Blogistan Panoptikum KW38 2009
Soeben noch auf der Futura-Showbühne, und schon wieder mitten im Rückblicken: in den letzten drei Tagen war die Gadget-Dichte bei der größten österreichischen Elektronik-Fachmesse selbst für meine Verhältnisse ungewohnt hoch – eine Reihe von Podcasts folgt in den nächsten Tagen. Aber wir sind ja nicht hier, um nach vorne zu blicken, sondern es geht… nach hinten los: sieben Tage nach hinten, um genau zu sein. Denn in der Blogosphäre geht Unheimliches vor: plötzlich kann man mit Twitter telefonieren, Nintendo Games im Browser spielen und Zeitungen, die aussehen wie Zeitungen, online lesen.
The Internet didn’t steal the audience, we lost it.
Während die Verleger (und auch die Musikindustrie) hierzulande noch denjenigen beschimpft und für ihren Misserfolg verantwortlich macht, den sie eigentlich tätscheln und hätscheln sollte, ist man in the US of Ä wiedermal einen Schritt weiter. Michael Skoler von der Nieman Foundation for Journalism der Harvard University hat sich damit beschäftigt, warum die Leser/Seher den Mainstream Medien abspenstig geworden sind – und wie man sie gleichzeitig via Social Media zu Usern der eigenen Angebote machen kann:
Only the savviest of journalists are using the networks for the real value they provide in today’s culture—as ways to establish relationships and listen to others. The bright news organizations and journalists spend as much time listening on Twitter as they do tweeting.
Wie weit Journalisten hierzulande davon noch entfernt sind, zeigt ein Blick in die Followerlisten der „twitternden“ Reporter: Die meisten folgen fast ausschließlichen ihren Berufsgenossen. „Kollegenorientierheit“ heißt der Fachausdruck für diesen journalistischen Zugang, in dem es eher darum geht, die Kollegen mit dem eigenen Fachwissen zu beeindrucken, als sich an der Zielgruppe zu orientieren. Nun denn, liebe twitternde Journalisten in Österreich – lernt mal schnell dazu, sonst finden eure kleinen Plänkeleien bald unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt!
Dein TwitterFon macht Ring
Jajah launchte eine Telefonlösung für Twitter namens JAJAH@call, wie thenextweb berichtet:
You’ll be able to make phone calls via Twitter free of charge to anyone in the world, so long as they follow you back and have JAJAH accounts.
@calls are made without revealing your number and without needing to know the number of the person you wish to call – all you need is their Twitter username.
Klingt zu gut, um wahr zu sein? In der Tat könnte Jahjah damit ein großer Wurf gelungen sein, zumindest solange es den Providern weiterhin gelingt, die technisch unbegründete Trennung zwischen Sprach- und Datentelefonie weiter aufrecht zu erhalten. Ein Gespräch zu starten ist in etwa so schwierig, wie ein Tweet abzuschicken:
To make a call simply send a tweet with „@call @username“ where the ‚username‘ is the Twitter name of the person you wish to call. If that person follows you on Twitter, a free two-minute call – the verbal equivalent of a Tweet – will be initiated.
Klingt spannend, ich werd das sicher demnächst ausprobieren – vor allem praktisch für kostenspielige Auslandstelefonate.
Nintendo Games im Browser spielen
Stan Schroeder weist auf Mashable auf eine großartige Zeitvertreibs-URL hin: mit Ben Firshmans JSNES Simulator kann man eine Reihe von älteren Nintendo-ROMs im Browser spielen – die Emulation läuft komplett in JavaScript. Interessant nicht nur als Zeitvertreiben, sondern auch als JIT-Compiler Kraftprobe. Und die ergibt erstaunliche Ergebnisse:
Yes, it works in Firefox (Firefox) 3.5 and in Safari (Safari) 4, but thanks to its JavaScript optimizations, it runs about 10 times faster in Chrome.
Das entspricht eigentlich ganz meinen Erfahrungen mit dem aktuellen 3.5er Feuervogel, der nicht nur im Vergleich zu Chrome, sondern sogar zum 3er-Vorgänger unglaublich lahmt. Ich hoffe, dass die FF-Entwickler die Stabilitäts- und Performanceprobleme in den Griff bekommen, denn aufgrund der Add-On Vielfalt ist Firefox für Webprofis nach wie vor unersetzlich.
Total bimedial: Am Punkt
Persönliches Highlight der Woche war der Launch des neuen Diskussionsformat „Am Punkt“ auf ATV und damit verbunden der erste Einsatz für ein weiteres Datenschmutz-Linzerschnitten-und auch Subnet Gemeinschaftsprojekt. „Am Punkt“ ist das erste bimediale Format eines österreichischen Fernsehsenders und dank Subnet/Michi Kamleitner auch das erste Format mit einem Facebook Livestream. Das Prinzip ist einfach: Auf dem Weblog blog.atv.at/ampunkt wird montags ein Thema für die Sendung veröffentlicht. Von diesem Zeitpunkt an können User/Seher Fragen stellen; per Mail (ampunkt@atv.at), via Video, Twitter oder Facebook. Während der Live-Sendung kommt noch der Facebook Livestream hinzu, der ebenfalls am Blog eingebunden ist. Sensationelles Ergebnis der Premiere: Mehr als 800 User-Kommentare über die verschiedenen Feedback-Kanäle – und ein Marktanteil von über 5 Prozent bei der eher fernsehunwilligen Zielgruppe der 12 – 29-Jährigen. „Am Punkt“ gibt’s immer mittwochs um 21.50 Uhr auf ATV.
Vertrauen ist keine Erfindung des Social Web
In Old School vs. New School Marketing beschreibt Lisa Barone eine lehrreiche Konversation mit ihrem Vater, dem sie einige Social Media Marketing Bücher geschickt hatte::
After reading the books, he called me this morning. To yell at me. In Italian.
What the hell was wrong with me? Why was I insulting him? Did I think he was an idiot? He’s a successful business man. He knows all about trust and customers and building relationships and running a small business. He had been doing it for years. The information I sent him was nothing new. Why haven’t I learned to cook yet?
Fazit des Artikels: Vertrauen war schon immer der wichtigste Erfolgsfaktor, allerdings trägt das Internet den Word-of-Mouth Effekt weit über geographische Grenzen hinaus:
The basic principles of business and marketing haven’t changed. However, that doesn’t mean people are any better about implementing them. Today’s empowered consumer means that „the basics“ are more important than ever. Because now if someone doesn’t like you, it’s not just them and their three friends that hear about it. We all hear.
Big G News: Google kauft reCAPTCHA und launcht Fastflip
Die allgegenwärtigen Captchas nerven Internet-User jeden Tagen – und sind doch eines der wenigen probaten Mittel gegen die total Ver-Spam-Bottung des Internet. Das populäre und von vielen Third-Party Webmastern eingesetzte reCAPTCHA System zeichnet sich durch Crowd-Sourcing-Mehrwert aus, die User greifen OCR-Software bei schwierigen Fällen sozusagen unter die Arme:
But there’s a twist — the words in many of the CAPTCHAs provided by reCAPTCHA come from scanned archival newspapers and old books. Computers find it hard to recognize these words because the ink and paper have degraded over time, but by typing them in as a CAPTCHA, crowds teach computers to read the scanned text.
Das Google sich nun reCAPTCHA einverleibt hat, ist nur konsequent – der Mehrwert für Google Books ist gewaltig. Und wo wir schon beim Thema Papier sind: ebenfalls vergangene Woche launchte Google offiziell den neuen Newsreader Fastflip:
Fast Flip is a new reading experience that combines the best elements of print and online articles. Like a print magazine, Fast Flip lets you browse sequentially through bundles of recent news, headlines and popular topics, as well as feeds from individual top publishers.
[…]
To build Google Fast Flip, we partnered with three dozen top publishers, including the New York Times, the Atlantic, the Washington Post, Salon, Fast Company, ProPublica and Newsweek. These partners will share the revenue earned from contextually relevant ads. This gives publishers an opportunity to introduce new readers to their content. It also tests our theory that being able to read articles faster means people will read more of them, driving more ad revenue to publishers.
Auffällig ist, wie stark sich Fast Flip an konventionellem Print-Layout orientiert – und noch bemerkenswerter finde ich, dass traditionelle Verlagshäuser im Taumel des Niedergangs sich wohl langsam mit der Vorstellung abfinden, zukünftig als Content-Generatoren mit Affiliate-Beteiligung zu überleben, bis sie dann endlich von Google gekauft werden :mrgreen:
Details zum neuen Twitter ReTweet-API
Wir haben bereits darüber berichtet, dass Twitter die bislang „informelle“ ReTweet Funktion (also das Kennzeichnen von weitergeleiteten Tweets mit RT, quasi ein Pendant zum E-Mail Forward) in die nächste API-Version als Core-Feature integrieren wird. CNET News kennt einige Details zur Implementation. Besonders spannend: der ReTweet-Faktor könnte sich zu einer Art Pagerank-Äquivalent entwickeln – und bei mehr als 100 ReTweets gibt’s einen Cut-Off:
What’s interesting is that the new format, assuming that this is how the timeline ends up looking, can provide a quick, one-glance way to see just how influential a given Twitter user or individual tweet is, adding a new dimension to measuring Twitter influence beyond the follower count. If you see a lot of little retweet icons, for example, you might stop and take a closer look at a tweet (or the user behind that tweet) that you might otherwise have skimmed past.
What’s also interesting is that it looks like retweet counts get cut off at 100, with higher ones displayed as simply „100+.“ I’m guessing that, say, CNN Breaking News generally gets a lot more than that.
Wie werde ich am häufigsten ge-re-tweet-et?
Gespannt wartet die Twitteria bereits auf die Implementierung des neuen „Retweet“ Features auf Twitter. Erste Einblicke gibt es bereits (siehe vorigen Beitrag) – und auch eine gewisse Retweet-Müdigkeit bei dem einen oder anderen Twitteruser lässt sich nicht von der Hand weisen. Die Karrierebibel hat sich diese Woche mal Retweet-Statistiken genauer angesehen und den besten Zeitpunkt ausfindig gemacht, um einen Retweet-werten Tweet auszusenden: Immer mittwochs, gegen 17 oder 22 Uhr. Und dazu gibt’s noch folgende Tipps:
- Schreiben Sie keinen Eintrag, der länger ist als durchschnittlich 120 Zeichen (140 ist das Maximum bei Twitter). Grund: Die anderen brauchen noch Platz für den ReTweet-Kopf: RT @IhrName.
- ReTweeten Sie selbst. Wer sich an der Mundpropaganda nicht beteiligt, kann auch nicht auf eigenen Tratsch hoffen. Übertreiben sollten Sie es aber auch nicht damit.
- Wenn Sie retweetet werden möchten, sollte Ihr Eintrag auch einen Nutzen bieten. Ob Humor, Erkenntnisse oder eine interessante Fundstelle im Netz – alles ist erlaubt. Nur keine Selbstpreisungen.
.
Comicempfehlung: Ulli Lusts Autobiographie
„Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“ heißt der autobiographische Comic meiner lieben Freundin Ulli Lust. Und im Gegensatz zu uns Normalsterblichen hat Ulli vor allem eines: etwas zu erzählen. Ach ja, und auch das Talent, diese Erzählungen kunstvoll in Worte und Bilder zu fassen. Mit 17 Jahren setzte sich die damalige Punkerin Ulli mit einer Freundin per Autostopp für zwei Monaten nach Sizilien ab und lernte dort das Leben von seinen schönen und auch sehr unschönen Seiten kennen. Mafia, harte Drogen, Vergewaltigung und falsche Freunde inklusive. 25 Jahre später hat sie diese Reise in einer Comic Autobiographie festgehalten, von der die FAZ meint, er sei eine Sensation.
Eine Leseprobe gibt’s im PDF-Format, Ullis elektronischer Comicverlag ist unter Electrocomics.com zu finden, bei Amazon kann man bereits vorbestellen
Foto der Woche: Checking the Hood
Laertes hat Oola auf ihrem Wachtposten geknipst. Dass Hunde aufmerksam ihre Umgebung studieren, ist nicht weiter außergewöhnlich – die Sitzposition dagegen durchaus:
Ritchies Videos der Woche
Diese Woche konnte ich mal wieder nicht entscheiden – zuerst mal zum Ernst des Lebens: Das AdWords System ist weder ein Buch noch trägt es sieben Siegel – allerdings fällt es Anfängern nicht gerade leicht, die Entstehung des AdRanks zu verstehen, der einen gravierenden Einfluss auf den Klickpreis hat. Dieses Video beseitigt alle Klarheiten: Googles Chefbuchhalter Hal Varian erklärt, wie die Ad Auctions funktionieren: ein Must-See für jeden AdWords-Nutzer!
Noch unterhaltsamer: Facebook Manners and you. Großartiges Tutorial über Beziehungs-Dos and Don’ts im Stil von 50er-Jahre Benimmfilmchen:
Lesetipps der Woche
- Nicht unbedingt zum Lesen, aber dafür zum Angucken und verwenden: Six Revisions hat 22 „Awesome Adobe Air Applications for Designers“ zusammengestellt – nicht alle sind Awesome, aber Freeware-Freunden finden durchaus einige Schmankerl.
- Auf 3rd Party Betreiber angewiesen zu sein, kann sich schnell als Bumerang erweisen – Andy Oram argumentiert am O’Reilly Radar ausführlich für dezentralisierte Social Networks.
- Gefundenes Fressen für Geeks mit Faible für historische Forschungen: die Geschichte der augmentierten Realität
- Das Weiße Haus stellt einen Social Media Archivar ein – Mashable kennt die Job Description.
Und damit sind wir auch schon wieder am Ende unseres Rückblicks angelangt – vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Nächste Woche werden auf datenschmutz die Gewinner der Albertina-Führung und des Herzlos-Krimis bekannt gegeben – bleiben Sie dran! Linzerschnitte und datadirt wünschen einen wunderschönen Restsonntag, wir lesen uns morgen.
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