LinkedIn Algorithmus Update: Dwell Time / Verweildauer

LinkedIn Dwell-Time Update: Der neue Algorithmus (Juni 2020), die Verweildauer & 1 Experiment

Unbemerkt von einem großen Teil der Nutzer hat LinkedIn Ende Mai 2020 das wohl gravierendste Algorithmus-Update der Plattform-Geschichte live geschalten: Die Verweildauer fließt nun als relevantes Signal in die Auswahl der Newsfeed-Beiträge ein. Dieses Dwell-Time-Update hat je nach Vorgeschichte eines Accounts drastische Auswirkungen auf die Reichweiten-Zahlen. Weil LinkedIns Datengurus aber wieder mal alles richtig gemacht haben, fällt aber primär der „irrelevante“ Teil deiner Views weg. Warum du deine Content-Strategie dennoch sofort anpassen solltest, erfährst du in diesem Beitrag.

Vor genau einer Woche habe ich auf das brandneue Algorithmus-Update hingewiesen:

Dwell-Time verändert die Regeln im Spiel um die Aufmerksamkeit drastischer als jede vorige Änderung und stellt aus Sicht von LinkedIn einen genialen Schritt dar, um die Skalierbarkeit auch in den nächsten Wochen und Monaten sicher zu stellen. Eine ausführliche Erläuterung des Dwell-Time-Updates haben Siddharth Dangi, Johnson Jia, Manas Somaiya und Ying Xuan am Developer Blog veröffentlich. Understanding dwell time to improve LinkedIn feed ranking erklärt, warum die Aufenthaltsdauer pro Status-Update eine so wichtige Rolle spielt:

Bisher setzte das Ranking-Modell auf aktive Nutzer-Interaktionen wie Klicks oder Likes. Damit fallen allerdings all jene Nutzer durch den Rost, die zwar interessiert, aber eben nur passiv mitlesen. Ein Klick allein sagt ohne Kontext wenig aus. So könnte jemand einen Artikel öffnen, feststellen, dass der Inhalt nicht interessant ist und den Beitrag sofort wieder schließen. Wir nennen das „Click Bounces“. Kommentare und Anmerkungen zu Shares könnten zwar mehr Informationen liefern, sind aber schwieriger zu interpretieren.

Um diese Unzulänglichkeiten des Algorithmus zu kompensieren, haben wir uns die aggregierte Verweildauer pro Status-Update näher angesehen, um daraus relevante Signale für den Feed abzuleiten. Denn jedes Update generiert zwei Arten von Dwell-Time: Erstens die „Dwell-Time on the feed“. Sie beginnt zu laufen, sobald mindestens die Hälfte eines Status-Updates sichtbar ist, während ein Mitglied durch den Feed scrollt. Zweitens gibt es die „After-Click Dwell-Time“, also jene Zeit, die nach dem Klick mit dem jeweiligen Update verbracht wird. (freie Übersetzung des Autors)

Bei diesem genaueren Blick fiel dann auf, dass sich mithilfe von Bayes Theorem tatsächlich Skip-Wahrscheinlichkeiten berechnen lassen. Diese Formel aus der höheren statistischen Mathematik dient dazu, die Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses in Abhängigkeit der Kenntnis früher Faktoren zu berechnen. Klingt kompliziert? Ist es auch:

Die Bayes'ssche Statistik hilft bei der Berechnung von P(skip).

Herunter gebrochen auf unsere pragmatischen Ansprüche bedeutet das: LinkedIn kann P(skip), also die Wahrscheinlichkeit, dass du mein nächstes Status-Updates „überscrollst“ berechnen. Liegt das Ergebnis unter einem bestimmten Schwellwert, wird dir mein Inhalt gar nicht erst angezeigt. Aus Betreiber-Sicht also ein weiterer Schritt in die bekannte Richtung: Möglichst relevante, möglichst personalisierte Inhalte statt virale Reichweite für wenige.

Natürlich ersetzt P(skip) bzw. das Dwell-Time-Update das vorige Datenmodell nicht zur Gänze, aber die in den letzten Jahren bereits schleichend abgewerteten Likes sind tatsächlich völlig irrelevant, wenn sie „im Vorüberscrollen“ verteilt werden. Echtes Engagement ist Trumpf, und für alle Arten von automatisierten Engagement-Pods ist dieses Algorithmus-Korrektur erfreulicherweise eine mittlere Apokalypse.

Laden deine Status-Updates zum Verweilen ein?

Laden deine Status-Updates zum Verweilen ein? Das wird in Zukunft eine der entscheidenden Fragen bei der Planung, Konzeption und dramaturgischen Umsetzung sein.

Hat P(skip) abgesehen von den Automatisierungs-Horrorclowns auch Auswirkungen auf „normale“ Nutzer? Wenn du bisher nützliche Inhalte nahe an der Zielgruppe gepostet hast, dann wirst du durch dieses Update folgende Veränderung bemerken:

Eine Social Signals (Likes, Kommentare, Shares) bleiben in absoluten Zahlen gleich, die Reichweite sinkt deutlich bis drastisch. Das resultiert natürlich in einer gravierend höheren Engagement-Rate.

Die existiert aber eben nur am Papier bzw. am Bildschirm: Die Reichweite, die du verloren hast, waren genau jene Follower, die sich vorher schon nie für deine Inhalte interessiert haben, sie aber trotzdem angezeigt bekamen. Du verlierst schnelle Liker, Speed-Scroller und alle die Leute, für die bisher deine Signals ausgereicht haben, die sich aber dann doch nie intensiver mit deinen Inhalten beschäftigt haben.

Die Verweildauer hängt davon ab, ob nach dem Scrollen eine Interaktion erfolgt.

Die Verweildauer hängt davon ab, ob nach dem Scrollen eine Interaktion erfolgt.

Ist das gut oder schlecht? Das macht grundsätzlich lediglich einen metrischen Unterschied, aber den musst du eben kennen, um deine Zahlen weiterhin korrekt zu interpretieren. Denn ich kenne mehr als einen B2B Social Media Manager, der sich auf die gesunkenen Views und die scheinbar gestiegene ER keinen Reim machen konnte. Das Update betrifft übrigens persönliche Accounts und Company Pages gleichermaßen.

Wie muss ich jetzt meine Content-Strategie anpassen? Du musst alles in deiner Macht Stehende (drastische Formulierung für mehr Drama!) tun, um die Dwell-Time zu erhöhen. Also für die Zielgruppe nützliche UND möglichst spannende Updates mit genialen Scroll-Stoppern, um nicht zu sagen, Cliffhangern produzieren. Was das in der Praxis bedeuten könnte, erkläre ich dir anhand meines jüngsten Algorithmus-Experiments.

Der Algorithmus & Ritchie: Ein Experiment zu Dwell-Time (Verweildauer)

Die einzige Art, wirklich verlässliche Erkenntnisse über den Algorithmus zu gewinnen, sind eigene Experimente. Aber wie schon die alten chinesischen Philosophen wussten:

Du kannst nicht zweimal in denselben Newsfeed posten.

Da die wenigsten von uns einen völlig identischen Zwillingsaccount haben, ist es unmöglich, Variationen desselben Postings zu „testen“. Erstens müssen einige Stunden zwischen zwei Updates liegen, wenn du dich nicht selbst kannibalisieren willst, und zweitens räsonieren auch spannende Themen eben nur einmal in der Zielgruppe.

Die verbleibende Möglichkeit bezeichne ich gerne als „serielles Testen“: Da einzelne Postings in Sachen Reichweite und Conversion wenig aussagen, interessieren uns in der Regel nur die Durchschnittswerte, die das Analysetool Shield aggregiert auswirft. Beim seriellen Testen versuche ich, gezielt verschiedene Posting-Typen miteinander zu vergleichen, im konkreten Fall:

  • Foto-Posting mit ausführlichem Text
  • Text-only Posting
  • 3-Minuten-Video
  • Dokument-Posting

Den Typ Gallery habe ich weglassen müssen, da letzte Woche kein passendes Thema zur Hand hatte. (Galerien machen meiner Meinung nach nur Sinn, wenn sie eine aufbauende Geschichte erzählen, bei der die ersten drei sofort sichtbaren Bilder neugierig machen und zum Weiterklicken animieren – gerade im Hinblick auf Dwell-Time ein garantiert sehr starkes Format.

Wie bereits in der Einleitung erwähnt nutzt Dwell-Time keine fixen Thresholds: Dass die Verweildauer – Interesse vorausgesetzt – mit der Posting-Länge steigt und dass Kommentare ebenfalls zu einem längeren Aufenthalt führen, ist klar. Das sagen die Autoren im Beitrag auch klar: Derselbe T(skip) Grenzwert funktioniert für alle betrachteten unterschiedlichen Posting-Typen:

Der Skip Threshold ist für alle LinkedIn-Postingtypen gleich.

Was mich vor allem interessiert hat, ist der Faktor Interaktion (Engagement Rate, im Folgenden als ER bezeichnet) im Vergleich zum Faktor Verweildauer. Denn das ist der Dreh- und Angelpunkt des Updates: Natürlich spielt die ER nach wie vor eine große Rolle, aber wie hoch ist der Einfluss der Verweildauer „inaktiver“ Nutzer?

Die Ergebnisse meiner kleinen Testreihe sind aus den genannten Gründen mit Vorsicht zu genießen, aber dennoch erschreckend eindeutig:

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  1. Der große Gewinner des Updates ist der Posting-Typ Dokument, der bisher eher ein Schattendasein geführt hat. Wenn du Scroll-Stopper und CTA richtig einsetzt, dann kann ein großer Teil der Zielgruppe gar nicht anders, als weiterzublättern. Das heißt NICHT, dass du zukünftig jedes Update in ein PDF-Korsett zwingen sollst. Dramaturgisch klug eingesetzt sind Dokumente aber aktuell DIE Geheimwaffe zur Steigerung der Reichweite.
  2. Vergleichsweise schlecht schneiden in der neuen Bewertung Bild/Text-Postings ab: Der häufigste Posting-Typ eignet sich nun mal hervorragend zum Überfliegen. Der so wichtige Scroll-Stopper und das Auslösen des „See-more-Reflexes“ sind hier das Mittel der Wahl, um die inaktiven Leser zu überdurchschnittlicher Verweildauer zu bewegen. Dementsprechend gewinnen auch auf Non-Link-Postings „einschlägige“ CTAs nochmals an Bedeutung. In erster Linie die Aufforderung zu kommentieren, ob implizit oder explizit.
  3. Bei Text-Only-Postings konnte ich keinerlei Veränderung feststellen. Bemerkenswert ist hier allenfalls, dass mein geschätzter niederländischer Kollege kürzlich den Test eines neuen Layouts bemerkt hat, bei dem die ersten Zeilen deutlich größer und vor hellgrauem Hintergrund dargestellt werden.LinkedIn testet derzeit ein neues Format für Nur-Text-Updates.
    LinkedIn testet derzeit ein neues Format für Nur-Text-Updates. Ob und wann es für alle Nutzer ausgerollt wird, weiß nur Jeff Weiner. ;).

    Ob uns LinkedIn zukünftig auch mit wählbaren Hintergründen á la Facebook beglückt? Das könnte Text-Only-Updates zumindest kurzfristig Aufwind verschaffen.

  4. Wenig Veränderung im Vergleich zu vorher konnte ich beim Video feststellen: Hier scheinen die klassischen 3-Sekunden-plus-Views in Kombination mit der ER eine deutlich größere Rolle zu spielen als die gesamte Dwell-Time. Ein Video, das von einem höheren Anteil der Nutzer überdurchschnittlich lang oder gar bis zum Ende angesehen wird, garantiert überdurchschnittliche Reichweite. Auskunft über diese Ratio geben die neuen Video-Statistiken, die ich in der #LinkedInShow #41 vorgestellt habe.
  5. Meine Haupt-Erkenntnis aus den praktischen Dwell-Time-Änderungen: Der Verlust an Reichweite ist eine gute Sache und spart uns allen unnötige Feed-Zeit. Für Content-Creators und alle ambitionierten Content-Strategen wird die Status-Update-Dramaturgie noch wichtiger als bisher.
    Es reicht nicht mehr, „nur“ nützliche Informationen für die Zielgruppe zu posten. Du musst sie auch so aufbereiten, dass sie ersten Aufmerksamkeit erregen und zweitens zum Interagieren in jeglicher Form einladen.

    LinkedIn entwickelt den Algorithmus rasend schnell weiter. Dwell-Time ist ein Versuch, das Ziel von mehr Relevanz zu erreichen. Wenn das gelingt, werden in naher Zukunft immer detailliertere Mikro-Auswertungen ins Ranking einfließen. Für einen alten SEO-Bären sind die Parallelen zu Google unverkennbar: Bei der Suche spielten früher mal die Backlinks eine tragende Rolle, mittlerweile sind es die User Signals. Je leistungsfähiger die Datenmodelle werden, desto feingliedriger die Modelle: Konsequent gedacht bedeutet das: Content bleibt König.

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Also doch alles beim Alten? Jein! Die Einsätze werden höher, die Zahl der aktiven Publisher wird weiter steigen. Ich sag mal so: Wenn deine Updates Mehrwert bringen UND zum „Spielen“ einladen, dann bist du in den nächsten Monaten auf der Siegerstraße. Wenn du mehr darüber wissen möchtest, dann buche mich für einen Content-Strategie-Workshop / ein Coaching oder melde dich für dein kostenloses Strategiegespräch an.

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