Gerümpeltotale und Feature-Überfrachtung

Gerümpeltotale und Feature-Überfrachtung

Helge hat kürzlich den guten allen Fachbegriff Gerümpeltotale auf einige Web 2.0 Communities umgemünzt. Featureüberfrachung und I-want-it-all führen zur Ablenkung von den wesentlichen Kern-Features und machen viele Seiten unnötigerweise zu plumpen Kolossen – ein Beobachtung, der ich mich nur anschließen kann! Helge schreibt:

Im Filmbusiness gibt es ein böses Wort: Die Gerümpeltotale. Es bezeichnet das Dilemma des Kameramanns, dem nur die Totale bleibt, um all das Gerümpel ins Bild zu kriegen, mit dem der unerfahrene Regisseur das Set überladenen hat.
Auch im Internetbusiness ist die Gerümpeltotale allgegenwärtig: Weil sich die Macher eines Web-Dienstes nicht zu einem klaren Fokus entschließen können oder nicht auf die Attraktivität der Grundfunktion vertrauen (manchmal zu Recht), überladen sie ihn mit periphären Features.

Dabei war doch schlank und usable irgendwann mal eine der Prämissen des zweipunktnulligen Web – die Konzentration auf das Wesentliche ist dem überflüssigen Detail sowieso allemal vorzuziehen, auch wenn ich mit Helge nicht in allen Punkten übereinstimme: sowohl Salzburg.at als auch Vienna.at positionieren sich als Full-Service Portale, und von solchen Generalisten erwarte ich mir durchaus eine breites Spektrum an stadtrelevanten Inhalten. Dass das closed garden Konzept allerdings nur bis zu einem gewissen (bei netzaffinen Usern sehr geringen) Grad funktioniert, ist bekannt – die Aussage des zuständigen Marketing-Managers ist in dieser Hinsicht also durchaus optimistisch:

wir bieten mit Salzburg24 alles aus einer Hand.

Beim österreichischen Web 2.0 Startup Alpengluehen.com dagegen hatte ich den gleichen Eindruck wie Helge: eine Mischung aus myspace, Partnerbörse und so ziemlich allen Online-Services, die man sich vorstellen kann, halt eben ein wenig schlechter umgesetzt als anderswo. Ich war ja einige Monate redaktionell für das von T-Mobile (damals: max mobil) finanzierte powderstorm.com Portal redaktionell zuständig. Seit die Skate-/Snowboard-Seite dank des Sponsoring-Schwerpunkt-Wechsels offline ging, sind vollständige Lawineninfos gar nicht so leicht zu finden – hier leisten die glühenden Alpen hervorragende Arbeit, wie auch Georg Holzer feststellt. Dennoch denke ich keineswegs, dass eine themenzentrierte Community (das s-Wort lass ich extra weg, denn wie soll denn eine non-social-community aussehen?) unbedingt das gesamte Feature-Portfolio anbieten muss – auch wenn Alpenglühen optisch durchwegs eigenständig und auch noch in hübschem Kleidern (aber das ist immer Geschmackssache) daherkommt.

Das dritte Kandidat, das deutsche Newsportal Der Westen, findet Helge dagegen durchwegs gelungen. Für die Konzeption der Plattform zeichnet die bekannte deutsche Bloggerin Lyssa aka Katharina Borchert verantwortlich, für die technische Umsetzung ist Dieters Agentur Knallgrau zuständig. Der Sprung von der „wilden“ Blogosphäre in das kontrollierte WAZ-Universum endete durchwegs nicht mit sanfter Landung: Lyssa musste viel Kritik dafür einstecken, dass sie das tut, was sie verdammt gut kann – von der „Peitschen Borchert“ war da gleich mal die Rede. Dabei dachte ich, der Kübel Mist nach wirtschaftlichem Erfolg sei eine geradezu genuin östrreichische Erfindung. Ich persönlich konnte mit ihren Alltagsbeobachtungen und den halblustigen Sex-in-the-City Kolumnen („Männer, macht euch doch mal die Mühe, meine Klitoris zu suchen.“) nie viel anfangen – aber die Blogosphäre lebt nun mal zu einem hohen Grad von hochgradiger Subjektivität. DerWesten ist übersichtlich, regional und gut benutztbar, da hat Helge völlig recht: aber innovativ? Eine regionalisierte Newsplattform mit 20 Redakteuren? Ich hab die Entwicklung nicht besonders extensiv verfolgt, aber das Verhältnis von redaktionellem Content zu Kommentaren stellt sich für mich genauso dar wie bei jedem professionellem Online-Medium… saubere Arbeit, aber so spannend wie die Österreich Bild.

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