Wie Nokia/Siemens Diktatoren die Totalüberwachung ermöglichen

Wie Nokia/Siemens Diktatoren die Totalüberwachung ermöglichen

Nach außen hin bemüht sich so gut wie jedes Unternehmen, den von Google direkt ausgesprochenen Slogan „Do no evil“ der eigenen Kundschaft glaubhaft zu machen. Und die schöpft normalerweise auch keinen Verdacht – denn während die schöne neue Smartphone-Welt vor lauter B2C Lifestyle glänzt, werden die weniger gut vermarktbaren Geschäfte praktischerweise im B2B Bereich getätigt, weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit.

Ärgerlicherweise erdreisten sich dann aber manchmal investigative Journalisten, die ganze Story zu erzählen – etwa über eine beispiellose, modulare und perfekt an die Bedürfnisse von autoritären Staaten angepasste Überwachungslösung. „Was Nokia/Siemens genau an den Iran geliefert hat, weiß nur Nokia/Siemens selbst. Ganz sicher hat Nokia/Siemens sogenannten Monitoring Centers für die Netzwerke geliefert, die sie eben im Iran aufgebaut haben“, erzählt Quintessenz-Pate und Datenschutz-Guru Erich Möchel dem ZDF im Interview. Menschen erhielten Droh-SMS ist in voller Länge in der ZDF mediathek abrufbar – ich kann nur *dringend* dazu raten, den 12minütigen Clip in voller Länge anzusehen.

Wie Nokia/Siemens Diktatoren die Totalüberwachung ermöglichen

Wir Geeks sähen es ja lieber, würden grün eingefärbte Twitter-Bildchen Regime stürzen und virtueller Protest sich in politischem Wandel manifestieren. Und das tut er sogar, wenngleich auf vollkommen andere Weise, als sich das Otto-Normaltweeper vorstellt. Denn mit Medien wie SMS spielt die Opposition einem Regime in die Hände, das sich dank Nokia/Siemens Technologie auf genaue Ortungsdaten stützen kann. Und in diesem Fall gilt das Argument „wenn’s die nicht machen, tut’s halt wer anderer“ keinesfalls. Warum die unheilige deutsch-finnische Kooperation tatsächlich in Novum am „Überwachungsmarkt“ darstellt, erklärt Erich folgendermaßen:

Daten aus der Telefonie abgleichen, so dass man ein Bild einer Person bekommt, das weit über das Kommunikationsverhalten hinausgeht – das wird dezidiert angeboten. Gut, da wird man sagen: das macht jeder Geheimdienst. Das hat natürlich seine Berechtigung und das machen die westlichen Geheimdienste auch.

Das einzigartige an dieser ‚Intelligence Plattform‘ ist, dass ich noch nie ein derartiges Setup als Produkt angeboten sah. Gewöhnlich wird das ein Einzelteilen zusammengestellt, hier eine Datenbank, da eine Datenbank – etwas Middleware dazwischen, sodass die DBs sich austauschen können. Dann noch eine Analyseeinheit… das sind alles bekannte Technologien. Sie sind nicht trivial, aber sie sind durchaus zu meistern mit einer guten Informationstechnologie bzw. von guten IT-Technikern. Die größeren Geheimdienste haben das alles seit Jahren in „Eigenregie“ gemacht, mit ihrer eigenen Technik – auch aus Geheimhaltungsgründen.

Das weltweite Gros der Geheimdienste stammt aber aus Ländern, die *eben nicht* hoch technisiert sind. Denen standen diese Instrumente bis jetzt nicht zur Verfügung. Sie sind dabei, sich das ebenso einzurichten – und da hilft es, wenn man gleich ein fertiges Produkt kaufen kann, das man noch dazu – falls nicht so viel Geld da sein sollte – in Einzelteilen bekommt. Man kann das Ding dann schön langsam hochrüsten. Und genau so ein Produkt ist diese Intelligence Platform. Sie ist nicht gedacht für das British Government Communication Headquarter, die haben selber das besseres. Und nicht für die NSA, die hat seit noch längerer Zeit was noch besseres. Es ist gedacht für Länder wie Ägypten, den Iran, Kasachstan… das sind Länder, die darauf angewiesen sind. Nokia/Siemens sagte auf meine Anfrage, welche Märkte denn mit dem Produkt beliefert werden sollten: Nahost, Fernost und Europa. In dieser Reihenfolge.

Eigentlich sollte man solche Technologien im Informationszeitalter ebenso strengen Ausfuhrbestimmungen unterwerfen wie Kriegswaffen (ob die dann eingehalten werden, steht ohnehin auf einem anderen Blatt) – doch mir scheint: in punkto Gier nach Überwachungstechnologien unterscheiden sich westliche Demokratien und diktatorische Regime nur unwesentlich.

10 Kommentare
  1. Christian
    Christian sagte:

    Im Endeffekt handelt es sich dabei schon um eine Art Waffe der iranischen Regierung. Es ist schade, dass es so große Unternehmen immer noch nötig haben an solchen Projekten Geld zu verdienen. Wahrscheinlich müsste an der Stelle noch mehr negative PR gemacht werden, damit es sich nicht mehr lohnen würde^^

  2. Webdesig-tobias
    Webdesig-tobias sagte:

    Ethisch fragliches Geschäft. Besonders nachdem in den letzten Jahren alle Unternehmen eine CSR-Abteilung (Corporate Social Responsibility) eingeführt haben um unethischem Verhalten vorzubeugen. Gerade Siemens hat schon mehrfach solche Schlagzeilen produziert (ich erinnere an den Schmiergeldskandal).

  3. Hansi
    Hansi sagte:

    Die nächsten totalitären Staaten auf europäischem Boden werden es bedeutend leichter haben als die DDR damals beispielsweise.

    Wie hätte wohl die DDR ausgesehen mit den heutigen technischen Mitteln. Die Europäische Union ist ja offenbar auch auf einem schlechten Weg hinsichtlich Datenschutz und Bürgerrechten. Sehr bedenklich!

  4. Dave h.
    Dave h. sagte:

    Ich finde es eigentlich eine Unverschämtheit, dass Nokia/Siemens es überhaupt nötig hat eine solche „Waffe“ an solch unverantwortungsvolle Länder zu liefern. Klar das unsere modernen Geheimdienste solche Methoden schon seit Jahren nutzen aber ich glaube (bzw hoffe!) das zumindest unsere Geheimdienste die ganzen Informationen nur zur Schadensbekämpfung nutzen und nicht, um uns damit zu schaden. Wenn man allerdings sieht das nun auch Länder wie der Iran mit diesen Informationen betraut werde soll, dann wird mir Angst und Bange! Mich würde es nicht wundern, wenn Nokia-Siemens es noch bereuen wird, solche Anlagen an diese Länder verkauft zu haben. Im Moment glitzert nur der Dollar in ihren Augen aber es gibt immer ein Erwachen!

  5. hanf
    hanf sagte:

    Ekelhaft dass die Waffen der Opposition jetzt gegen sich benutzt werden und dass ausgerechnet einer deutsche Firma die Technologie dafür liefert. Die müssen jetzt wählen ob das Telefon zu benutzen und damit ins Fadenkreuz der Ermittler zu geraten oder gar keine Kommunikationsmittel benutzen aber das wird auch nichts bringen.

  6. Donna
    Donna sagte:

    Unfassbar. Mit stehen die Haare zu berge wenn ich sowas lese. Aber ich denke in diesem Bereich ist das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht. Es bleibt abzuwarten, was den großen Firmen noch so einfällt.

  7. Ulla
    Ulla sagte:

    Es ist wirklich unfassbar wenn man hört womit große und etablierte Firmen ein großteil ihres geldes verdienen. außerdem erfahren wir als kleine endverbraucher auch wahrscheinlich immer nur die hälfte dessen was da wirklich hinter verschlossenen türen abläuft.

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