Influencer, Werbung und die Grenzziehung zu Public Relations.

Werbung, PR & Influencer Marketing: Schlaue Schummler bevorzugt? [Extradienst Interview]

Ende letzten Jahres veranstaltete die DGPuK (Deusche Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft) eine gemeinsame Tagung der Fachgruppen PR und Werbung zum Thema Das Verhältnis von Public Relations und Werbung Unterschiede – Gemeinsamkeiten – Grenzziehungen. Bei der Podiumsdiskussion „Practice meets Science“ diskutierte ich mit Prof. Gabriele Sieger, Gabriele Faber-Wiener, Prof. Sabine Einwiller und Prof. Roland Burkart über die praktische Ausgestaltung besagter Grenzen. Im Anschluss an die Veranstaltung interviewte mich Karin Martin für die aktuelle Ausgabe des Extradienst, hier die ungekürzte Fassung unseres Gesprächs.

Kartin Martin: Und ewig knurrt das Murmeltier: Ist die Grenzziehung zwischen PR und Werbung auf Ihrer Sicht als Praktiker noch zeitgemäß?

Ritchie Pettauer: Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust“ – Eigentlich hat Opa Goethe damit schon so ziemlich alles zum Thema gesagt. PR und Werbung ist ja auch sehr meta – das sieht man unter anderem daran, dass Unternehmen PR für ihre Werbung machen. Nichts anderes ist ein „Codes der Zusammenarbeit mit Influencern“. Natürlich ist Transparenz der Obfuskation vorzuziehen. Als Kommunikationsforscher sehe ich den Betriff „Content Marketing“ auch als Label für die angesprochene Verschmelzung. Als Online Marketing Berater weiß ich, dass gerade im SEO-Bereich Transparenz oft geschäftsschädigend wäre. (Google verbietet in seinen AGBs die Vermietung von Links. Wer das dennoch tut, riskiert, aus dem Index zu fliegen und macht es daher heimlich.) Fasst man die letzten 20 Jahre zusammen, kann man aber getrost sagen: teil-algorithmisch gesteuerte digitale Kommunikation bevorzugt schlaue Schummler.

KM: Inwiefern war die Abgrenzung immer schon schwierig?

RP: Aus eigener Erinnerung: Banken und Apotheken haben ja früher so Kinderzeitschrift produziert. Medi&Zini und so Sachen. Die haben sich das Format Medium und dessen Glaubwürdigkeit quasi zu eigen gemacht. Das war sozusagen der Beginn einer mehrere Generationen dauernden Abhärtung gegen Werbung. Millenials brauchen keinen Werbeblocker, der ist sozusagen schon synaptisch im Benutzer angelegt. Aber ich schätze, die Abgrenzung hat begonnen eigenwillig zu werden, als der erste Experte gegen Vorteilsnahme ein Testimonial für diesen oder jenen Koch oder Arzt abgab. (Mesopotamien? Ägypten? Südamerika?)

Grenzen zwischen Werbung und PR

Podiumsdiskussion „Practice meets Science“ im Rahmen der DGPuK Tagung.

KM: Was hat sich vor dem Hintergrund der Digitalisierung verändert bzw. welche Veränderungen sind in Zukunft noch zu erwarten?

RP: Die großen Veränderungen der Zukunft liegen im Interfacewechsel. Wenn Sie sprachgesteuert nach einer Pizzeria in Ihrer Nähe suchen, wird es keinen Sinn machen, wenn Ihnen ein Bot oder Algorithmus die 10 Top Ergebnisse vorliest und Sie dann fragt, ob Sie die nächste Seite hören wollen. Mehr als 3 Top-Treffer sind da nicht drin, also müssen entweder alle mehr vom gleichen bekommen, oder die Anbieter personalisieren noch viel stärker. Die dazu notwendige Big Data Sphäre bauen sich Google, Facebook und Amazon ja gerade gekonnt auf.

KM: Sie schreiben vom „Amalgam aus ethischen und monetären Dilemmata, in dem wir Praktiker täglich waten müssen“. Können Sie das konkretisieren?

RP: Ich meinte die oben angesprochene Algorithmus-bedingte Reichweitensteuerung. Der Algorithmus agiert ja sehr bescheiden innerhalb seiner Parameter. Wenn Sie einen Teil der Input-Output-Redaktion zwischen den verwendeten Variablen und der Reichweite herausfinden können, wenn Sie also zum Reverse Engineer werden, dann machen Sie „best guesses“ über das, was da „in Google“ vorgeht, wenn die Entscheidung getroffen werden muss, welche Seite auf Platz 1 und welche auf Platz 2 steht. Und dann werden Sie Ihre Vermutungen, die ja weit über das hinausgehen, was Google empfiehlt, testen. Und nutzen, was funktioniert und gerade durchgeht.
Wir müssen uns gerade in der ethischen Diskussion darüber bewusst sein – und ich verwende jetzt bewusst ein Beispiel aus der Vergangenheit, um keine Anwesenden zu beleidigen – einem Internet-Klingeltonverkäufer die ethischen Richtlinien eines PR-Rates nicht wahnsinnig interessieren werden. Auch wenn der Webmaster, der im Nebenjob ein paar Server für die Leute administriert, gerade seine Masterthese über normative Online-Ethik schreibt.

KM: Welche Tipps kann man KMUs und Großunternehmen diesbezüglich geben? Worauf achten?

RP: Dort, wo man es selbst beeinflussen kann, rate meinen Kunden natürlich zu Offenheit und Transparenz. In der Werbung, in der Online-PR, im Influencer-Marketing. Die andere Seite ist aber, dass man dann täglich mit solchem Schwachsinn wie der EU Cookie-Richtlinie konfrontiert ist: „Diese Seite verwendet Cookies. Okay cool / mehr Infos.“ Das könnte aus einem Yung Hurn Song kommen. Unternehmen sehen sich häufig als Ausführende von neuen, überbordenden Bestimmungen (Stichwort DSGVO). Aber selbstverständlich tragen alle Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung.
Daher rate ich allen KMUs und Großunternehmen, Initiativen wie Noyb von Max Schrems zu unterstützen, damit die Spielregeln für alle gleich bleiben.

KM: Ist die Grenzziehung aus Ihrer Sicht möglich/notwendig?

RP: Grenzziehungen sind immer sehr arbiträr, das sieht man ja gerade dann, wenn es mal zu einer tatsächlichen Verurteilung wegen Verstoßes gegen die Kennzeichnungspflicht geht. Da wird dann in jedem Einzelfall sehr genau abgewogen – das läuft nicht so, wie wenn Sie als Imker vergessen, das vorgeschriebene Haltbarkeitsdatum auf Ihr Honigglas zu drucken. Da wird nicht jedes Mal aufs Neue beratschlagt, ob Honig nicht doch unbegrenzt haltbar ist. Beim Advertorial muss man ganz genau hinschauen.

Und im Internet müssen Sie Ihre ganzseitige Anzeige gar nicht mehr daneben „daneben“ einblenden. Im Cyberspace kann das Daneben zum Danach ganz woanders werden. Und so, wie sich die großen Anbieter gezielt nicht in die Karten schauen lassen – und die Politik zwingt sie ja leider nicht dazu – ist eine Abgrenzung nicht sinnvoll möglich. Aus bildungspolitischen Motiven wäre sie durchaus notwendig.


Fotos: Martin Naderer / FlickR

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