Europa sicherlich nicht durchsetzen – oder nur eingeschränkt!

  3. Christian
    Christian sagte:

    Das fände ich auch eine sehr wichtige Entwicklung für Deutschland. Denn wie oft hat man das Gefühl als Bürger, dass einem wichtige Daten und Fakten bei der Entscheidungsfindung vorenthalten werden. Diese kommen meist erst nach Jahren ans Tageslicht, wenn die betroffenen Politiker längst im Ruhestand sind.
    Mit einer viel größeren Transparenz ließe sich auch ein viel größerer Druck seitens der Bevölkerung auf die Politik ausüben, was sicherlich förderlich wäre.

  4. Steve
    Steve sagte:

    Ja!, mit Public Data würde sich sicher­lich viel ver­än­dern. Aber genau aus die­sem Grunde wird sich das in Europa sicher­lich nicht durch­set­zen — oder nur eingeschränkt!

  5. Trierer
    Trierer sagte:

    Die Frage die ich mir in dem Zusammenhang immer wieder stelle: Bei uns in D müssen alle Ausgaben des Staates, Ausschreibungen etc. öffentlich gemacht werden – aber kein Mensch interessiert sich dafür. Klüngeleien kommen oft nur durch Zufälle ans Tageslicht, und die Frage ist: Woher kommt das Desinteresse in der Bevölkerung? Könnte mir vorstellen das es in Österreich ähnlich ist.

    • Ritchie Blogfried Pettauer
      Ritchie Blogfried Pettauer sagte:

      Guter Punkt! Ich denke mir, da geht’s immer um zwei Aspekte: das Veröffentlichen der Zahlen ist die eine Sache, das „Interface“ die andere – Georg Holzer erzählt da immer eine großartige Story von Zahlen über die Kärntner Parteinfinanzierung, die er angefordert hat. Das Dokument wurde mit dem schlechtesten Kopierer mehrmals kopiert und war fast unleserlich… das macht in der Form dann natürlich wenig Sinn. Aber gerade beim strukturierten Durchforsten großer Datenbestände lassen sich wesentliche Teile sehr gut automatisieren.

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