Fehlgeleitet von Skepsis persönlich

Fehlgeleitet von Skepsis persönlich

Im Lauf einer Online-Recherche über die guten alten Kristallschädel bin ich auf das Skeptic’s Dictionary gestoßen – exzellent, ein Universitätsprofessor, der mal so richtig gründlich mit diversen esoterischen Halbwahrheiten aufräumt: das könnte spaßig werden, dachte ich mir zuerst. Ein ausgewiesener Rationalist, dessen gestählter Geist wie ein flammender Pfeil ins Herz der Leichtgläubigkeit trifft, genau das richtige für den frühen Abend. Der Eintrag über besagte südamerikanische Kristallschädel hielt dann auch weitgehend, was der Titel versprach.

Ich hätte mir dann fast das Buch bei amazon bestellt, allerdings waren eine Reihe von Kundenrezensionen so gar nicht der Meinung, dass Robert T. Carroll hier seriöse Arbeit geleistet habe. Beim Lesen des Artikels zum Thema „Akupunktur“ in der Rubrik „alternative“ medizine wurde mir in der Tat relativ schnell klar, dass der selbsternannte Skeptiker im wesentlichen genauso unkritisch ist wie die von ihm gegängelten Scharlatane: nur dass er eben vorbehaltlos an alles glaubt, dem gewöhnlich das Attribut „westlich“ vorangestellt wird. Oder, wie’s auf amazon ein Leser so schön formulierte:

Now, I agree with about 80% of the things the author is skeptical about. I mean, I don’t believe in them too. However, the hair starts to go up on the back of my neck when yet another Western white guy dismisses every cultural belief that is not his.

Dem schließe ich mich gerne an – aber zur besseren Illustration zurück zu des Skeptikers Thesen über die Akupunktur. Sie werden lesen: man muss in der Tat kein ausgewiesener Freund dieser Behandlungsmethode sein, um die präsentierte Erklärung zumindest für windig zu halten.

Starke Aussage 1:

Traditional Chinese medicine is not based on knowledge of modern physiology, biochemistry, nutrition, anatomy, or any of the known mechanisms of healing. Nor is it based on knowledge of cell chemistry, blood circulation, nerve function, or the existence of hormones or other biochemical substances. There is no correlation between the meridians used in traditional Chinese medicine and the actual layout of the organs and nerves in the human body.

Mit anderen Worten: die westliche Medizin hat jedes Detail unseres „Funktionierens“ geklärt und lässt keine Fragen offen. Andere Aspekte und Zugänge gibt es nicht – wer keine Ahnung hat von zellulären Vorgängen, der hat gefälligst den Mund zu halten. Dass die alten Chinesen keine Ahnung hatten von „moderner“ Physiologie und Ernährungswissenschaft ist übrigens eine Tautologie im besten Sinne. Aber es wird noch viel übler:

Starke Aussage 2:

In short, most of the perceived beneficial effects of acupuncture are probably due to mood change, the placebo effect, and the regressive fallacy. Just because the pain went away after the acupuncture doesn’t mean the treatment was the cause.

Probably due to? Das scheint mir nicht gerade die angemessene Formulierung zu sein für einen ausgewiesenen Skeptiker. Also da behauptet der gute Mann einerseits, dass systematische Studien über die Akupunktur noch in den Kinderschuhen stecken, dass aber andererseits das ganze sowieso nicht funktioniere.

Auch völlig schleierhaft ist mir, wie der Autor denn den Erfolg medizinischer Behandlungsmethoden generell messen möchte, wenn nicht durch subjektive Besserung des Gesundheitszustands des Patienten? Vermutlich durch „objektive Besserung“, aber wie soll man die bloß feststellen? Ah ja – wenige Zeilen später kommt die aufschlussreiche Antwort:

There are difficulties that face any study of pain. Not only is pain measurement entirely subjective, but traditional acupuncturists evaluate success of treatment almost entirely subjectively, relying on their own observations and reports from patients, rather than objective laboratory tests.

Ja wo kommen wir denn da hin, wenn wir die subjektive Meinung des Patienten höher bewerten als eindeutige Laborbefunde! Schmerz lässt sich im Labor ja bekanntlich so wunderbar mittels der nach oben offenen „blackbox-Skala“ messen. Kurz darauf widerspricht sich das offensichtlich sehr hastig zusammengetragene Pamphlet übrigens nachdrücklich selbst:

Nevertheless, it is possible that sticking needles into the body may have some beneficial effects. The most common claim of success by acupuncture advocates is in the area of pain control. Studies have shown that many acupuncture points are more richly supplied with nerve endings than are the surrounding skin areas.

Zur Erinnerung – wenige Absätze früher hieß es noch

There is no correlation between the meridians used in traditional Chinese medicine and the actual layout of the organs and nerves in the human body.

Damit erweist man der weltweiten Vereinigung skeptischer Denker eher eine Bärendienst, behaupte ich – und auch die Formulierung des Abschlussabsatzes lässt an Borniertheit kaum etwas zu wünschen übrig:

There have been some reports of lung and bladder punctures, some broken needles, and some allergic reactions to needles containing substances other than surgical steel.

Wie war das noch gleich mal mit dem guten alten „Totschlagargument“? Der Autor, der Kritikfähigkeit und Rationalismus fordert, spricht ganz pauschal von „some dangers“. Ich glaub, ich kauf mir lieber ein seriöses Buch über TCW und spar mir die selbstgerechten und äußerst unreflektierten Ausführungen.

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